Mit Appellen zum Einsatz für Toleranz und gegen Hass und Hetze ist am Samstag in Solingen an die Eröffnung der örtlichen Synagoge vor 150 Jahren erinnert worden.
»150 Jahre jüdische Geschichte in Solingen stehen für hoffnungsvollen Aufbruch, für tiefste Abgründe der Menschheitsgeschichte ebenso wie für einen zaghaften Neubeginn jüdischen Lebens nach der Schoa«, sagte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, in einem Festakt. »Sie stehen aber auch symbolisch für eine heutige, selbstbewusste jüdische Gemeinschaft in ganz Deutschland, die allen Stürmen zum Trotz wieder blüht und gedeiht.«
pogromnacht Die Solinger Synagoge war am 8. März 1872 eingeweiht worden. In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde sie geplündert und niedergebrannt. Anschließend ließ die Stadt die Ruine des neoromanischen Kuppelbaus auf Kosten der jüdischen Gemeinde abreißen und auf dem Grundstück einen Hochbunker errichten.
An diesem Bunker wurde mit einer festlichen Lichtinstallation eine große Fensterrose aus unvergänglichem Cortenstahl eingeweiht. Das von dem Solinger Stahlkünstler Michael Bauer-Brandes entworfene Kunstwerk greift die Gestalt der Original-Fensterrose der Synagoge auf und zeigt sechs Davidsterne in Kreisen, in der Mitte ist ein leerer Kreis.
Jüdisches Leben mit all seiner Lebenslust, Kreativität und Vielfalt finde »erfreulicherweise wieder hier in Deutschland mitten unter uns statt«, es gehöre »in die Mitte der Gesellschaft: sichtbar, erlebbar, respektiert«. Der Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln rief dazu auf, die Vielfalt und den Reichtum jüdischer Philosophie, Ethik, Religion, Kunst und Kultur zu erkunden. An Schülerinnen und Schüler appellierte er: »Bleibt neugierig! Bleibt wachsam und kritisch! Vergesst nicht!«
Ukraine-krieg Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sagte der Vizepräsident des Zentralrats: »Viele von uns haben Angehörige in der Ukraine, um die wir uns sorgen. Dieser Krieg zeigt, wie leicht entflammbar der anscheinend nie völlig verlöschende Funkenflug des Hasses ist und wie schnell er zum Flächenbrand wird.«
»Dieser Krieg zeigt, wie leicht entflammbar der anscheinend nie völlig verlöschende Funkenflug des Hasses ist und wie schnell er zum Flächenbrand wird.«
Zentralratsvizepräsident Abraham Lehrer
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine mahne, »nichts für selbstverständlich zu nehmen und Angriffen gegen Demokratie und Menschenrechte, aus welcher Ecke sie auch immer kommen mögen, frühzeitig und entschlossen entgegenzutreten«. Lehrer kritisierte Versuche, »uns einzureden, es gebe Auseinandersetzungen zwischen russischen und ukrainischen Gemeindemitgliedern aufgrund des Krieges«.
Der Krieg zeige auch, wie die Lüge zur vermeintlichen Wahrheit gemacht werde und »ganze Völker einer wohl orchestrierten Propagandaschlacht aus Lügen, Fake News und geradezu irrwitzigen Behauptungen anheimfallen«, sagte Lehrer. »Wir sehen, wohin es führt, wenn Geschichtsschreibung und Berichterstattung ideologischen Vorgaben untergeordnet werden.« Deshalb müsse es heute darum gehen, dass Fakten und nicht Fiktion die Oberhand behalten: »Wir müssen historisch gesichertes Wissen in der Öffentlichkeit wachhalten – ohne in Floskeln und in Sprechblasen abzugleiten.«
antisemitismus Besorgt äußerte sich Lehrer auch über wachsenden Antisemitismus in vielen europäischen Ländern, der Einfluss von Rechtspopulisten und Nationalisten nehme zu. »Die Namen Kassel, Halle und Hanau sind der traurige Beweis, dass die Bekämpfung von Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus auch künftig ganz oben auf der Agenda stehen muss«, mahnte der Zentralratsvizepräsident.
Der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) erinnerte daran, dass die Synagoge 60 Jahre lang lebendiger Mittelpunkt der Solinger Gemeinde gewesen sei, die in ihrer Blütezeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts 324 Mitglieder zählte. Bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen, hätten sich die jüdischen Familien in Kultur- und Sportvereinen, Chören und Parteien für ihre Stadt engagiert. Heute habe die Kultusgemeinde Wuppertal 2.150 Mitglieder aus dem Bergischen Land, darunter etwa 300 aus Solingen.
Kurzbach forderte einen Perspektivwechsel im Umgang mit Jüdinnen
und Juden, die seit 1700 Jahren hier lebten: Das Judentum sei »konstitutiv für Deutschland«, und es gelte daher, »die Schönheit und die Zukunft jüdischen Lebens zu feiern«, sagte er. Mit der nun installierten Fensterrose leuchte in Solingen wieder der Davidstern als Signal, dass die Schande der Pogromnacht und das nachfolgende Grauen nicht vergessen werden. »Und als Hoffnungsstrahl, dass jüdisches Leben in Deutschland, im Bergischen Land, in unserer Klingenstadt Solingen eine Zukunft hat.« epd