Wer dieser Tage durch die Flure der Heinz-Galinski-Schule in Berlin-Charlottenburg läuft, hört nicht nur aufgeweckte Kinderstimmen, sondern spürt auch etwas Melancholie. Das hat einen doppelten Grund, denn mit Doris Kaminski und Harald Pieplak verabschieden sich gleich zwei der dienstältesten Lehrer in den Ruhestand. Seit den 80er-Jahren haben sie das Haus und seine Atmosphäre mitgeprägt, Aufbrüche, Sternstunden und Rückschläge erlebt – und immer wieder am Konzept der optimalen jüdischen Schule für die Sechs- bis 13-Jährigen gefeilt.
Im Haus sind die beiden Legende. »Es war und ist wunderbar, Doris und Harald neben sich zu wissen«, bekennt Julia Giwerzew, seit zehn Jahren Religionslehrerin im Haus. »Beide haben ganze Generationen von jüdischen Mädchen und Jungen begleitet und geprägt. Und die Zöglinge von einst meldeten sich spätestens dann wieder, wenn sie selbst eigene Kinder einzuschulen hatten.«
curriculum Als »frischgebackene« Pädagogen waren Harald Pieplak und Doris Kaminski in den 80er-Jahren jeweils aus dem Rheinland nach (West-)Berlin gekommen. In der gerade gegründeten Heinz-Galinski-Schule traf ein ruhig-gelassener Sport- und Mathelehrer, zwischenzeitlich auch Makkabi-Fußballtrainer, auf die agile Junglehrerin, die »eigentlich immer alles unterrichten« wollte. Doch das »jüdische Curriculum« war beiden neu, aufgewachsen waren sie in christlichen Familien.
»Was man sich heute kaum noch vorstellen kann«, erinnert sich Harald Pieplak, »es gab kaum ausgebildete jüdische Lehrer. Die nichtjüdischen Pädagogen waren klar in der Mehrheit.«
Das »jüdische Curriculum« war beiden neu, aufgewachsen waren sie in christlichen Familien.
Harald Pieplak und Doris Kaminski tauchten schnell in die für sie neue Welt ein. »Der ganze jüdische Jahreszyklus wurde uns in kürzester Zeit vertraut, mit all den vitalen Bräuchen, Überlieferungen und Riten«, erzählt Doris Kaminski. »Wir haben damals nonstop gelernt, ein Workshop folgte dem nächsten, dazu Bildungsreisen – auch nach Israel –, und das alles zeigte bald Wirkung.«
ANERKENNUNG Rasch waren die »Kids« der neuen Schule für sämtliche Fächer zu begeistern, aber waren es die Eltern auch? »Falls wir uns darüber je Sorgen gemacht haben, waren die unbegründet«, sagt Harald mit seinem entwaffnenden Lächeln.
»Aus den Familien kam enorm viel Zuspruch und Anerkennung. Ich erinnere mich noch an die ersten, sehr offenen und herzlichen Begegnungen mit den Familien Waks und Schlesinger. Bald haben wir uns selbst heimisch gefühlt, familiär angenommen.«
1989 kam der Mauerfall, bald wuchsen die Klassen stetig infolge der Zuwanderung aus der Ex-Sowjetunion. »Da gab es dann auch mal Sprachbarrieren und kulturelle Dissonanzen, völlig normal für so eine Situation«, bemerkt Doris Kaminski.
WALDSCHULALLEE Sie und ihr Kollege, inzwischen selbst schon stolze Eltern, erlebten nun, wie die Schule quasi aus allen Nähten platzte. 1995 kann in den modern-geräumigen Neubau in der Waldschulallee umgezogen werden. »Das Großartige war, dass wir von der Innengestaltung her in so ziemlich alle Entscheidungen mit einbezogen wurden«, erinnert sich Harald Pieplak.
»Zur Eröffnung hatte sich Bundespräsident Roman Herzog angesagt, wir standen kurz vorher quasi noch auf Baubrettern, auf der einen Seite Umzugskartons, auf der anderen schon fast die Ehrengäste. Doch alles löste sich zum Guten, wir erlebten eine der schönsten Feiern überhaupt.«
Doris Kaminski verweist auf nun folgende, wiederum sehr kreative gemeinsame Jahre. »Erprobte Konzepte wurden beibehalten, und doch war immer viel Raum, um Neues auszuprobieren. Das einzige Manko blieb, dass sich keine Kontinuitäten bei der Schulleitung einstellten. Die Leitungen kamen und gingen, aber wir blieben.«
Ab 1989 wuchsen die Klassen infolge der Zuwanderung stetig.
Womit schon fast die Brücke ins Jetzt und Hier geschlagen ist. »In den vergangenen Jahren ist leider, objektiv bedingt, noch ein weiteres Problem hinzugekommen, das wir mit vielen anderen Schulen in Berlin und Brandenburg teilen«, legt Harald Pieplak den Finger in die Wunde.
mangel »Es herrscht ein chronischer Mangel an Fachkräften, und in der Folge gibt es viel Lehrkräfte-Fluktuation.« Allein in den letzten fünf Jahren habe die jüdische Grundschule mehr als ein Dutzend neuer Lehrer bekommen – viele davon Quereinsteiger, ohne fachliche Vorerfahrung, und einige von ihnen warfen bald wieder das Handtuch.
Selbst bei den Sozialarbeitern scheint Kontinuität heute nicht mehr selbstverständlich. »Das ist für eine jüdische Schule, initiiert von einer Persönlichkeit wie Heinz Galinski, geeicht auf die solide Verknüpfung von Wissen und jüdischer Identität, natürlich doppelt und dreifach schwer«, sagt Doris Kaminski. »Vielleicht ist das nun die größte Herausforderung in der bisherigen Geschichte der Schule.«
In Berlin haben sich seit den 2000er-Jahren weitere jüdische Schulen etablieren können, die jüdische Bildungslandschaft ist bunter und kompetitiver geworden. Die Heinz-Galinski-Schule steht im Austausch mit den anderen, hat aber auch ehrgeizige Eigenheiten behalten. »Wir waren eine der ersten Schulen, die mit Smartboards ausgestattet waren, und nun geht es mit den Tablets weiter«, berichtet Doris Kaminski nicht ohne Stolz.
team »In den nächsten Jahren wird es aber auch darum gehen, das Team stark zu machen und die jüdischen Aspekte – gerade auch bei den neuen Lehrkräften – ein ganzes Stück nach vorn zu bringen.«
Für ihre Nachfolger wünschen sie sich, »dass man wieder so eine familiäre Atmosphäre wie in den Anfangszeiten entwickeln kann«.
Pieplak und Kaminski wünschen sich für ihre Nachfolger zuvorderst, »dass man wieder so eine familiäre Atmosphäre wie in den Anfangszeiten entwickeln kann«. Gemeinsame Fortbildungen, Kulturerlebnisse und auch Reisen – insbesondere nach Israel – hätten da in der Vergangenheit kleine Wunder bewirkt. Für Ratschläge und ein Stück theoretische Begleitung stehen die beiden auch »nach dem Ausstieg« zur Verfügung.
Das freut auch Schuldirektion Hila Zboralski-Avidan sehr. »Doris Kaminski und Harald Pieplak haben die Entwicklung der HGS von Beginn an begleitet. In dem einen Jahr als neue Schulleiterin habe ich viel von den beiden durch zahlreiche Gespräche gelernt und immer sehr gute Ratschläge erhalten«, weiß Hila Zboralski-Avidan die Arbeit der beiden wertzuschätzen. »Ihre Erfahrung, aber auch ihr fortwährendes Engagement und ihre Leidenschaft werden uns fehlen.«