Mit einem historischen Rückblick begann Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, seine Rede vor den versammelten Gästen – den Abiturienten, Schülerinnen und Schülern, dem Kollegium des Helene-Habermann-Gymnasiums, Verwandten und Bekannten. Vor 35 Jahren war er nach Moskau gezogen, nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs musste er 2022 von dort emigrieren.
Am Anfang seiner Tätigkeit hatte ihm einst der rumänische Oberrabbiner Moshe Rosen geraten: »Das Wichtigste, was für eine jüdische Gemeinde erbracht werden kann, ist der Aufbau einer jüdischen Schule.« Die jüdische Schule bilde die Grundlage der Gemeinde und stärke ihren Zusammenhalt. Mit dem Helene-Habermann-Gymnasium sei es Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, gelungen, diese Vision zu verwirklichen. Mit Nachdruck in der Stimme unterstrich Rabbiner Goldschmidt diese Leistung.
Nun, acht Jahre nach der Gründung und bald vier Jahre nach dem Umzug in das neue Gebäude im Fasangarten, sei die Schule mit den ersten Absolventen ein »richtiges Gymnasium« geworden, so die IKG-Präsidentin in ihrer Ansprache. Das sei ein historischer Moment. Die Vorgängereinrichtung, das 1946 eröffnete Hebräische Gymnasium in der Möhlstraße, war schon 1951 wieder geschlossen worden. Nun aber konnte Charlotte Knobloch unter großem Applaus verkünden: »Jetzt ist es so weit: Wir feiern den ersten Abiturjahrgang!«
Charlotte Knobloch gratulierte im Namen des IKG-Vorstands sowie der gesamten Kultusgemeinde.
Die Namen der sieben Abiturientinnen und Abiturienten verlas sie vor der ganzen Festversammlung und gratulierte im Namen des Vorstands sowie der gesamten Kultusgemeinde: Marc Alter, Max Ehrlich, Victor Kuglmeier, Michelle Linke, Christian Linke, Hannah Margolis und Liel Millward. Auf sie warteten jetzt die Möglichkeiten des Studiums und der Berufswelt: »Ihr habt mit eurem Streben, eurer Neugier, eurer Disziplin und eurem Fleiß das wahr gemacht, was wir für euch erträumt haben. Aber nicht um unsere Träume geht es, sondern um eure! Euch steht die Welt offen, auch wenn uns vieles derzeit mit Sorgen erfüllt.« Sie seien die Pioniere des Helene-Habermann-Gymnasiums und könnten sich selbst das beste Vorbild dafür sein, dass sie das schaffen können, was sie sich vornehmen.
Begrüßung der Ehrengäste
Nach der Begrüßung der Ehrengäste – unter ihnen Zentralratspräsident Josef Schuster, die israelische Vizekonsulin Kasa Bainesai-Harbor und Ludwig Spaenle, der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe – versäumte es Charlotte Knobloch nicht, zwei entscheidende Mitverantwortliche für den Aufbau des Gymnasiums zu würdigen: Eugen Alter, Vorstandsmitglied der IKG, und Schulleiterin Miriam Geldmacher waren von Anfang an aktiv dabei.
»Mit aller Kraft und unglaublicher Beharrlichkeit hat sich Eugen Alter für dieses Projekt eingesetzt – zuerst im Elternbeirat der Sinai-Grundschule und bald auch im Vorstand. Dort leitet er die Kommission für das Gymnasium.« Knobloch konnte Alter gleich doppelt gratulieren, denn er war nicht nur als Vorstand, sondern auch als stolzer Vater des Absolventen Marc Alter zur Feier gekommen. Schulleiterin Miriam Geldmacher und dem Kollegium attestierte sie exzellente fachliche Kompetenz, vor allem aber einen »geradezu eisernen Willen, dieses jüdische Gymnasium allen Widrigkeiten zum Trotz gelingen zu lassen«.
Eröffnet hatte den Abend der Zehntklässler Elmar Mishiev, der sich unter tosendem Applaus seiner Mitschüler an den Flügel setzte. Er präsentierte Variationen über die von Klaus Badelt und Hans Zimmer komponierte Filmmusik »He’s a Pirate«. Zu diesem Stück war schon acht Jahre zuvor bei der Eröffnungsfeier des Gymnasiums getanzt worden, und Mishiev bewies nun mit seinen Variationen über die eingängige Melodie, mit den weit gespannten d-Moll-Arpeggios und schnellen Läufen sein pianistisches Können.
Humorvolle szenische Lesung
Sein Auftritt blieb nicht die einzige künstlerische Darbietung auf der Bühne des Hubert-Burda-Saals. Eine humorvolle szenische Lesung mit dem Titel »Damals in der Unterstufe« präsentierten die Fünftklässler Alexander Chibisov, Dora Flake, Itay Gluzman, David Izevbizua, Lea Muallem, Amely Valek, Dinara Yalalova und Felix Zabarah. Das Bühnenbild: große rote Deutschhefte, die den Schülern als Pult dienten, an dem sie Texte aus den Anfangstagen des Gymnasiums vortrugen.
So wurde ein Brief an die Gemeindepräsidentin zwecks Genehmigung eines Bienenstocks auf dem Dach verlesen und das Protokoll einer ausgiebigen Diskussion der Schüler darüber, ob das Telefonverbot im Unterricht für faire Spickzettel nicht doch unabdingbar sei.
Die jungen Tanztalente Lilia Bolshakova und Volodymyr Sokor führten eine tänzerische Interpretation der Corona-Krisenzeit auf. Während auf der Leinwand Bilder aus Tagen zu sehen waren, als auch am Helene-Habermann-Gymnasium mit Online-Unterricht »Social Distancing« gewahrt werden musste, zeigten die beiden, welche Bedeutung gerade der körperlichen Bewegung auch damals zugekommen wäre.
Den humoristischen Faden der Darbietungen nahm Eugen Alter in seiner Ansprache auf. Für jeden Studienwunsch der Schüler hatte er eine treffende Pointe parat. Die Messlatte war klar: In zehn Jahren wäre ein Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften wünschenswert, eine neue Staranwältin stünde schon in den Startlöchern und ebenso zwei Psychologinnen, die für ihre therapeutischen Künste gebraucht würden.
»Du sollst in Ruhe Physik studieren. Promoviere in Ruhe. Habilitiere in Ruhe«
Auch für seinen eigenen Sohn hielt er die Erwartungen angemessen niedrig: »Du sollst in Ruhe Physik studieren. Promoviere in Ruhe. Habilitiere in Ruhe. Kein Stress! Aber wir sind uns doch alle einig, dass es höchste Zeit ist, dass die TU München einen jüdischen Physikprofessor bekommen soll, oder?«
Auch Miriam Geldmacher nutzte ihre Ansprache, um sich persönlich an die Absolventen zu wenden, die sie als Lehrerin lange begleitet hatte. Sie wählte dabei einen ernsten Ton und verbarg auch ihre Rührung nicht. Ausführlich ging sie auf die jeweilige Persönlichkeit ihrer Schüler ein, auf die Entwicklungen vom schüchternen Kind zur lebhaften Erwachsenen, auf die poetischen Talente, auf die Fähigkeiten auf dem Fußballplatz, auf die jungen Denker und Verantwortungsträger. »Jetzt wird unsere Schule in das Abenteuer Zukunft weitersegeln ohne ihre Gründerklasse.« Es ist das Segel, das auch im Schullogo zu sehen ist.
Harry Habermann erinnerte anschließend bei der erstmaligen Verleihung der Helene-Habermann-Medaille an seine Mutter, deren Namen das Gymnasium trägt. Sie hatte ihre Schulzeit im Alter von 13 Jahren abbrechen müssen, ihre gesamte Familie wurde in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet. Sie selbst überlebte und blieb schließlich mit ihrem Mann in Deutschland. Von großer Bedeutung sei ihr stets gewesen, »jüdische Werte und jüdische Tradition zu leben«, erinnerte sich Harry Habermann.
Helene-Habermann-Medaille für besondere Leistungen
Auch für die Bildungsarbeit der Gedenkstätte Yad Vashem habe sie sich großzügig engagiert. Erstmalig konnte nun die nach ihr benannte Medaille für besondere Leistungen verliehen werden. Marc Alter durfte diese Auszeichnung in Empfang nehmen. Mit seinem Aufsatz über »Evolutionstheorie und Schöpfungsgeschichte« hatte er Schulleiterin Miriam Geldmacher überzeugt.
Ausführlich ging Miriam Geldmacher auf die jeweilige Persönlichkeit ihrer Schüler ein.
Zum Abschluss des Abends wurde es wieder heiter und emotional. Vor der Zeugnisvergabe gab es das Stimmen-Sampling »Der Endspurt zum Abitur«. In ihrem unterhaltsamen Film-Projekt hatten die Elftklässler Veronica Afrina, Flora Kanyo, Vera Shutin, Sonja Koshis und Ida Kessner Interviews mit Lehrkräften (nicht nur) über die Leistungen ihrer Schüler zusammengestellt.
Einen besonderen Esprit bewiesen die Abiturientinnen und Abiturienten in ihren Reden. Insbesondere Christian Linkes amüsante Selbstironie lockerte die Stimmung vor den Danksagungen für den Lehrkörper. Den Segensgruß sprach Religionspädagoge German Djanatliev. Zum emotionalen Abschluss sang die gesamte Schüler- und Lehrerschaft unter dem Dirigat von Moderator Eitan Küppers-Levi das Lied »Or gadol«. Danach wurde, köstlich verpflegt vom Restaurant »Einstein«, noch lange gefeiert.