Paul Spiegel sel. A. musste sein Leben lang die Rolle des Starken, des Vorreiters, des Leitbildes der jüdischen Jugend und später der jüdischen Bevölkerung in Deutschland, spielen. Dabei war er eine empfindsame, verletzliche, gütige Seele, dessen langjährige Freundschaft mir unglaublich viel dazu verholfen hat, auch mein eigenes Ich zu finden.
Als wir uns 1958 in Düsseldorf kennenlernten – Paul war nur knappe zwei Jahre jünger als ich –, waren wir beide Anfang 20, also in den besten Sturm- und Drangjahren. Und wir entschieden uns, einen gemeinsamen Weg zu gehen, der leider viel zu früh endete, als Paul vor beinahe sieben Jahren verstarb. Für unsere Familien, für unseren Freundeskreis und für die jüdische Gemeinschaft war das ein großer Verlust, den wir noch lange nicht verkraftet haben.
Erinnerung In unserer schnelllebigen Zeit, mit ihrer Flut an Nachrichten, Informationen und dem Tagesgeschehen, hat die Erinnerung oft leider kaum Platz. Und doch ist unsere Tora, unsere Tausende Jahre alte und doch junge jüdische Geschichte voll mit Namen, die, jeder für sich, ein eigenes Geschehen bedeuten.
Den Werdegang von Paul, als Sohn des Viehhändlers Hugo Spiegel sel. A. aus Warendorf in Westfalen und der lieben Mutter Ruth Spiegel, geborene Weinberg, ist der eines Selfmademan. Lehre bei der Jüdischen Allgemeinen unter Karl Marx sel. A. und Hermann Levy sel. A., Redakteur, Journalist, Medienmensch, Jugendarbeit als Madrich in Wembach und Sobernheim. 1968 oder 1969, so genau weiß ich das nicht mehr, Wahl in den Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, dort nach einigen Jahren Vorsitzender des Gemeinderates.
Brückenbauer Im Beruf war er Büroleiter des Generalsekretärs des Zentralrats in Düsseldorf, Hendrik van Dam, und, nach dem Tod von Ignatz Bubis sel. A., Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ein Brückenbauer, so empfanden wir ihn alle. Beruflich gab es mehrere Stationen bis er sich mit seiner Künstleragentur selbstständig machen konnte. Dieses alles aufzuzählen, ist nicht mein Thema.
Mein Thema ist Paul, der Familienmensch, Paul, der treue und kritische Freund, Paul, für mich mein wirklicher Bruder, obwohl ich Einzelkind bin. Er hat mir die jüdische Welt erweitert, indem er mich motiviert hatte, mich, meine Frau Ruthi, unsere Kinder, seine Kinder und seine innigst geliebte Frau Gisèle, sich auch mit Leib und Seele unserem Judentum, unserer ehrenamtlichen, vielfältigen Arbeit zu widmen. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar, auch wenn es keine leichte Aufgabe ist.
Ignatz Bubis sel. A. benutzte immer eine besondere Redewendung, wenn er jüdische Menschen beurteilte. Er sagte dann häufig: »Der ist ein Jude, aber a Jid is er nicht«. Mein Freund Paul war a richtiger Jid.