Es ist nett und einnehmend, dieses Lächeln. Michèle Prigoschin gehört dieses leise und sehr freundliche Lachen aus einem vollen Gesicht. Während sie so fröhlich sitzt und redet, versichert die junge Frau, dass sie schon ernsthaft, »sehr ernsthaft«, darüber nachgedacht hat, Golfprofi zu werden. So ganz passt dieser Satz nicht hier hin, in dieses einfache, recht dunkle türkische Café mit seinen Plastikstühlen. Es ist nicht das Ambiente, in dem man künftige Golfprofis vermutet. Michèle stört das nicht, sie greift ihr Glas und nippt am Tee.
Michèle lebt in Berlin, hat schon vor einem Jahr ihr Abitur gemacht und studiert im zweiten Semester Jura an der Freien Universität. Dabei ist sie erst 17 Jahre alt. Sogar Berliner Meisterin in der Rhythmischen Sportgymnastik war sie schon, hat erfolgreich Tennis gespielt. Und im letzten November hat sie sich als eine von zwei deutschen Spielerinnen für das Finale des renommierten Golfturniers »Faldo Series« in Irland qualifiziert.
Was für eine Bilanz! Doch an diesem leicht kühlen Sommervormittag sitzt Michèle in dem Kreuzberger Café und spricht über die Makkabiade 2013. »Das ist für mich das Highlight des Jahres«, sagt sie, wieder mit dem freundlichen Lächeln. »Ich trainiere fast täglich und bin in guter Form.« Ehrlich fügt sie hinzu: »Allerdings ist die Nationale Ausscheidung sportlich von größerer Bedeutung.« Da geht es um die Zulassung zu den Deutschen Meisterschaften, und diese erfolgreich zu absolvieren, ist der Saisonhöhepunkt. Mit ihrem Trainer und ihren Mitspielerinnen beim Golf- und Land-Club Berlin-Wannsee bereitet sich Michèle auf dieses große Ziel vor.
Riesen-event Zur Makkabiade fährt sie als einzige deutsche Spielerin. »Von den Golfern fahren noch ein Junge und ein Mann mit«, erzählt sie. Bevor es Mitte Juli nach Israel geht, wird sie die beiden noch treffen. »Wir wollen uns bei einer Runde Golf kennenlernen.« Ein bisschen Bammel hat Michèle schon vor dem Riesenevent in Israel. »Sogar meine Juraklausuren habe ich wegen der Maccabiah verschoben«, sagt sie. Wie die Konkurrenz beim größten jüdischen Sportfest der Welt sein wird, weiß sie noch nicht.
Andere jüdische Golfspielerinnen in ihrem Alter kennt sie nicht. »Außerdem muss ich mir in Israel einen anderen Rhythmus angewöhnen.« Weil es nämlich in Cäsarea heiß ist, finden die Wettkämpfe schon sehr früh statt. Für Michèle heißt das: um fünf Uhr aufstehen, um sechs Uhr vom Hotel in Haifa losfahren, und um sieben Uhr mit dem Wettkampf beginnen. »Außerdem muss ich mir angewöhnen, viel mehr Wasser am Tag zu trinken, um der wallenden Hitze standhalten zu können.«
Für die Reise hat die Familie Prigoschin tief in die Tasche greifen müssen. Der Deutsche Olympische Sportbund wird den Wettkampf nämlich erst nach den Olympischen Spielen 2016, bei denen Golf erstmals olympische Disziplin ist, unterstützen. Die Teilnehmer müssen deswegen die Kosten in Höhe von mehreren Tausend Euro selbst tragen. Michèle hat im Vorfeld viele E-Mails verschickt, auf der Suche nach Sponsoren. Allerdings hat sie nur einen gefunden, mit einem kleinen Betrag, aber dafür ist die Familie sehr dankbar.
Michèles Eltern fahren mit nach Israel. »Zur Unterstützung«, wie der Vater sagt. Auch er lächelt dabei freundlich. Und seine Tochter macht überhaupt nicht den Eindruck, als sei ihr das unangenehm. Das Projekt Spitzensport ist im Hause Prigoschin ein Familienunternehmen. Auch ihre Pläne, eventuell ins Profilager zu wechseln, werden von den Eltern unterstützt. »Viel Training, Disziplin und Ehrgeiz« bräuchte es, um aus dem Hobby einen Beruf zu machen, sagt Michèle. Und Vater Alexander ergänzt: »Und einen guten Trainer.«
Zukunft Vielleicht bietet Amerika eine Perspektive: ein Stipendium an einer der großen Universitäten. »Der Trainer von Nick Faldo, einem der besten europäischen Golfer aller Zeiten, hat mir eine Recommendation gegeben«, erzählt Michèle. Nun hat sie den seriösen Tonfall einer Jurastudentin drauf, nicht die Begeisterung einer 17-Jährigen. »Generell würde ich gerne nach Amerika gehen«, formuliert sie bedacht. »Im zweiten Semester ist das auch noch möglich.«
Auch hier nickt Alexander Prigoschin zustimmend. Amerika wäre auch für ihn, den Mittfünfziger, eine gute Möglichkeit. In Moskau war er an einer technischen Universität, studierte mit einem Stipendium, bei dem er so viel Geld wie ein Ingenieur erhielt. »Daneben habe ich noch als Übersetzer gearbeitet, ich spreche Englisch, Deutsch und Japanisch.«
Doktor Alexander Prigoschin war in der Sowjetunion ein erfolgreicher Dozent und Wissenschaftler – »bis die Perestroika kam«. Seine Zukunft sah plötzlich gar nicht mehr sicher aus, die Löhne für Hochschullehrer sanken, 1993 entschied sich die ganze Familie, nach Deutschland zu gehen. »Es hieß, wir wären Flüchtlinge, aber wir sind nicht geflohen, wir sind ausgereist.«
Stolz Erste Station war Oldenburg, hier wurde Michèle geboren. Danach zogen die Prigoschins nach Berlin. In Kreuzberg fanden sie eine schöne Wohnung. Michèle sitzt neben ihrem Vater, hört ruhig zu und sagt dann: »Sie sehen, aus mir musste ja etwas werden!« Alexander Prigoschin lächelt dazu. Stolz. Dann sagt er: »Das ist unser Prinzip. Keine Zeit verlieren. Die Einstellung, dass das Leben nur Spaß machen soll, nein, die habe ich nicht.« Michèle widerspricht dem nicht. »Wenn man Sport treibt, muss man auch Leistung wollen«, sagt sie. »Nur Sport betreiben, ohne etwas erreichen zu wollen – das ergibt keinen Sinn für mich.«
Leistung, Zielstrebigkeit, Erfolg. Das sind wichtige Punkte für die Familie Prigoschin. Zehn Jahre hat Michèle im »Russischen Haus« in Berlin die Sprache ihrer Eltern gelernt, obwohl zu Hause Russisch gesprochen wird. »Jetzt hat sie das höchste Sprachzertifikat erhalten«, erzählt der stolze Vater. »Ich achte darauf, dass sie noch feiner und präziser spricht. Sie soll mehr lesen, mehr in Konzerte gehen und weniger Facebook und die anderen sozialen Netzwerke nutzen.«
Viele Ethnien nebeneinander, das findet er gut. Er fühlt sich wohl in Kreuzberg, hier, im türkischen Café, und ohne die vielen Nationen in diesem Bezirk würde ihm etwas fehlen. Wichtig seien die kulturellen Wurzeln. »Man muss wissen, was die Eltern und Großeltern taten«, sagt er.
Entwicklung Michèles Vater hat die Erfahrung gemacht, dass Eltern oft eingreifen müssen, um Fehlentwicklungen aus der Schule oder anderen Teilen der Gesellschaft zu korrigieren. Auch deswegen unterstützt der frühere Basketballer und Skilangläufer die sportlichen Ambitionen seiner Tochter. Im Sport, so Alexander Prigoschin, werden wichtige Werte vermittelt.
Und Michèle sagt, dass er recht hat. Der Golfsport, sagt sie, hilft ihr bei ihrem Studium, und ihre Erklärung klingt, als hätte die Jurastudentin auch eine Begabung für Soziologie: »Golf ist ja nicht nur Sport. Leistungssport ist ja immer ein langer Prozess. Viereinhalb Stunden muss ich konzentriert sein, stellen Sie sich das mal vor!«
Das zeigt auch, was sie so faszinierend an diesem Sport findet. »Beim Golfen ist das Mentale wichtig. Physisch ist Golf nicht so anstrengend, aber man muss psychisch fit sein«, erklärt sie. »Man ist dabei, eine gute Runde zu spielen, und dann muss man sich noch am 18. Loch konzentrieren können, um die Runde wirklich gut abzuschließen. Auch die letzten zehn Minuten sind entscheidend für das Gesamtergebnis.«
Fokus Dass Golf das Image des Rentnersports hat, ist ihr gleichgültig. Für sie ist es ein perfekter Sport: sich auf ein Ziel fokussieren, das Wichtige von Unwichtigem trennen können. Neben dem Jurastudium und ihrem Sport ist ihr aber auch das Judentum wichtig. »Ich gehe oft zum Schabbatgottesdienst.« Aber, fügt sie hinzu: »Den Schabbat zu halten, fällt mir schwer, am Samstag sind ja meist die Golfturniere.«
Leistungssport und Judentum, das sieht sie in ihrem Verein verbunden. Der Golf- und Land-Club Berlin-Wannsee wurde von einem Berliner Juden mitbegründet, Herbert M. Gutmann. »An ihn wird mit einer Gedenktafel am Klubhaus erinnert«, erzählt Michèle. Und darauf ist sie etwa so stolz wie auf den Umstand, dass sie in der Mädchenmannschaft eines der besten Golfklubs in Deutschland spielt.