Blitzblank ist es in der Küche der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen – obwohl wie wild geschnippelt wird, die Messer auf den Schneidebrettern klacken, Gurken in feine Scheiben zerlegt und Cherrytomaten zu frischer Dekoration halbiert werden. »Durcheinander in der Küche gibt es nicht«, sagt Alena Prosak resolut. »Wir kochen und bereiten alles frisch zu«, betont die Köchin in der Gemeindeküche in der Georgstraße. Für die Vorbereitungen der Festtagsessen an den Hohen Feiertagen helfen Lyudmyla Ismakova und Swetlana Polyakova.
Die 70-jährige Polyakova kam einst aus Nischni Nowgorod und arbeitet seit 16 Jahren in der Bibliothek. Jetzt aber geht es nicht um Literatur, sondern gerade angelt sie mit einem Löffel Gefilte Fisch aus einem Glas und drapiert die einzelnen Stücke auf einer Platte. Schnell noch ein paar Gurken, ein wenig Salat und Tomaten hinzugeben – fertig ist die Vorspeise.
Ihre Kollegin Lyudmyla Ismakova ist bereits seit 17 Jahren in der Gemeinde aktiv und die »gute Seele«, die im Altenheim der Gemeinde und im Jugendklub dafür sorgt, dass das leibliche Wohl garantiert ist. Die 66-Jährige kommt ursprünglich aus Kiew.
Äpfel Dutzende Lachsfilets sind bereits vorgegart. Fruchtig-warm duftet es nach überbackenen Äpfeln, die mit einer halben Walnuss verziert sind und später noch mit Puderzucker überstreut werden müssen. »Schließlich soll das neue jüdische Jahr nicht nur rund, sondern auch süß verlaufen«, betont die 48-Jährige.
Zwischen 50 und 100 Menschen kommen zu Rosch Haschana in die Gemeinde, um zuerst gemeinsam in der Synagoge, die über den Gemeinderäumen liegt, zu beten, sich dann »Schana towa umetuka!« – ein gutes und süßes Jahr – zu wünschen und danach gemeinsam im Gemeindesaal Challe mit Honig zu essen. »Wir sind eine große Familie«, freut sich die Gemeindevorsitzende Judith Neuwald-Tasbach auf den Jahreswechsel 5778/5779. »An Erew und den beiden folgenden Tagen essen wir zusammen.«
Um am ersten Abend von Rosch Haschana gemeinsam und ohne Stress zusammenzusitzen, ist viel Küchenarbeit notwendig – und Planung. Judith Neuwald-Tasbach, Alena Prosak, Swetlana Polyakova und Lyudmyla Ismakova sitzen bereits Wochen vorher am kleinen Konferenztisch und diskutieren die Menüfolge. »Hatten wir im letzten Jahr«, sagt die eine. »Gut, dann gibt es Gulasch«, schlägt die andere als Kompromiss vor.
Genügend koscheres Kalbfleisch hat Prosak längst geordert und im Gefrierschrank deponiert. Zu Erew Rosch Haschana gibt es belegte Baguettes mit Lachs und Forellenfilets, gekochte Eier und Kaviar, dazu Gefilte Fisch. Am ersten Feiertag wird überbackener Lachs mit Porree serviert, am zweiten wird’s dann bodenständig: Gulasch mit Nudeln und grünem Salat.
Honig Vor dem Einkauf steht allerdings immer der Blick in die Kaschrut-Liste. Dort sind sogar der Lieferant und die entsprechenden Supermärkte aufgeführt, die koschere Produkte anbieten. »Gute Qualität und trotzdem preiswert«, sagt Prosak.
Der flüssige Honig wandert in den Einkaufswagen. Auch kiloweise Äpfel, Tomaten und Gurken. Dazu kommen die Vorbestellungen von Waren, die nur im koscheren Geschäft »Lechaim« in der Nachbarstadt Dortmund angeboten werden.
Challot, berichtet Gemeindeköchin Prosak, bringt die Gelsenkirchener Stadtbäckerei Gatenbröcker.
Und so ist vor den Feiertagen in der Küche der Gemeinde immer viel los, wenn die Großbestellungen angeliefert werden: drei Dutzend geflochtene Challot mit Mohn und noch einmal so viele Baguettes.
Diese werden auf eigenen Blechen gebacken, die nur für Gemeindebestellungen verwendet werden. Hinzu kommen noch mehrere Bleche mit Donauwellen, Apfel- und Käsekuchen.
Challot Surrend fährt der Knethacken durch die Masse, verschmilzt Umdrehung für Umdrehung Weißmehl mit Hefe und Eiern zu einem immer homogeneren Teig. In der Küche der Wuppertaler Synagogengemeinde wirft Gagik Schachwerdjan einen zufriedenen Blick auf die Tischrührmaschine. Der Teig wird. Am Haken windet sich eine kompakte Masse. Auf dem mehlbestäubten Tisch knetet der 60-jährige Wuppertaler Koch den Teig mit der Hand noch einmal ordentlich durch. Dann gibt er ihm Zeit, bis die Kugel in ein bis zwei Stunden durch die Hefe »über sich hinaus« wächst.
Eine Woche wird der Alltag Schachwerdjans vom Surren des Tischrührers und vom Flechten der Challot begleitet. »Jedes Jahr bin ich fünf Arbeitstage mit der Vorbereitung für Rosch Haschana beschäftigt«, erzählt er.
»Es wird kein großes Festmahl in der Gemeinde geben«, sagt Leonid Goldberg, der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal. Trotzdem gleicht die Küche im Gemeindezentrum an der Gemarker Straße einer Großbäckerei. Mit jeder Stunde erfüllt der warme Geruch von frisch Gebackenem die Räume.
Auch in Wuppertal geht nichts über gute Vorbereitung – und lange Einkaufslisten: Auf dem Einkaufszettel stehen neben Challot auch Honig und Äpfel. Gagik Schachwerdjan schwört auf Boskop mit seinem leicht säuerlichen Geschmack. »Der perfekte Apfel für Rosch Haschana«, versichert der Koch. Drei große Kisten sucht er mit zwei Helfern handverlesen beim Obsthändler zusammen. Damit sie später nicht bräunlich anlaufen, so der Tipp des Kochs, »werden sie mit Zitronensaft durchmischt«. Dazu gibt es einen guten Honig aus dem Reformhaus. Der ist gesund – und schließlich soll es auch wirklich ein »gutes und süßes neues Jahr« werden.
Kaschrut Rund läuft es auch im Elternheim der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Seit fast einem Monat organisiert und koordiniert Michaela Hustädte im Nelly-Sachs-Haus die Vorbereitungen auf das Neujahrsfest. Schließlich müssen die milchigen und fleischigen Kühlschränke gefüllt, Gemüse, Obst und Beilagen frühzeitig bestellt werden, damit sie auch wirklich zum Ende des Monats Elul angeliefert sind. 110 Bewohner und das Personal müssen verköstigt werden.
In der kleinen Synagoge des Altenheims und im Restaurant wurden bereits die Parkettböden abgeschliffen und neu versiegelt. »Jeder von der Belegschaft musste mit anpacken, damit wir das an einem Tag schaffen«, sagt Hustädte. Polstermöbel, Gardinen, Vorhänge – alles wird gereinigt und gesäubert. Nun steht sie mit weißen Handschuhen im Betsaal und kümmert sich persönlich um die Reinigung der Judaika. »Das machen wir jedes Jahr.«
Die Leuchter werden poliert, die Scheiben des Schranks gesäubert, die Einlegebretter geputzt. Eine »Powerwoche«: Alle müssen bei der »Komplettreinigung« mithelfen, damit die festliche Atmosphäre auch an der Einrichtung sichtbar wird. Hustädte rechnet mit 120 Personen – dazu kommen der Gemeindevorstand und der Gemeindechor.
In der Küche wird sowohl das Besteck aus der milchigen als auch aus der fleischigen Küche gesäubert, getrennt abgewaschen und getrocknet. Ebenso wie Gläser und Tassen. Rasend schnell poliert Hustädte Messer und Gabeln, denn die Zeit rennt.
Bert Römgens, Leiter des Nelly-Sachs-Hauses, freut sich schon auf den Moment, wenn »die fast andächtige Stille, die sich in den Tagen zuvor breitmacht«, unterbrochen wird vom Blasen des Schofars als Zeichen des neuen Jahres 5779.
So wie der Gemeinderabbiner in den Tagen vor dem Fest mit den Heimbewohnern über Rosch Haschana spricht, so wichtig sind Römgens in diesen Tagen auch die Mitarbeiterbesprechungen. Auch dabei gehe es darum, »einen kritischen Blick zurückzuwerfen, das zurückliegende Arbeitsjahr zu reflektieren«. Denn »gutes Qualitätsmanagement«, sagt Bert Römgens, ist auch »gelebte Teschuwa«, damit das kommende Jahr glücklich, rund und süß wird. Schana towa!