Buchtipp

Allein auf der Flucht

Eva Szepesi ist elf Jahre alt, als die Nationalsozialisten in Ungarn ihre Judenvernichtung umsetzen. Was in anderen Ländern sich über Jahre hinwegzieht, geschieht in Ungarn in wenigen Monaten. Kurz und heftig erlebt das Mädchen, wie sie plötzlich von ihren Spielkameraden gemieden und verhöhnt wird. Selbst ihr bester Freund lässt sie nicht mehr an der geliebten Pumpe mitspielen.

Evas Mutter will ihre Tochter in Sicherheit bringen und schickt sie im April 1944 zu Verwandten in die Slowakei. Hiermit beginnt die Flucht des kleinen Mädchens, die trotz vieler Menschen, die selbstlos helfen, für das Kind in Auschwitz endet. Eva erleidet Strapazen, Hunger, Krankheiten. Die Nazis lassen die 13-Jährige schließlich im Lager zurück, als sie vor der anrückenden Sowjetarmee fliehen und die Lagerinsassen zu Todesmärschen zwingen.

Überwindung Eva Szepesi ist heute 80 Jahre alt. Erst Mitte der 90er-Jahre hat sie sich getraut, an die Ereignisse von damals zu denken. Die Shoa-Foundation des Regisseurs Steven Spielberg hat den Anstoß gegeben, dass sich die Überlebende ihren Erinnerungen stellte. Weitere zehn Jahre vergingen, bis sie diese auch aufgeschrieben hat. Gerade ist ihr Buch Ein Mädchen allein auf der Flucht erschienen.

Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis eines Menschen, den man heute als Child Survivor bezeichnet. Eine Überlebende, die die Schrecken von Verfolgung, Flucht und Lagerhaft als Kind erlebte. Mehr als alle anderen ist sie angewiesen auf das Wohlwollen von Fremden, von Erwachsenen, weil Kraft und Entscheidungsfähigkeit eines Kindes noch weniger ausreichen, dieses nicht beschreibbare Grauen zu überstehen.

Schutz Eva Szepesi erzählt vor allem für sich selbst schonungslos in einem klaren Stil, was sie erlebte, fast nüchtern. Doch das mag für sie selbst und für den Leser ein Schutz sein. Denn was sie erlebt hat, lässt sich nicht adäquat beschreiben. Was das Buch vor allem wertvoll macht, ist die Geschichte danach. Der Wunsch, Normalität herzustellen, die Beschreibung der großen einzigen Liebe Andor und der gemeinsame Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz, die wider alle Pläne ausgerechnet in Deutschland, in Frankfurt, wo sie noch heute lebt und ihre zweite Tochter geboren ist, gelingen soll.

Hervorragend ist auch die Einleitung von Babette Quinkert, die eine historische Einordnung der Geschehnisse in Ungarn gibt. Es sind solche Bücher, die den Nachgeborenen das Verständnis vermitteln, was Überleben heißt.

Eva Szepesi: »Ein Mädchen allein auf der Flucht«, Metropol Berlin, 2011, 160 S., 16 €

Interview

Katholischer Verband verwaltet Sparbücher der SS: »Falls noch jemand kommt«

Seit rund 70 Jahren verwaltet die Katholische Jugendfürsorge München (KJF) Geld, das die SS einst für unehelich geborene Kinder anlegte. Die rechtmäßigen Besitzer könnten ja noch aufkreuzen, sagt KJF-Vorständin Barbara Igl

 07.01.2025

München

»Das ganz Andere fremder Welten«

Die Volkshochschule und das IKG-Kulturzentrum gedachten des 130. Geburtstags der Dichterin Gertrud Kolmar

von Helen Richter  05.01.2025

Feier

Dem Herzen folgen

Die IKG München und Oberbayern bedankt sich bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern für ihr Engagement

von Luis Gruhler  05.01.2025

Würzburg

Kreuzfahrer am Main

Die Abiturientin Nele Fackler wird für einen Aufsatz zur Lokalgeschichte des Antisemitismus ausgezeichnet

von Gerhard Haase-Hindenberg  05.01.2025

Buch

Jüdisch im Sauerland

Hans-Ulrich Dillmann aktualisiert seine Studie über die Gemeinde in Lüdenscheid

von Martin Krauß  05.01.2025

Apolda

Schweinekopf vor jüdischem Gedenkort abgelegt

Unbekannte Täter haben einen Schweinekopf vor einem jüdischen Gedenkort im thüringischen Apolda abgelegt – nicht zum ersten Mal

 05.01.2025

Gespräch

»Berlin glänzt nicht mehr so wie früher«

Die Hauptstadt war lange ein Magnet für junge Israelis. Ist das noch immer so? Ein Gespräch über Döner-Preise, jüdische Identität und wachsenden Antisemitismus

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  05.01.2025

Porträt der Woche

Material für die Ewigkeit

Jehoshua Rozenman ist leidenschaftlicher Bildhauer und arbeitet vor allem mit Glas

von Alicia Rust  05.01.2025

Berlin

Salon im Raumschiff

Larissa Smurago führt die Tradition jüdischer Salonières im Kongresszentrum ICC fort. Das außergewöhnliche Gebäude soll jedoch bald anders genutzt werden

von Joshua Schultheis  04.01.2025