Es sind 321 Schritte vom Mahnmal für die am 9. November 1938 zerstörte Magdeburger Synagoge bis zum Neubau. Am vergangenen Sonntag wurde die neue Synagoge in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt eingeweiht. Zwei Tage zuvor schreitet ein Festzug die Strecke ab. Die drei vorhandenen Teile der Torarolle der Magdeburger Synagogen-Gemeinde werden von Rabbinern zum neuen Schrein getragen. Langsam gehen sie – geschützt unter einem von vier Trägern gehaltenen Baldachindach aus dunkelblauem Samt, umsäumt mit goldener Quastenborte – die Julius-Bremer-Straße im Herzen Magdeburgs entlang.
Obwohl das Wetter ungemütlich ist, sind rund 400 Personen gekommen, um die symbolische Zeremonie zu verfolgen. Die Stelle des Mahnmals ist ein schmuckloser Ort. Er wird eingesäumt von den Seitenwänden zweier zehngeschossiger Plattenbauten aus DDR-Zeiten, schräg gegenüber befindet sich das Galeria-Kaufhaus, an dessen Fassade noch der alte Schriftzug »Karstadt« hängt. Das Mahnmal steht in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Synagoge. Die Stadt Magdeburg weihte die Arbeit des hiesigen Metallkünstlers Josef Bzdok am 9. November 1988 ein, 50 Jahre nach der Zerstörung der Synagoge. Am Ort des einstigen Nazi-Terrors gegen Juden in Magdeburg treffen sich alle.
Unter den zahlreichen Mitgliedern der Synagogen-Gemeinde befindet sich auch Waltraut Zachhuber. Die evangelische Pfarrerin war bis 2003 Superintendentin im Kirchenkreis Magdeburg. Im Ehrenamt ist sie Vorstandsvorsitzende des Fördervereins Neue Synagoge Magdeburg, der den Neubau in der Landeshauptstadt unterstützte und insgesamt 500.000 Euro Spendengelder sammelte. Der Verein wurde bereits 1999 auf Initiative des damaligen Oberbürgermeisters Willi Polte gegründet.
»Erleichterung ist gar kein Ausdruck für das, was ich und was gewiss alle in unserem Förderverein ›Neue Synagoge Magdeburg‹ empfinden. Glücklich sind wir, dankbar und hoffnungsvoll, denn da nun die Synagoge steht, wird dort viel von dem geschehen können, was wir an Begegnung mit jüdischem Leben in dieser Stadt erhoffen, und was so wichtig sein wird in unserer Stadt«, sagt die ehemalige Pfarrerin an diesem regnerischen Freitag.
Ein erstes Gespräch zum Neubau hatte es schon Mitte der 90er-Jahre gegeben
Ein erstes Gespräch zum Neubau hatte es schon Mitte der 90er-Jahre gegeben. Rabbiner Benjamin David Soussan erinnert sich: »Ich war beim damaligen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, in der Staatskanzlei. Er sagte mir seine Unterstützung für einen Neubau der Synagoge zu.« Der amtierende Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat das Versprechen der Landesregierung eingelöst. 2018 entschied der Landtag, den Bau mit einem Zuschuss in Höhe von 2,8 Millionen Euro zu unterstützen. Die Stadt Magdeburg stellte 2013 ein Grundstück in der Julius-Bremer-Straße 3 zur Verfügung, ebendiese 321 Schritte vom Mahnmal entfernt. Insgesamt kostete der Synagogenneubau 7,6 Millionen Euro.
Die Landtagsabgeordneten der CDU-Fraktion, Tobias Krull und Stephen Gerhard Stehli, sind an diesem Freitag da, um die Torarolle zu begleiten. Ebenso der ehemalige Bürgermeister und Beigeordnete Magdeburgs, Rüdiger Koch. Auch er gehört dem Förderverein an. Giselher Quast, von 1979 bis 2016 Domprediger in der Magdeburger Kathedrale St. Mauritius, ist gekommen und betont, dass heute ein Tag der Freude ist. Im Herbst 1989 war Quast Mitinitiator der Gebete um gesellschaftliche Erneuerung und der Montagsdemonstrationen in Magdeburg und leitete am 6. November 1989 ein Bürgerforum mit 60.000 Teilnehmern auf dem Alten Markt in Magdeburg.
Mit dem Neubau ist die Gemeinde ins Zentrum zurückgekehrt.
Die Rabbiner stimmen ein Lied an. Und ihr Gesang auf dem Gang mit den Hunderten Begleitern erscheint sinnbildlich wie ein Leuchten an diesem kalten 8. Dezember. Knapp 20 Minuten brauchen sie bis zur Pforte des Synagogen-Neubaus. Das Magdeburger Architekturbüro Sattler und Täger hat den Entwurf für die Synagoge erstellt. Es ist ein Gebäude, das drei Teile mit schlichten Linien zu einem Gesamtensemble vereint. Im Westen wird das Grundstück vom Hotel »Ratswaage« eingefasst, im Süden blickt man auf das leerstehende »Logenhaus Ferdinand zur Glückseligkeit«.
Auch die Freimaurer-Loge wurde 1933 durch die Nazis verboten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Synagoge steht ein rund 150 Meter langes Bürogebäude der Magdeburger Stadtverwaltung. Das historische Rathaus und der Alte Markt sind rund 300 Meter entfernt. Mit dem Neubau ist die Gemeinde vom Gebetshaus im Stadtteil Neustadt ins Zentrum der Stadt zurückgekehrt.
120 Gemeindemitglieder und geladene Gäste bei der Zeremonie
Inzwischen tragen die Rabbiner die Torarollen in die Synagoge hinein. 120 Gemeindemitglieder und geladene Gäste sind bei der Zeremonie dabei, bei der die Rollen in den Schrein eingelassen werden. Jetzt ist die Stunde des Gebets und der traditionellen Rituale, damit das Gebäude tatsächlich zu einer Synagoge wird. Die zahlreichen Gäste, die den Zug mit den Rollen begleitet hatten, stehen noch lange vor dem Gotteshaus. Auch wenn sie den Ritus zur Einbringung der Schriftrollen nicht begleiten können, sind sie in Gedanken dabei. Eine ältere Frau legt am Eingang zur Synagoge eine weiße Rose nieder. »Das soll ein Hoffnungszeichen in schweren Zeiten sein«, sagt sie.
Am Sonntag lud die Gemeinde zur offiziellen Einweihung ein. Etliche Politiker sind der Einladung gefolgt. »Der Neubau der Synagoge steht für ein friedliches Miteinander und für Pluralismus«, sagte Ministerpräsident Haseloff beim Festakt. Jüdisches Leben werde wieder deutlich erlebbar. »Wir werden als Landesregierung auch künftig jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt sichtbar machen, es fördern und schützen.«
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einem Tag der Freude und des Stolzes. Er verwies auf die widrigen Umstände, die die jüdische Gemeinschaft in der DDR erlebte. 1946 hätten nur noch 120 Juden in Magdeburg gelebt, Gottesdienste fanden in einem Wohnhaus statt. Anfang der 80er-Jahre umfasste die jüdische Gemeinde nur noch etwa 20 Mitglieder. Erst Zuwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ließ sie in den 90er-Jahren deutlich wachsen. Heute hat die Synagogen-Gemeinde Magdeburg eigenen Angaben zufolge rund 400 Mitglieder. »Jüdisches Leben in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, die auch dem Mut gerade jüdischer Zuwanderer zu verdanken ist«, sagte der Zentralratspräsident.
Dezent und zurückhaltend
Architekt Wolfgang Sattler bezeichnet die neue Synagoge als dezent und zurückhaltend. Trotz notwendiger Sicherheitsmaßnahmen sei in den Neubau ein Gefühl von Leichtigkeit, Offenheit und Licht eingebracht worden. An der Fassade findet sich auf Hebräisch der Spruch: »Denn mein Haus soll ein Gebetshaus für alle Völker genannt werden.« Der Förderverein »Neue Synagoge Magdeburg« schenkte der Synagogen-Gemeinde am Sonntag ein Bild der historischen, zerstörten Magdeburger Synagoge.
In Dessau-Roßlau war erst im Oktober die neue Weill-Synagoge eröffnet worden. Der Angriff der Hamas auf Israel hatte erst rund zwei Wochen zurückgelegen. Ministerpräsident Haseloff sagt in der neuen Magdeburger Synagoge: »Wir alle sind entsetzt über die Verbrechen der Hamas. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in Israel, den Opfern und den Hinterbliebenen.«
Der Terror müsse beendet und die Hamas zur Rechenschaft gezogen werden. Auch Zentralratspräsident Schuster erinnert an die aktuelle Lage in Nahost, an die Menschen, die noch in Geiselhaft der Hamas seien. Die jüdische Gemeinschaft sei in Gedanken und Gebeten bei ihnen, bei ihren Familien. Schuster betonte: »Wir werden unser Leben nicht durch Terror bestimmen lassen.«