Marianne Dora Reins letztes Gedicht Spätsommer handelt von der Natur, vom gelben Korn und »Abendgrün«. Das war im August 1941. Kurz darauf wird die 30-jährige Würzburgerin nach Riga deportiert und ermordet. Bald geriet sie in Vergessenheit. Dann stieß Rosa Grimm, Geschäftsführerin der Würzburger Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, im Marburger Literaturarchiv auf ihren Namen. Eine fast 20-jährige Recherche begann.
Ein Opernglas aus Perlmutter, eine bronzene Glocke und drei Kerzenleuchter wurden einer Gestapo-Akte zufolge 1940 in der Wohnung von Marianne Rein und ihrer Mutter sichergestellt. Die Akte gehört neben den Briefen der 1911 in Genua geborenen, seit 1917 in Würzburg wohnenden Rein zu den wenigen Quellen, die von der jüdischen Dichterin erzählen.
Nachlass Erhalten sind außerdem 84 Gedichte, die Rein an den jüdischen Schriftsteller Jakob Picard und an Freundinnen schickte, außerdem einige Prosatexte. Rosa Grimm trug das Material seit 1993 für ein Buch über die Schriftstellerin zusammen. »Mit manchen Briefauszügen hatte ich Probleme«, sagt die 76-Jährige, die sich während ihrer Recherchen immer tiefer mit Marianne Rein verbunden fühlte.
Durfte sie die Dichterin derart »preisgeben«? Sollte jeder wissen, dass sie sich in Picard, den sie nie persönlich kennengelernt hat, allmählich verliebte? Sollte sie so intime Details wie Reins Bekenntnis, sie leide unter Platzangst, an die Öffentlichkeit bringen?
Grimm entschloss sich schließlich, auch sehr persönliche Quellen zu publizieren. Bewusst ist ihr, dass sie wahrscheinlich Diskussionen über die literarische Qualität der neu entdeckten Würzburger Lyrikerin auslösen wird. Reins Gedichte sind leicht zu dechiffrieren, in ihren Briefen formuliert sie meist einfach. Wie es ihr wirklich ergangen ist im Würzburg während der Zeit des Nationalsozialismus, geht aus ihnen kaum hervor. Für Rosa Grimm ist Marianne Rein dennoch »faszinierend«: »Ich bewundere sie dafür, wie sie den einmal eingeschlagenen Weg des Schreibens trotz widriger Umstände weitergeht.« Und sie schätze sie wegen ihres ungebrochenen Optimismus.
Sehnsucht »Ich fühle eine innere Ruhe und Ausgeglichenheit, die mir ganz fremd ist«, schreibt Rein am 7. Oktober 1941 an den nach New York ausgewanderten Picard. Die Situation hatte sich damals für sie bereits zugespitzt. 50 Tage später wurde sie deportiert. Eine »Sehnsucht nach dem Guten« durchzieht das schmale Werk der Schriftstellerin, die vergebens versuchte, Nazideutschland zu verlassen.
Warum dies nicht gelang, bleibt im Dunkeln. Grimm: »Vielleicht konnte sie sich nicht entscheiden. Oder die Sorge war zu groß, wovon sie im Ausland existieren sollte.« Rein blieb und versuchte, das Beste aus ihrer Lage zu machen. Selbst der Zwangsarbeit in einem Altersheim gewann sie positive Seiten ab. Die Arbeit bekomme ihr körperlich und seelisch gut, heißt es in ihrem letzten Brief an Picard.
Dass Rosa Grimm das Leben der Dichterin erforschte und das Würzburger Theater anlässlich ihrer Buchpräsentation am 27. Januar Texte der Lyrikerin präsentierte, ist für Josef Schuster, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Würzburg, höchst anerkennenswert. Offenbare sich doch, so Schuster, am Beispiel der so jung ermordeten Lyrikerin die ganze Perversität des NS-Regimes.