Frau Levtov, Sie sind seit Kurzem die neue Repräsentantin der Jewish Agency in Deutschland. Hat Sie die Entsendung nach Berlin überrascht?
Ich war vor etwa einem Jahr schon mal in der Stadt auf einem Seminar und habe dort bereits Jugendliche getroffen, mit denen ich auch heute zusammenarbeite. Sie wollten mehr über das Judentum und über Zionismus erfahren. Und schon damals habe ich erlebt, dass diese jungen Menschen nicht allzu eng mit der Gemeinde verbunden sind.
Worin besteht dann Ihre Aufgabe?
Die Schwerpunkte meiner Arbeit sind: das Programm »MASA«, ein Projekt für Studenten, die nach Israel gehen, und Alija. Außerdem nehme ich an den verschiedenen Seminaren für jüdische junge Erwachsene teil. Ich möchte die jüdische Identität der Jugendlichen stärken. Dafür bin ich in ganz Deutschland unterwegs, gebe Seminare und beteilige mich an Diskussionen. Die Berliner Jugendlichen sind für mich allerdings eine kleine Herausforderung.
Inwiefern?
Es gibt hier viel mehr Studenten, die rein deutschsprachig aufgewachsen sind und gar keine Verbindung mehr zu ihrer sowjetischen Vergangenheit haben. Anders als in Nordrhein-Westfalen oder Hamburg beispielsweise. Aber ich versuche, mich in die Berliner Jugendlichen hineinzuversetzen. Wir haben mit unserem Projekt »Studentim« in der Berliner Gemeinde schon mal einen guten Grundstein gelegt.
Sie kümmern sich also vorrangig um junge Leute?
Nicht nur, ich habe quasi einen Multi-Tasking-Job. Ich repräsentiere auch den Bildungszweig der Jewish Agency. Deswegen ist es für mich so wichtig, eng mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten. Ein anderer Teil meiner Arbeit ist »MASA«. Außerdem helfe ich meinen Kollegen in ganz Deutschland, Jugendinitiativen zu entwickeln und zu unterstützen. Ich bin auch Ansprechpartnerin, wenn es um die Alija geht, allerdings ist das nicht meine Hauptaufgabe. Nicht, weil die Einwanderung nach Israel nicht wichtig wäre, sondern, weil wir Bildung und die Gemeindearbeit für Deutsch- land als wichtigen Teil sehen.
Das ist ein klarer Kurswechsel der Jewish Agency, die früher vor allem Anlaufstelle für Auswanderungswillige war. Jetzt kümmert sie sich um die Bildung in der Diaspora. Ihr Vorsitzender Natan Sharansky hat dafür einen eigenen Fonds bewilligt.
Ja, Natan Sharansky hat recht, wenn er sagt, es sei unmöglich, Alija zu fördern, wenn man nicht Dinge wie jüdische Bildung oder jüdisches Leben in den Gemeinden der Diaspora unterstützt. Wir versuchen also, eine Verbindung zwischen Menschen und ihren jüdischen Wurzeln herzustellen, um ihre jüdische Identität zu stärken. Deswegen ist es wichtig, über die Bildung die Verbindung zum israelischen Staat herzustellen. Wir unterstützen zuerst die Diaspora, dann sprechen wir über Alija. Nicht umgekehrt.
Haben sich die Gründe, warum Menschen Alija machen, in den vergangenen 20 Jahren verändert?
Die Überlegungen, warum Menschen nach Israel einwandern wollen, sind unterschiedlich: Einige Einwanderer kommen aus religiösen Antrieb, viele möchten eine Familie gründen oder zu ihr zurückkehren. Auch Studium, Jobs oder das Gefühl, unbedingt in Israel leben zu wollen, spielen eine Rolle.
Wollen junge Juden lieber in Deutschland bleiben oder auswandern?
Wenn Jugendliche zu mir kommen, reden wir nicht über Alija. Wenn ich Seminare gebe oder an Panels teilnehme, dann erzähle ich erst einmal über Israel und danach komme ich mit den Teilnehmern ins Gespräch. Wir reden über Politik, soziale Aspekte, jüdische Traditionen, Religion und Israel. Wenn sie vielleicht daran interessiert sind, in Israel zu studieren oder auch auszuwandern, unterhalte ich mich in kleinerem Rahmen mit den Jugendlichen. Aber meine Aufgabe ist es nicht, durch Deutschland zu ziehen und über Alija zu sprechen
Welches Fazit würden Sie gerne mal von Ihrer Arbeit in Deutschland ziehen?
Mein Wunsch ist es, eine starke jüdische Studentenschaft aufzubauen, die an Israel interessiert ist. Wenn ich Menschen, die fast gar nicht mit Israel oder Judentum verbunden sind, dazu bringen kann, über Israel nachzudenken, habe ich meine Aufgabe erfüllt. Wenn ich also dazu beitragen kann, dass die jüdische Gemeinschaft hier gestärkt wird, dann bin ich zufrieden. Denn wir brauchen eine starke jüdische Gemeinschaft in Deutschland und in der Diaspora.
Mit der Repräsentantin der Jewish Agency sprach Katrin Richter.