Hamburg

Abi mit Geschichte

Haben die Hochschulreife: die 15 Abiturienten des Joseph-Carlebach-Bildungshauses Foto: Joseph-Carlebach-Schule

Antonio und Arthur, Dana, Eden und Elias, Julia und Julius, Lilja, Mariam, Mark und Michelle, Noemi, Sabine, Veronika und Yanki – das sind die 15 Hamburgerinnen und Hamburger, die mit ihrem Abitur zugleich ein Stück jüdische Geschichte in der Hansestadt schreiben.

Sie sind die ersten Jugendlichen, die nach der Schoa an der Stadtteilschule des Joseph-Carlebach-Bildungshauses der Jüdischen Gemeinde Hamburg ihr Abitur bestanden. 1942 schloss der NS-Senat die damalige Talmud Tora Schule, und die meisten der 28 Lehrer und damals 343 Schüler wurden in die Vernichtungslager deportiert und ermordet.

78 Jahre später wird mit diesem ersten Abitur ein lang gehegter Traum für das 2007 gegründete Jüdische Bildungshaus in Hamburg wahr. Das Projekt »Jüdisches Bildungshaus« ist in ganz Deutschland einmalig. Ziel des Bildungshauses ist es, eine Lehr- und Lernkultur zu entwickeln, die den individuellen Interessen und Voraussetzungen jedes einzelnen Kindes entspricht. Zudem steht das Bildungshaus jüdischen, aber auch nichtjüdischen Kindern offen. Durch diese Profile verzeichnet das Bildungshaus eine hohe Bewerbungszahl.

Notendurchschnitt Mit dem ersten Abi-Jahrgang nach der Schoa hat die Schule bravourös bewiesen, dass sie ihr Ziel erreicht hat. »Die Joseph-Carlebach-Schule ist mit einem Notendurchschnitt von 2,15 die beste Stadtteilschule Hamburgs«, sagte Franziska von Maltzahn, seit vier Jahren Leiterin des Joseph-Carlebach-Bildungshauses, bei der virtuellen Abi-Feier stolz.

Das Joseph-Carlebach-Bildungshaus knüpft vor allem mit der Schule an eine alte Tradition an und ist folglich auch dort zu Hause, wo schon die Großeltern einiger der jetzigen Abiturienten ihre Reifeprüfung ablegten: der Talmud Tora Schule im ehemals jüdischen Grindelviertel der Hansestadt – ein historischer Ort. Was auch ausschlaggebend dafür war, das Bildungshaus nach dem letzten Oberrabbiner Hamburgs, Joseph Carlebach, zu benennen. Fast 80 Jahre, nachdem die Nazis Joseph Carlebach mit seiner Ehefrau und seinen Töchtern in Riga ermordeten, wird der legendäre Oberrabbiner durch die Schule und das junge Leben an der Schule wieder geehrt.

»Vor zehn Jahren war es noch ein Traum, dass Hamburg wieder ein Ort für jüdische Bildung wird.«

Hamburgs Gemeindevorsitzender Philipp Stricharz

»Joseph Carlebach wäre sehr stolz auf euch«, rief Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, den 15 Abiturienten per Video-Botschaft zu. »Wir brauchen junge Menschen, die selbstbewusst ihr Judentum leben, und wir brauchen junge Menschen, die Juden nicht als etwas Befremdliches wahrnehmen«, lobte Schuster die Überreligiösität der Schule.

Traum »Vor zehn Jahren war es noch ein Traum, dass Hamburg wieder ein Ort für jüdische Bildung wird«, sagte Philipp Stricharz. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg dankte auch seinen Vorgängern, darunter dem am 21. November 2019 verstorbenen Bernhard Effertz sel. A., für ihr Engagement. »Doch die echten Helden seid ihr und eure Eltern, denn ihr seid es, die 75 Jahre nach der Befreiung Deutschlands von der Nazi-Diktatur das erste Abitur am Jüdischen Bildungshaus ablegen, ihr habt Geschichte geschrieben«, lobte Stricharz auf der Abifeier.

Vorbild des Hamburger Bildungshauses mit zurzeit bis zu 250 Schülern ist das Bildungshaus in Wien. Es begleitet, behütet, unterrichtet und formt die Kinder von der Krippe bis zum Abitur. Stefanie Szczupak vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde und Schulleiterin Franziska von Maltzahn haben das Wiener Haus besucht und waren begeistert. Dort gibt es kleine Klassen, Ruhe- und Leseinseln und vor jedem Klassenzimmer einen Garderobenraum mit Schmutzschleuse.

»Wir wollen ein Bildungshaus ganz im Sinne und auf der Basis der Erkenntnisse von Rabbiner Joseph Carlebach errichten, der seiner Zeit stets voraus dachte«, sagte Stefanie Szczupak in der Gründungsphase des Bildungshauses.

Kinder und Jugendliche von der Krippe bis zum Abitur befinden sich unter einem Dach.

Kinder und Jugendliche von der Krippe bis zum Abitur, jüdische und nichtjüdische Kinder, Kinder mit Handicap und mit besonderen Begabungen finden gemeinsam unter einem Dach ein Zuhause und damit eine Stätte, die ihnen das Gefühl gibt, jederzeit in einer ihnen vertrauten Umgebung willkommen zu sein. Start in den Tag ist ein Morgengebet, jüdischer Religionsunterricht und Hebräisch stehen für alle Schüler, egal, welcher Herkunft, auf dem Stundenplan.

Die Schüler kommen aus ganz Hamburg und aus den umliegenden Gemeinden der Kreise Pinneberg, Segeberg und Stormarn. »Wir haben auch Schüler, deren Eltern aus Israel, den USA oder anderen Ländern nach Hamburg kommen, um in Deutschland zu arbeiten, und sie wählen Hamburg, weil es hier für ihre Kinder eine gute jüdische Schule gibt«, sagte Stefanie Szczupak. Und: »Dies ist heute ein bedeutender Tag in der Geschichte des Hamburger Judentums!«

sonnenblumen Bei der Einschulung erhält jedes Kind eine Sonnenblume, verbunden mit Wünschen wie Verantwortung, Humor und Optimismus, jüdische Identität, Stolz, Erfolg, Mut, Begeisterung, Selbstvertrauen, Pioniergeist und Zufriedenheit. Mit dieser reichen Symbolik entließen Franziska von Maltzahn und Stefanie Szczupak die 15 Jugendlichen ins Erwachsenenleben. »Hineni! – Hier bin ich!«, rief die Schulleiterin ihren (bald) ehemaligen Schützlingen zu und ergänzte: »Ihr habt einen starken Einfluss auf die jüdische Gemeinde, ihr habt diese Schule mit aufgebaut, jetzt holt euch das Leben!«

Schulrabbiner Shmuel Havlin erinnerte an Miriam Gillis-Carlebach sel. A., Tochter von Joseph Carlebach und Professorin für Pädagogik, Soziologie und jüdische Geschichte: »Ihre Vision und die ihres Vaters lebt hier weiter.« Hamburgs Schulsenator Ties Rabe lobte noch einmal die Idee der jetzigen Abiturienten, die für eine App, mit der sie die ehemalige Bornplatz-Synagoge virtuell begehbar machten, den Margot-Friedländer-Preis der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa erhielten.

In ihrem Grußwort sagte Hamburgs Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit: »Helfen Sie, das jüdische Leben in Hamburg wieder hör- und sichtbar zu machen.«

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