Stress und Belastung bei den Fachkräften im Pflegebereich, in der Altenhilfe und ganz allgemein im Gesundheitswesen sind ein weit verbreitetes Phänomen. Häufig geht dies zulasten der Pflegebedürftigen und Bewohner von Senioreneinrichtungen. Dann wird der Umgangston ungeduldig bis ruppig. Es fehlt an Zuwendung und Aufmerksamkeit. Im schlimmsten Fall kann es zu Gewaltanwendung kommen.
Mit dem Modellprojekt »Achtsamkeitsförderung in der stationären Altenhilfe« versucht die Arbeiterwohlfahrt, genauer der AWO Bezirksverband Westliches Westfalen, hier ein Zeichen zu setzen und präventiv zu wirken. Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf ist eine kleine, aber nicht unwichtige Partnerin für das Modellprojekt. Zwölf Einrichtungen der AWO sind involviert sowie das Düsseldorfer Elternheim Nelly-Sachs-Haus.
zusammenarbeit Bereits vor zwei Jahren war die AWO an die Düsseldorfer Gemeinde herangetreten und hatte angefragt, ob das Nelly-Sachs-Haus aufgrund seiner speziellen Ausrichtung externer Projektpartner werden möchte. Es war nicht die erste Zusammenarbeit. »Bereits beim Aufbau eines Wohnbereichs für Menschen jüdischen Glaubens in einem unserer Seniorenzentren haben wir schon einmal sehr konstruktiv zusammengearbeitet«, sagt Ulrike Weiß, Abteilungsleiterin Qualitätsmanagement beim AWO-Bezirksverband.
Bert Römgens, Leiter des Nelly-Sachs-Hauses, ergänzt: »Da in unserer Einrichtung Schoa-Überlebende wohnen, ist der Zugang zu den Bewohnern sensibilisierter als in einer nichtjüdischen Einrichtung.« Das Nelly-Sachs-Haus ist damit eine Modelleinrichtung mit Vorbildcharakter. »Ich glaube, dass wir einen empathischen und respektvollen Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern haben, den wir auch achtsam nennen können.«
konzept Ulrike Weiß arbeitete in Absprache mit Bert Römgens im vergangenen Jahr eine Projektkonzeption aus und reichte sie bei der Stiftung Wohlfahrtspflege ein. Diese befand das Projekt als förderungswürdig. Zwölf Seniorenzentren der AWO und das Nelly-Sachs-Haus beteiligen sich daran. Etwa 90 Mitarbeiter nahmen an den mehrtägigen Schulungen teil.
»Hierbei hat sich das gegenseitige Kennenlernen der unterschiedlichen Sichtweisen und der Auseinandersetzung mit Themen- und Fragestellungen als konstruktiv und bereichernd herausgestellt«, sagt Ulrike Weiß. Sie selbst habe durch den Kontakt mehr über das jüdische Gemeindeleben und von dem, was Gemeindemitglieder beschäftigt, erfahren. So mag es nicht nur der Projektleiterin gegangen sein. Alle Teilnehmer des Projektes besuchten das Nelly-Sachs-Haus und informierten sich vor Ort über das Elternheim.
Man traf sich in den vergangenen Monaten mehrmals in Arbeitsgruppen, aus allen Ebenen nahmen Mitarbeiter an den mehrtägigen Projektmodulen teil. »Achtsamkeit ist immer notwendig, nicht nur in der Pflege«, erläutert Bert Römgens. Sie zeige sich im Zwischenmenschlichen, im respektvollen Umgang miteinander, aber auch in der Achtung vor sich selbst. »Achtsamkeit ist auch im Alltag wichtig, aber sie ist besonders wichtig, wenn wir mit Menschen arbeiten, die Hilfe und Unterstützung brauchen.«
Entspannung So lernten die Mitarbeiter beispielsweise Entspannungsmethoden kennen, um dem Stress etwas entgegenzusetzen. Nur Mitarbeiter, die auf sich selbst achten und achtsam gegenüber sich selbst sind, können auch achtsam gegenüber dem anderen sein – so sieht es das Grundkonzept des Modellprojektes vor. Auch kommunikative Elemente sowie gruppendynamische Instrumente seien vermittelt worden.
Aktuell fand nun in diesem Zusammenhang auf Initiative der Düsseldorfer Gemeinde eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aus verschiedenen Bereichen statt. Man habe das Thema des Projekts im gesellschaftlichen Kontext reflektieren wollen, so Bert Römgens. »Was passiert, wenn einer unserer Bewohner ins Krankenhaus kommt und auf eine Pflegekraft trifft, die ein Problem mit Juden hat?«, fragt der Heimleiter und verweist auf rechte Tendenzen in der Gesellschaft. Das Thema Achtsamkeit habe eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung.
Die ehemalige Familien- und Gesundheitsministerin Rita Süssmuth ging in ihrem Grußwort auf die Begrifflichkeiten von Achtsamkeit ein und verknüpfte sie mit dem ebenso wichtigen Aspekt der Wachsamkeit.
Verstetigung Die Theorie der Schulungsmodule soll jetzt auch zur Anwendung kommen. Derzeit läuft die Verstetigungsphase, in der bereits geschulte Mitarbeiter ihre Informationen und Erfahrungen an Kollegen weitergeben, sodass sich das Wissen und die Sensibilisierung für Achtsamkeit im Umgang möglichst weit verbreiten – nicht nur bei den Pflegekräften, die meist besonders gefordert sind, sondern in allen Bereichen der Einrichtungen.
Die Schulungen und ihre Umsetzungen werden von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe wissenschaftlich begleitet. Die Ansätze zur Förderung der Achtsamkeit sollen später angepasst und weiterentwickelt werden. Das Interesse in anderen Verbänden an der Thematik sei groß, sagt Ulrike Weiß von der Arbeiterwohlfahrt. Es habe bereits mehrere Besuche von befreundeten Verbänden gegeben, und auch in Fort- und Weiterbildungen soll das Thema Achtsamkeit verstärkt aufgenommen werden.