Die Bilder gingen um die ganze Welt. Als in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli ein Starkregen über Rheinland-Pfalz sowie Teilen von Nordrhein-Westfalen einsetzte, versanken ganze Ortschaften im Wasser. Aus kleinen Bächen wurden reißende Ströme, die Häuser und Brücken mit sich rissen. Erst am Morgen danach wurde die ganze Tragweite der Katastrophe deutlich. Über 170 Menschen fanden den Tod, weitere werden bis heute noch vermisst. Und die Zahl derjenigen, die nun vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, lässt sich nur schätzen.
Was man jetzt schon weiß: Hilfe wird an vielen Orten dringend gebraucht. Doch es reicht nicht, nur Keller leer zu pumpen oder den Schlamm zu beseitigen, der in jede Ritze geflossen ist und alles verunreinigt hat. »Die Fluten haben vielen Menschen buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen«, brachte es Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet auf den Punkt. Deshalb sind auch weiterreichende Konzepte der Unterstützung gefragt. Denn viele Bewohner der betroffenen Dörfer und Städte sind traumatisiert. Und genau hier will IsraAID Germany e.V. ansetzen.
Planungsteam »Seit dem 19. Juli sind wir mit einem Planungsteam im Flutgebiet vor Ort«, berichtet Nathanael Willi. »Erste Hilfsaktionen fanden dann wenige Tage später in Swisttal-Odendorf nahe Bonn statt«, so der Zuständige für Entwicklungen & Partnerschaften bei IsraAID Germany. »Am Anfang stand die Unterstützung von Aufräum- und Säuberungsarbeiten im Mittelpunkt unserer Aktivitäten.«
Doch dabei will man es nicht belassen. »Langfristig wollen wir für die Betroffenen der Flutkatastrophe Angebote zur psychosozialen Betreuung schaffen.« Denn das ist die Kernkompetenz des 2015 im Zuge der Flüchtlingskrise gegründeten Vereins. Damals hatte man Konzepte erarbeitet, wie traumatisierten Menschen, die aus Kriegsgebieten wie Syrien oder dem Irak geflohen waren, geholfen werden kann, das Erlebte zu verarbeiten und in Deutschland wirklich Fuß zu fassen.
Dafür gab es 2018 sogar den Integrationspreis, verliehen von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sich selbst definiert IsraAID Germany daher als »eine unpolitische, multikulturelle Hilfsorganisation, die Gemeinschaften in Not beim Übergang von einer Krise zum Wiederaufbau und zu einem nachhaltigen Leben unterstützt«.
Nun also engagiert man sich für Betroffene der Flutkatastrophe. »Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), unsere wichtigste Partnerorganisation, mit der wir eng zusammenarbeiten, ist an uns herangetreten und hat gefragt, ob wir aktiv werden können«, sagt Willi. Also stellte man erste Teams zusammen, die sich sofort an die Arbeit machten. Darunter sind zahlreiche Deutsche, drei israelische Traumatherapeuten sowie einige israelische Araber, aber auch viele ehemalige arabische oder kurdische Geflüchtete, die vor Jahren von IsraAID selbst betreut wurden und an Programmen teilgenommen hatten.
Es fehlt an Taschenlampen und Powerbanks, weil der Strom ausgefallen ist.
»Es ist das erste Mal, dass wir als Hilfsorganisation mit einer solchen humanitären Katastrophe in Deutschland konfrontiert sind«, skizziert ZWST-Direktor Aron Schuster die Situation. »Deshalb wollten wir auch unmittelbar nach Bekanntwerden des Ausmaßes der Schäden gemeinsam mit IsraAID im Rahmen der Aktion ›Deutschland hilft!‹, einem breiten Bündnis von Hilfsorganisationen, dem auch die ZWST angehört, aktiv werden.«
Regionaler Schwerpunkt der Arbeit war zuerst der Rhein-Sieg-Kreis, nun will man sich auch in Ahrweiler am Wiederaufbau beteiligen. »In einem ersten Schritt geht es dabei um die Versorgung mit dem, was am Nötigsten gebraucht wird«, erklärt Schuster. Dazu zählen vor allem Bautrockner, die derzeit absolute Mangelware sind. »Wir konnten immerhin eine ganze Wagenladung davon organisieren und Menschen zur Verfügung stellen, deren Häuser durch die Flut Feuchtigkeitsschäden erlitten haben.«
Taschenlampen und Powerbanks zum Aufladen von Smartphones wurden vor allem benötigt.
Aber auch bei ganz banalen Dingen herrscht dringender Bedarf, weil es vielerorts keinen Strom gibt. »Taschenlampen und Powerbanks zum Aufladen von Smartphones haben wir deshalb ebenfalls besorgt und verteilt.«
Psyche Doch dabei will man es nicht belassen. »In einem zweiten Schritt wollen wir sondieren, wo psychosoziale Unterstützung erforderlich ist«, fügt Schuster hinzu. Die ist besonders dann gefragt, wenn Menschen nicht nur ihr Zuhause verloren haben, sondern auch Angehörige oder Freunde. »Der jüdischen Gemeinde in Hagen haben wir ebenfalls unter die Arme gegriffen.« Dort war Wasser in den Keller der Synagoge eingedrungen und hatte zudem den Gemeindesaal überflutet.
Mittlerweile hat IsraAID Germany auch eine Koordinationsstelle in Bonn eingerichtet, von der aus die Hilfsaktionen gesteuert werden. »Wir arbeiten vor Ort eng mit dem Technischen Hilfswerk, der Feuerwehr oder der Polizei zusammen«, berichtet Carlo Schenk. »Manchmal sind die Leute erstaunt, dass es uns gibt«, sagt der IsraAID-Koordinator. Auch darüber, dass viele ehemalige Geflüchtete tatkräftig mit anpacken. »Aber die Resonanz ist extrem positiv – schließlich ist jede Hand gefragt.«
Helfer Auch Helfer der israelischen Organisation »Rescuers without Borders« waren im Flutgebiet unterwegs. Dani Cohen war einer von ihnen. Normalerweise führt er hauptberuflich Touristen durch Jerusalem. Als freiwilliger Helfer der israelischen Organisation, die auf Hebräisch »Hatzalah le lo Gwulot« heißt, kam er auch in die Überflutungsgebiete in Belgien und Deutschland und dort unter anderem auch nach Bad Neuenahr-Ahrweiler.
Der Hilfsdienst »Rescuers Without Borders« wurde im Jahr 2000, während der Zweiten Intifada, gegründet. Initiator Aryeh Levi stellte ein Team von Ersthelfern für das Westjordanland zusammen, das inzwischen in ganz Israel aktiv ist und seit einigen Jahren auch zu Katastropheneinsätzen ins Ausland reist.
Viele französischsprachige jüdisch-traditionelle und orthodoxe Freiwillige sind in der Hilfsorganisation unter anderem als Ärzte und Sanitäter dabei: um Leben zu retten. »Wir waren schon weltweit unterwegs, in Sri Lanka, auf den Philippinen, in Nepal oder Indonesien«, erzählt Cohen der Jüdischen Allgemeinen. »Aber das war unser erster Hilfseinsatz in Europa«, sagt der 52-Jährige.
TV-Bilder Sie hatten die Bilder der Flut im Fernsehen gesehen. »Sofort haben wir entschieden, dass wir da helfen müssen.« Gleich nach Schabbat setzten sie sich ins Flugzeug. Vor Ort zeigten sich die schrecklichen Bilder der Verwüstung. Doch im Gegensatz zu den bisherigen Einsätzen gehörte nicht die Bergung von Toten und die medizinische Erstversorgung von Verletzten zu ihren vorrangigen Aufgaben. »Wir haben zwar noch bei der Suche nach Vermissten geholfen, hauptsächlich aber einfach da mit angepackt, wo Unterstützung gebraucht wurde.«
Und Cohen zeigt sich überwältigt von der Reaktion der Menschen. »Sie haben zuerst gar nicht verstanden, warum wir so einen weiten Weg zurückgelegt haben, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Aber sie haben sich wirklich sehr gefreut, viele haben uns umarmt.« Sprachbarrieren gab es kaum, notfalls wurde Englisch gesprochen, auch die Koordination mit den örtlichen Einsatzkräften sei problemlos gewesen.
Nach einer Woche sind die Helfer von »Rescuers Without Borders« nun wieder zurück in Israel. Sie sind froh, dass sie Unterstützung geben konnten. »Das war ein ganz besonderer Einsatz«, resümiert Dani Cohen.
Der Einsatz im Katastrophengebiet wird möglicherweise noch Monate dauern.
Sein Einsatz sowie der von IsraAID hat darüber hinaus signalisiert: »Die Menschen in dem Katastrophengebiet erfahren, dass man sich für sie interessiert«, sagt Carlo Schenk. Viele sind emotional durch die Ereignisse aufgewühlt und mental instabil. »Umso wichtiger ist es, dass sie jemanden haben, der ihnen zuhört. Auch dafür sind wir da.«
Viele der Nichtbetroffenen könnten sich gar nicht vorstellen, welche Gerätschaften nötig sind und überall fehlen. Sie werden nun von IsraAID und den anderen Hilfsorganisationen beschafft – auch dank der vielen Spenden, die flossen. »Dazu zählen beispielsweise Durchlauferhitzer«, sagt Schenk. »Viele Bewohner in dem Katastrophengebiet werden wohl längere Zeit keine Heizung oder Heißwasser haben.« Aber auch batteriebetriebene Baulampen, Staubmasken oder Schutzbrillen müssen her, damit die Aufräumarbeiten vorankommen. »Deshalb gehen wir davon aus, dass unsere Einsätze nicht auf ein paar Wochen beschränkt bleiben. Vielmehr werden es wohl Monate sein.«