Der ARD-Talker Frank Plasberg hat in seiner Sendung »hart aber fair« eine interessante Rubrik. Im »Faktencheck« werden vorgebrachte Argumente im Anschluss an die Diskussion auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Der Leitsatz lautet: »Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft«. Theorie im Praxistest. Würde man diese beiden Ansätze auf die Rabbinerordination vom Montag in Leipzig anwenden, bekäme man wahrscheinlich aufschlussreiche Ergebnisse. Wieder einmal haben die »Rabbiner für Deutschland« und die »Renaissance des deutschen Judentums« Schlagzeilen gemacht. Nichts für ungut: Es geht hier nicht darum, den Beteiligten Realitätsferne zu unterstellen. Und nicht im Ansatz sollen die Rabbinerausbildung und die Institutionen, die sie überhaupt erst ermöglichen, in Zweifel gezogen werden. Es geht darum, dass die jungen Kräfte nach ihrer Ausbildung an der viel beschworenen Renaissance nicht mitwirken können. Sie bekommen oft einfach keinen Job.
Smicha Jahrzehntelang wurde die rabbinische Unterversorgung der Gemeinden hierzulande beklagt, die eine »spirituelle Wüste« habe entstehen lassen. Und der Rabbinerimport aus Israel und den USA? Es mangelte nicht an Kritik. Nun sind seit einiger Zeit verschiedene Institutionen wie der Zentralrat sehr erfolgreich in ihrem Bemühen, deutschsprachige junge Männer – und Frauen – als Rabbiner beziehungsweise Rabbinerinnen auszubilden. »Drei Rabbiner machen noch keinen jüdischen Sommer«, sagte aber schon Zentralratsvize Dieter Graumann 2006 bei der ersten Ordina- tionsfeier in Dresden. Inzwischen sind diesen dreien weitere gefolgt – liberale wie orthodoxe –, und die nächsten erhalten ihre Smicha bereits in wenigen Monaten. Nun der Faktencheck: Wie viele von den vor vier Jahren feierlich eingeführten Absolventen sind mit einer Vollzeitstelle in Deutschland tätig? Keiner. Ein anderes Beispiel: Von den beiden am Montag ordinierten Rabbinern bleibt einer hier, er übernimmt eine Gemeinde in Potsdam. Sein Kollege wird Religionslehrer in Österreich.
Die Gründe, dass frisch gebackene Rabbiner Deutschland den Rücken kehren, mögen vielfältig sein. Doch ein Hauptgrund ist, auch das gehört zum Faktencheck, dass die Absolventen keine Stelle finden. Und damit sind wir schon bei »Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft«. Brauchen die Gemeinden keine Rabbiner? Doch, sicherlich. Wollen Sie Rabbiner? Vielleicht nicht immer. Einen zu den Hohen Feiertagen hat jede noch so kleine Synagogengemeinschaft sehr gern. Unter der Chuppa oder am Grab sollte möglichst auch einer stehen. Aber einen, der täglich da ist, womöglich noch auf Kaschrut und die Einhaltung des Schabbats achtet? Reicht es nicht, sich jüdisch zu fühlen? Den talmudischen Satz »aseh lecha raw«, der eigentlich ein Hinweis darauf ist, sich einen Lehrer zu suchen, übersetzen einige allzu wörtlich mit: »Mach dir einen Rabbiner«. Sie wollen einen spirituellen Dienstleister, einen nach ihren Vorstellungen.
Bis 120 Das macht die Sache nicht einfacher. Ebenso wie die Tatsache, dass es auch einige Geistliche gibt, die die aktuelle Diskussion über Rente mit 67 nur mit einem milden Lächeln kommentieren. Sie räumen auch mit 80 noch nicht den Stuhl für den Nachwuchs. Bitte kein Missverständnis: Bis 120, gerne! Wir wollen auf die Weisheit des Alters nicht verzichten, aber junge Rabbiner brauchen eben auch einen Job. Außerdem heißt es in einigen Gemeinden, man könne sich einen fest angestellten Rabbiner nicht leisten. Zugegeben: Landauf, landab muss oft jeder Cent umgedreht werden. Doch wie viel Geld wird für Kultur ausgegeben? Und wie viel für Kultus? Eine Gemeinde ohne spirituelle Führung – kann das auf Dauer gut gehen?
Ein Rabbiner ist im Idealfall eine Investition in die Zukunft. Und Vorsorge kostet nun mal. Doch die Preise sinken, Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt. Es soll inzwischen schon sogenannte Wanderrabbiner geben, die an ständig wechselnden Orten für 200 Euro einen ganzen Schabbat mit den Betern feiern – inklusive Anreise, Predigt und Spesen. Einige Studenten, die an Universitäten und in Jeschiwot lernen, wissen schon jetzt, dass sie nach der Ordination kleine Lehraufträge auf Honorarbasis, Übersetzerjobs oder andere Arbeiten annehmen müssen. Hier trifft Politik auf eine harte Wirklichkeit. Was tun? Zum einen muss die finanziell vom Zentralrat der Juden und anderen Unterstützern geförderte Rabbinerausbildung fortgesetzt werden. Zum anderen sollten sich die jungen Männer und Frauen verpflichten, nach der Ausbildung wenigstens für einige Jahre hierzubleiben. Die Gemeinden wiederum müssten ihnen die Zusage geben, sie mindestens ebenso lange zu beschäftigen. Hart aber fair: Wir brauchen Rabbiner. Das sollte uns jedoch auch etwas wert sein.