Die Bilder erinnerten irgendwie an die Finanzkrisen der vergangenen Jahre, bei denen aufgeregte Bankkunden versuchten, ihre Ersparnisse abzuheben und vor verschlossenen Türen der Kreditunternehmen standen: Ende Juni warten an einem warmen Freitagabend rund 100 Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde in Baden-Baden auf Einlass in der Werderstraße, um am Erew-Schabbat-Gottesdienst teilzunehmen. Vergeblich, denn der Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) Baden in Karlsruhe hatte die Schlösser für das Gebäude auswechseln lassen.
Das Gleiche war kurz zuvor durch die Polizei in der Geschäftsstelle der Kultusgemeinde geschehen. Dies hatte aber offenbar weniger öffentliches Aufsehen erregt als die Aktion vor dem jüdischen Gotteshaus, mit der die Beter auf die Aussperrung reagierten. Die Anwesenden entschieden sich nämlich, den Schabbat vor der verschlossenen Synagoge, unweit des Spielkasinos der Kurstadt im Schwarzwald, im Freien zu begehen.
Streit Diese Aktion ist der vorläufige traurige Höhepunkt einer Auseinandersetzung zwischen den Juden in der Bäderstadt und dem Oberrat in Karlsruhe. Begonnen hatte diese Auseinandersetzung nach der Wahl des ehemaligen zweiten Vorsitzenden der IKG, Andreas Huber, Ende 2012 zum neuen Vorsitzenden des Oberrats und damit als Nachfolger von Wolfgang Fuhl. Huber gab seinen Posten aber schon nach wenigen Wochen wieder ab. Sein Nachfolger wurde Rafi Suliman aus Pforzheim.
In der Folge wurde bekannt, dass es zwischen Andreas Huber und dem Vorsitzenden der Baden-Badener Gemeinde, Benjamin Vataman, zum Streit gekommen war. Dabei soll es zum einen um einen von der IRG über 80.000 Euro aufgenommen Kredit gegangen sein, der eigentlich zur Sanierung des Friedhofs vorgesehen, ausbezahlt, aber nicht verwendet worden war. Außerdem stand der Kauf zweier Luxusfahrzeuge mit Steuergeldern in der Kritik, deren Notwendigkeit für die Gemeinde anscheinend niemand erklären konnte.
Der Kauf wurde, so berichten Regionalzeitungen wie das Badener Tagblatt, über einen Verein namens »Zedaka« abgewickelt. In beiden Fällen ermittelt zurzeit die Staatsanwaltschaft in Baden-Baden. Der Oberrat Baden, Dachorganisation von zehn Gemeinden, enthob aufgrund der Vorwürfe den Gemeindevorsitzenden Vataman seines Postens und setzte den Rechtsanwalt Eberhard Börner als kommissarischen Verwalter der Gemeinde ein. Das Geld für die Friedhofssanierung sei »verschwunden«, sagte Börner der Badischen Zeitung, und auf dem jüdischen Begräbnisareal sei nichts geschehen.
Vorwürfe Der aus Russland stammende Benjamin Vataman, der vorher unter zwei Präsidenten mehr als 14 Jahren in der Gemeinde der Kurstadt, unter anderem auch als Kultusbeauftragter, eher unauffällig tätig gewesen war, wehrte sich gegen die Vorwürfe. Auf einer Pressekonferenz bestritt er sämtliche Anschuldigungen. Unterstützung erhält er unter anderem vom ehemaligen IRG-Vorsitzenden Jacob Goldenberg.
Zu einer Stellungnahme in der Jüdischen Allgemeinen war Vataman jedoch nicht bereit. Das tat einer seiner Anwälte. Gerhard Bräuer signalisierte, im Namen seines Mandanten Fragen zu den Beschuldigungen zu beantworten. Bis Redaktionsschluss waren die Antworten jedoch nicht eingetroffen.
Auch der IRG-Vorsitzende Rami Suliman nimmt im Gespräch mit der Allgemeinen eine kritische Position ein, möglicherweise sei Vataman in der überaus unerfreulichen Causa eher Leidtragender als selbst aktiv gewesen. Das ändere aber nichts daran, sagt Suliman, dass die Vorfälle lückenlos aufgeklärt werden müssten.
Inzwischen hat der Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden erneut reagiert: Er setzte den in Baden-Baden wohnenden ehemaligen Generalstaatsanwalt im Ruhestand, Günter Hertweck, sowie den Stuttgarter Wirtschaftsprüfer Gerhard Schroeder zu »außerordentlichen und ausschließlichen Verwaltern für den gesamten Geschäfts- und Tätigkeitsbereich der IRG und deren Untergliederungen/Gemeinden« ein. Dies betrifft nun also alle Gemeinden im Land und nicht bloß Baden-Baden.
Aus dieser wohl außergewöhnlichen Maßnahme spricht das Bemühen des Oberrates, gegenüber dem baden-württembergischen Kultusministerium in Stuttgart die Vorgänge in der Gemeinde schonungslos aufklären zu lassen: Ziel sei es, betont der Vorsitzende des Oberrates, Rami Suliman, denn auch, weiterhin ein »zuverlässiger Partner des Landes« zu sein.
Staatsvertrag Das hat sicherlich auch finanzielle Gründe: Seit 2010 gibt es zwischen dem Land Baden-Württemberg und der jüdischen Dachorganisation IRG einen neuen Staatsvertrag, durch den die angeschlossenen Gemeinden mehr Geld als vorher erhalten. Allein die Gemeinde in Baden-Baden mit etwas mehr als 500 Mitgliedern soll aufgrund dieser Regelung in den vergangenen drei Jahren rund 750.000 Euro von der IRG erhalten haben, schreibt die Stuttgarter Zeitung.
Da verwundert es nicht, dass die IRG alles daran setzt, zunächst einmal die Baden-Badener Vorgänge von Externen bis ins Detail aufklären zu lassen. Zumal im Hintergrund anscheinend noch ein weiterer Streit um das Millionenerbe eines verstorbenen Mitgliedes schwelt.
Das direkte Gespräch zur Beruhigung mit den Mitgliedern der betroffenen Gemeinde, das Rami Suliman kürzlich suchte, war allerdings nicht besonders erfolgreich. Der aus Israel stammende Vorsitzende habe sich bei den Baden-Badenern kaum Gehör verschaffen können, berichtet die Badische Zeitung: »Schuld daran sind auch Sprachprobleme, die Mehrzahl der Mitglieder spricht oft nur Russisch.«