Für Charlotte Knobloch zählt die jährliche Verabschiedung des Abiturjahrgangs zu ihren schönsten Aufgaben. Der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde ist es »Freude und Privileg«, den Abiturienten, die sie größenteils von Kindesbeinen an kennt, zum erfolgreichen Schulabschluss zu gratulieren.
Ausdauer Fleiß, Disziplin, Zielstrebigkeit, Geduld und Ausdauer attestierte sie den elf jungen Erwachsenen und wünschte ihnen bei der traditionellen Abschlussfeier im jüdischen Gemeindezentrum, dass sie für ihre Zukunft »die richtige Entscheidung treffen und den Weg wählen, der euch am Ende glücklich macht«.
Die drei jungen Frauen und acht Männer im Blick, versprach die IKG-Präsidentin: »Die Türen unserer – eurer – Gemeinde stehen euch immer offen« und betonte weiter: »Wenn ihr jetzt die Schule verlasst, geht ihr hinaus nicht nur als Erwachsene, sondern als Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft und als Träger unserer gemeinsamen jüdischen Tradition.«
Freude, Stolz und Wehmut bestimmen jedes Jahr die Gefühle der Eltern und Großeltern, weil ihnen bewusst wird, dass ein langer Lebensabschnitt beendet ist und durch Neues und Unbekanntes abgelöst wird.
Glückwunsch Ministerialrat Wolfgang Mutter vom bayerischen Kultusministerium ließ es sich nicht nehmen, die jungen Erwachsenen in München persönlich zu beglückwünschen. Von insgesamt 37.000 Abiturienten, die in Bayern ihre Reifeprüfung ablegten, hatten diese jungen Erwachsenen eine anspruchsvolle Prüfung in jüdischer Religionslehre bestanden. Wie anspruchsvoll, das zeigten drei Abiturienten exemplarisch mit Resümees ihrer Facharbeiten.
Der erste Redner, David Weissmann, referierte über »Juden im russischen Zarenreich«. Über 500 Jahre russische Judenfeindlichkeit fasste er kurz zusammen. Besonders eindrücklich war, wie Juden, denen der Zutritt ins russische Kernland verboten war, überhaupt unter russisches Joch – verbunden mit dem Zwang zu 25-jährigem Militärdienst – geraten konnten. Nämlich durch die Aufteilung Polens an Preußen, Österreich – und eben Russland.
Nietzsche Irene Miziritska hatte sich durch das Werk Friedrich Nietzsches gearbeitet und untersucht, inwieweit er als »geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus« verstanden werden kann. Entscheidend dazu beigetragen hatten seine eindeutig antisemitisch gesinnte Schwester Elisabeth, die Hitler im Nietzsche-Archiv in Weimar empfing, und ihr Mann. Ein tagesaktuelles Thema aus jüdischer Perspektive hatte sich Ilja Babkin vorgenommen.
»Umwelt-Ethik und ökologische Nachhaltigkeit im Judentum«. Gott habe den Menschen mit der Fähigkeit ausgestattet, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das Gebot »Tikkun Olam« ziele auf die Verbesserung. Ökologische und soziale Nachhaltigkeit seien schon in der Tora benannt. Vom Schmittajahr über das Neujahr der Bäume bis zu israelischen Start-up-Unternehmen, die sich um Wasserspeicherung und Behebung von menschengemachten Naturkatastrophen wie Tankerunfällen kümmern, reiche das Spektrum.
Lehrer Michaela Rychlá, Leiterin des religiösen Erziehungswesens und Lehrbuchautorin, die durch den Abend führte, dankte ihrem Kollegen German Djanatliev für seine ausgezeichnete Arbeit. Der Oberstufen-Religionslehrer, der jede Woche zwischen seinem Wohnort Nürnberg und München pendelt, ist bei seinen Schülern sehr beliebt.
Hingabe Wie Marcus Schroll sel. A., der unvergessen ist, engagiert auch er sich bei jedem Jahrgang höchst intensiv. In seiner Rede an die Abiturienten sprach Djanatliev von seinen Lehrern und Rabbinern, die ihn einst – vor seiner Emigration aus dem Kaukasus – »durch ihre Hingabe an ihre Tätigkeit« beeindruckt haben.
Wichtige Elemente sind für ihn »jüdische Bildung, politische Aufklärung, Analyse des aktuellen Geschehens in der Welt, die Finanzethik, die Entwicklung der jüdischen Identität und der Staat Israel«. Für Djanatliev »war die Schule des Judentums niemals einseitig«. Und so freute er sich schon auf den dreitägigen Ausflug dieses Jahrgangs nach Berlin, für den die IKG-Präsidentin sogar einen Besuch beim Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble einplanen konnte.
Talmud Mit dem talmudischen Gedanken, dass die Welt dank des Atems der Kinder bestehe, begann Irene Miziritska die Schüler-Abschlussrede. Zum Jahrgang 2007 bis 2019 zu gehören, bedeute für sie, Teil des ersten Jahrgangs der Sinai-Grundschule im neuen Jüdischen Gemeindezentrum gewesen zu sein. Ohne Charlotte Knoblochs Wirken wäre dies undenkbar.
»Ihr verdanken wir, dass wir heute hier sind«, resümierte Miziritska, die zuvor einen Bilderreigen projiziert hatte, zu dem alle elf Abiturienten Fotos – egal, ob als Dreikäsehoch, Purim-Prinzessin, Batmizwa-Mädchen oder cooler Teenager – beigesteuert hatten. Einen Wermutstropfen hatte Carmen Targownik allerdings. Am Vorabend hatte es ein Treffen der ersten Klasse der Sinai-Schule von 2007 gegeben. Damals seien sie 30 gewesen. Ihr Appell war klar: Jüdischer Religionsunterricht sollte an allen Schulzweigen eingeführt werden.
Musik Frauenpower gab es nicht nur am Anfang und Ende des Abends, sondern auch musikalisch. Ilhamä Bouniatzade, Mutter des Abiturienten Jurij Belenkiy, unterhielt mit ihrem großen Können als Pianistin und Komponistin.