Entspannt sitzt Rom Almog auf der Couch im Vorzimmer eines flachen Büro- und Gästehauses. Das schlichte Gebäude befindet sich auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald. Auf dem Parkplatz stehen Busse und Privatautos. Vor allem niederländische Gäste sind oft hier, sagt Rom. Und auch die Teilnehmer seines Workshops kommen aus Russland, Frankreich und Spanien. Das Camp ist international. Für zwei Wochen leben Jugendliche aus Deutschland hier zusammen. »Auch aus Moldawien, Polen und Aserbaidschan haben wir Teilnehmer«, bemerkt der 20-Jährige.
Gerade kommen die Teilnehmer seines Workshops aus der Mittagspause zurück. Im Vorbeigehen grüßen sie ihn. Rom betreut die Gäste. Ein junger Mann mit Kopfhörern nimmt ihm gegenüber auf der Couch Platz. Eine Frau mit Kinderwagen kommt herein. Rom lacht: »Wir haben auch ein Baby hier.«
Intensität Das Workcamp der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) ist Teil der pädagogischen Arbeit. »Wir kümmern uns hauptsächlich um den ›Gedenkweg Buchenwald-Bahn‹. Wir sind dort, wo die Häftlinge damals auch waren. Auf den Steinen verewigen wir ihre Namen.«
An 200 Buchenwald-Häftlinge soll auf diese Weise erinnert werden. »In dem Moment setzt man sich intensiv damit auseinander.« Trotz der bedrückenden Stimmung, die dieser Ort ausstrahlt, ist es Rom wichtig, dass auch gelacht, gespielt und gemeinsam gegessen wird. »Lebensfreude und Austausch« nennt er es. Der junge charmante Mann in Jeans und schwarzem T-Shirt lächelt den Gästen zu.
kein Opfer Seit knapp einem Jahr ist er hier, an einem der unwirtlichsten Orte deutscher Geschichte. Ein Israeli in Buchenwald, ein junger Mann, der die Welt entdecken und verstehen will. »Ich bin niemand, der Vorwürfe macht. Ich fühle mich nicht als Opfer, auch nicht, wenn ich mit einem Deutschen rede und seine Großväter Nazis waren, selbst dann würde ich ihn nicht als Täter, als Vertreter der Täter sehen.« Er selbst bezeichnet es als »ungewöhnlich«. Denn so würden nicht alle denken. »Viele Israelis mit Holocaust-Überlebenden in der Familie würden heute nie nach Deutschland reisen.«
Bei ihm sei das anders. Doch nach Deutschland sei er vor allem wegen seines damaligen Freundes gekommen. »Der war Belgier und erfreut zu hören, dass ich bald in Europa sein würde.« Wieder lächelt Rom, diesmal verschmitzt. Es sei mittlerweile sein Ex-Freund.
Eine erste Aufgabe führte ihn zunächst nach Berlin. Hier engagierte er sich in der schwul-lesbischen Szene und leitete ein Sommercamp. »Deutschland gefällt mir«, sagt Rom. Nur eines sei für seine Generation beim globalen Reisen ein echtes Problem: Die WLAN-Verbindungen sind hier längst nicht so professionell und kostenlos wie in Israel. Er lacht. Denn eigentlich würden immer die anderen Ausländer denken, Israel sei technisch hinterher. »Was für ein Irrtum! Wir sind viel weiter, technologischer, auch leider amerikanisierter und meist auch teurer als Deutschland.«
Deutschland Wenn Rom Almog seinen Dienst für die ASF im Sommer beendet hat, wird er 21 Jahre alt sein, nach Israel reisen, die Familie besuchen und dann nach Deutschland zurückkehren, um zu studieren. »Vielleicht an der Ruhr-Universität Bochum Medizin und Physik. Denn ich fühle mich hier wohl.«
Die Gedenkstätte Buchenwald, hoch oben auf dem Ettersberg nahe Weimar, die internationalen Gäste, die Gespräche mit den ehemaligen Häftlingen, »dabei habe ich sehr viel erfahren«. Und er fügt hinzu: »In der Schulzeit haben wir mal eine Gedenkstätte besucht. Dabei wurde uns gesagt, dass man es nicht verstehen würde. Heute weiß ich: Ich verstehe es!« Es sei wichtig, dass man darüber reden könne, findet der junge Mann.
Oft fragt sich Rom Almog, was in der Nazizeit junge Leute motivierte, in die SS zu gehen? »Was motiviert überhaupt Menschen, andere auszugrenzen und sich selbst zu erhöhen?« Es sind Fragen, die jetzt Besucher ihm stellen, wenn er sie durch das ehemalige Lager führt. Die Psychologie von Menschenverachtung, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit interessiert Rom Almog.
Rassismus »Ich komme aus Petach Tikwa, der Stadt in Israel mit Neonazis. Das ist ein echtes Problem«, sagt er. »Sie fertigen Graffiti, sprühen Hakenkreuze, prügeln Religiöse oder Homosexuelle, die meisten sind Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.« Emotionslos beschreibt er das Gebaren dieser Szene. »Es gibt überall auf der Welt diese Form von Rassismus, leider eben auch in Israel.«
Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald hat er sich monatelang mit den Wurzeln und Methoden von Rassismus und Menschenverachtung befasst. Er will nicht anklagen, betont er erneut. Und noch etwas: »Ich enttäusche manchmal die Deutschen. Sie meinen, nur weil ich aus Israel komme, müsste ich mein Judentum auch besonders hervorkehren. Dabei sind die Israelis weniger religiös, als viele denken.«
Rom findet, dass es gerade in Weimar viel zu entdecken gibt. Mit den Aktiven des Christopher Street Day hat er zusammen- gearbeitet, ebenso mit dem Verein »AidsHilfe«. Daraus entstand eine Veranstaltung zum Gedenken an die »Rosa-Winkel-Häftlinge«, Männer, die aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe inhaftiert waren.
Erwartungen »Am Anfang wusste ich nicht, worauf ich in Buchenwald stoßen würde. Ich habe ein bisschen die israelische Art einer Gedenkstätte erwartet, und das habe ich nicht bekommen. Man denkt automatisch, jetzt ist man in einer Gedenkstätte und soll traurig sein.« Dieses Gefühl habe ihn die ganze Zeit über nicht beschlichen, »trotz der Tausenden schlimmen Schicksale, und ich habe ja hier gelebt.« Er halte auch nichts von der Schock-Pädagogik. Er wolle auch als Israeli nicht vorsichtiger oder anders behandelt werden, wenn er etwa bei Podiumsdiskussionen neben Politikern sitze.
Die junge Generation Israels schaue nach vorne. »Meine Generation denkt anders über Täter und Opfer. Versöhnung steht im Vordergrund und die Chance, in der Gegenwart Dinge besser zu machen.« Rom Almog hat mit vielen ehemaligen Häftlingen gesprochen, hat viele betreut, an Seminaren teilgenommen. »Stereotype gehören in andere Zeiten. Und damit meine ich beide Seiten. Auch, dass die Deutschen Juden nicht mehr als Opfer sehen müssen.«
Missachtung der Menschenrechte und Ausgrenzung sind Themen, die ihn aufregen. »Der typische Mitläufer ist gefährlicher als der Extremist«, sagt er und fügt hinzu, dass zwischen Verantwortung und Schuld ein Unterschied bestehe. »Wir können nicht ausgleichen, was geschehen ist, aber wir können ein Sühnezeichen setzen.«