Hannover

»Alle Generationen sollen ihren festen Platz haben«

Rebecca Seidler Foto: Kloepper

Frau Seidler, Sie sind vor einem Monat zur Vorsitzenden der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover gewählt worden. Wie kam es zu dem Entschluss, zu kandidieren?
Ich bin schon seit Gründung der Gemeinde vor 25 Jahren aktives Mitglied. Im Jahr 2000 habe ich den Verein »Jung und Jüdisch« gegründet und sieben Jahre als Vorsitzende geführt. Daraus ist eine bundesweite Organisation für junge jüdische Erwachsene geworden. Außerdem habe ich den jüdischen Kindergarten hier in Hannover aufgebaut. Durch meine Eltern kenne ich die Abläufe in der Gemeinde sehr gut. Somit war es für mich selbstverständlich, zu sagen: »Ja, ich bin bereit, Verantwortung zu tragen.«

Mit Ihnen und dem gesamten Vorstand wurde ein Generationswechsel vollzogen.
In der Tat hat der Vorstand jetzt ein Durchschnittsalter von 42 Jahren, der vorige mit Ingrid Wettberg, Alisa Bach und Katarina Seidler, die die Gemeinde gründeten, von 66 Jahren. Ich selbst bin gerade 40 geworden, mein Stellvertreter Yevgen Bruckmann ist 24 Jahre alt. Wir finden es wichtig, dass die Gemeinde dynamisch bleibt, sich weiterentwickelt und die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt wird. Unsere Gründungsmütter stehen uns nach wie vor beratend zur Seite und haben weiterhin ihre Aufgabengebiete. Wir sahen jetzt den Zeitpunkt gekommen, einen Generationswechsel voranzutreiben. Und wir wollten, dass der Vorstand die Tatsache widerspiegelt, dass unsere Mitglieder mehrheitlich Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sind. Mir persönlich war es wichtig, klar zu signalisieren: Diese kommen jetzt auch mit in die Verantwortung und in die Führung hinein.

Sie sind selbstständige Unternehmensberaterin, Mediatorin und unterrichten »nebenbei«. Lässt sich das Ehrenamt mit einem Vollzeitjob vereinbaren?
Wir alle stehen vor der Herausforderung, Beruf, Familie und das Ehrenamt unter einen Hut zu bringen, aber Organisation ist ja das halbe Leben, das ist uns bewusst. Ich habe das Glück, einen sehr geduldigen Ehemann zu haben, der das mitmacht, und tolle Kinder, die auch um die Wichtigkeit dieser Aufgaben wissen und schon aktiv in der Gemeinde sind. Und so klappt es dann.

Inwiefern ist es Ihnen wichtig – gerade auch in Corona-Zeiten –, vor Ort ansprechbar zu sein?
Ich habe mir feste Präsenztage in der Gemeinde eingerichtet, weil ich es besonders jetzt wichtig finde, dass der Vorstand vor Ort in der alltäglichen Arbeit vertreten ist und Einblicke hat, damit Entscheidungen kurzfristig getroffen werden können und der Ablauf reibungslos vonstattengeht. Mein Stellvertreter studiert derzeit noch, aber auch er hat regelmäßige Arbeitszeiten vor Ort, sodass es dort auch kurze Wege gibt und wir direkt ansprechbar sind, sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Mitglieder der Gemeinde.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Zum einen möchte ich natürlich unsere Gemeinde weiter zu einem Mehrgenerationenhaus ausbauen, das heißt, bei uns sollen alle Generationen ihren festen Platz haben: die Kleinsten in Kindergarten und Krippe, Familien, aber auch die Senioren. Hier greift unser Programm mit Frühstücks- und Austauschrunden oder kleinen Selbsthilfegruppen.

Die Hohen Feiertage stehen bevor. Welches Angebot werden Sie machen können?
Derzeit stehen wir vor der Herausforderung, jüdisches Gemeindeleben mit den Hygienevorschriften durch Corona zu vereinbaren und pragmatische Konzepte für die Hohen Feiertage zu entwickeln. Statt 180 bis 200 Besucher können in diesem Jahr jeweils nur 50 Personen teilnehmen. So wollen wir vor allem diejenigen einladen, die keine Familie haben und an den Hohen Feiertagen alleine zu Hause wären. Dazu haben wir einen detaillierten Anmeldebogen entwickelt. Ich hoffe sehr, dass wir die Feiertage wirklich feiern können.

Mit der Gemeindevorsitzenden der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover sprach Heide Sobotka.

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