Für die Teilnehmer von Kurs 21221010 der Volkshochschule Dülmen – Haltern am See – Havixbeck müssen die drei Märztage in Erfurt eine kleine Zeitreise gewesen sein: Denn die Exkursion in die thüringische Landeshauptstadt verschlug sie nicht nur ins 4. Jahrhundert, in die lange Zeit des Mittelalters und in die Neuzeit. Unter dem Titel »1700 Jahre Jüdisches Leben in Erfurt – Studienseminar« kamen viele – vielleicht zum ersten Mal – mit der jüdischen Geschichte der Stadt in Kontakt und erfuhren, was eine Mikwe ist und wie Juden damals lebten.
Die Reise ist nur eines von vielen Hundert Angeboten, die die Volkshochschulen im Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« in ihr Programm aufgenommen haben. Und das war insgesamt vielfältig, reichte von Kochkursen, Lesungen bis hin zu aktiven Begegnungen mit dem Alltag von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Vielen Volkshochschulen in kleineren Orten war es ein besonderes Anliegen, sich diesem Thema zu widmen.
Aufnahme Wie diese Angebote aufgenommen wurden, welche Schlüsse sich aus dem im Juli zu Ende gehenden Festjahr ziehen lassen, darüber sprachen am Mittwoch vergangener Woche Annegret Kramp-Karrenbauer, Präsidentin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, Sylvia Löhrmann, Generalsekretärin des Vereins »321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«, Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Esther Joy Dohmen, Leiterin der VHS Dülmen – Haltern am See – Havixbeck. Dohmen ging besonders auf die Bedeutung der Erinnerungskultur ein: »Die Zeit war reif, das zu vertiefen und einen Regionalbezug herzustellen«, betonte sie.
Auch deshalb seien Begegnungsprojekte von enormer Wichtigkeit – auch wenn dies erst einmal eine Begegnung mit jüdischer Geschichte bedeute und weniger ein aktives Treffen mit jungen Juden wie zum Beispiel bei dem Zentralratsprojekt »Meet a Jew«, auf das Zentralratspräsident Josef Schuster in seinem Impulsvortrag einging. »Das aktuelle jüdische Leben in Deutschland aus erster Hand kennenzulernen, das ist die Idee hinter ›Meet a Jew‹.«
Es gebe »hervorragend engagierte Lehrerinnen und Lehrer«, sagte Schuster. Viel zu oft hänge es »jedoch vom Engagement der einzelnen Lehrkraft oder der jeweiligen Schulleitung ab, ob und, wenn ja, in welchem Ausmaß Antisemitismus oder Themen rund um heutiges jüdisches Leben in seiner ganzen Vielfalt Platz im Unterricht finden«.
Schuster betonte aber auch: »Jüdisches Leben ist mehr als nur der Holocaust, es ist mehr als der Nahostkonflikt, es ist mehr als der Kampf gegen Antisemitismus. Viel mehr.« Deswegen sei es an der Zeit, die Curricula zu überarbeiten.
Vorhaben Kann es ein Festjahr schaffen, Vorurteile abzubauen? Vielleicht liegt die Antwort darauf in der Zeit. Ein Festjahr sei in jeder Hinsicht eine »Ermutigung weiterzugehen«, betonte die Präsidentin des VHS-Dachverbands, Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Volkshochschulen seien Orte des Entdeckens.
»Wir waren schon immer viele und wir waren schon immer vielfältig«, sagte die frühere CDU-Vorsitzende. Dass die »Zeit reif war«, ein »Entdeckungsjahr« zu machen, das hob Sylvia Löhrmann hervor, die sich vor allem froh und dankbar zeigte, dass »alle an einem Strang gezogen haben und dass die Zivilgesellschaft mitgemacht hat«.
Viele Schüler treffen bei »Meet a Jew« zum ersten Mal auf junge Juden.
Löhrmann sprach die Niedrigschwelligkeit der Angebote im Festjahr an, die jüdisches Leben nahbar gemacht haben. Ein Podcast, der zu jeder Zeit und von jedem Ort in der Welt zugänglich sei, sei nur ein Beispiel dafür. Auch der Online-Kurs »Jüdisches Leben« der VHS Thüringen, der von Januar 2021 bis Ende März 2022 lief, ist ein Beispiel für ein solches niedrigschwelliges Angebot, wie Löhrmann hervorhob.
Selbstlernkurs Ein Selbstlernkurs, der den Volkshochschulen zur Verfügung steht und ab Herbst in das Programm aufgenommen werden kann. 96 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen an diesem Kurs teil und erhielten »Einblicke in das Leben verschiedener Persönlichkeiten«, konnten so »die 1700-jährige Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland lebendig« werden lassen. Digital, versteht sich.
Dass es aber auch Gedrucktes gibt, das an dieses Festjahr erinnert, das zeigte Sylvia Löhrmann dann noch am Ende der Diskussion: Endlich hatte sie Gelegenheit, Zentralratspräsident Schuster das Sonderpostwertzeichen »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« zu überreichen, das sie seit dem 11. Februar 2021 bei sich trug.