Kaschrut

Zwei Herde, ein Kühlschrank

Für eine koschere Küche muss man sich nicht in Unkosten stürzen. Foto: Thinkstock

Jedes Mal, wenn Nichtjuden mich bitten, ihnen zu erklären, was eigentlich Kaschrut ist, und ich diesem Wunsch nachkomme, dann sehe ich, wie ihre Augen von Minute zu Minute größer werden. Der durchschnittliche Bürger denkt nämlich, dass er ausreichend Bescheid darüber weiß, was Kaschrut bedeutet: dass Juden zum Beispiel kein Schweinefleisch essen dürfen.

Zweifelsohne ist das Schwein zum antijüdischen Symbol geworden. Ein Schweinekopf erscheint uns schlimmer als alles andere. Aber wer sich auch nur ein bisschen in der Tora auskennt, der weiß, dass es viel schwerwiegendere Verbote gibt. Zum Beispiel den Verzehr von bestimmten kleinen Lebewesen wie Insekten, Würmern oder Krustentieren.

Schnecken Es ist ein viel schlimmerer Verstoß gegen die Halacha, kleine Kriechtiere zu essen als Schweinefleisch. Die Tora hat uns an sechs Stellen verboten, Schnecken zu verzehren. Und deshalb ist es sechsmal schlimmer, Weinbergschnecken mit Kräutersoße zu essen als Schweinshaxen!

Bei einem anderen Themenkomplex der Kaschrut, den ich auf Wunsch von Interessierten oft anspreche, kann mir immerhin ein Teil des Publikums noch folgen – wenn ich das Verbot erwähne, das dreimal in der Tora geschrieben steht: »Du sollst das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen.« Dieses Verbot, Milch und Fleisch zu mischen, klingt zwar interessant, aber nicht unbedingt logisch. »Was ist denn eigentlich das Problem?«, fragen meine Zuhörer. Ich erkläre dann, dass die Milch das Leben symbolisiert, das geschlachtete Zicklein aber nicht. Daher ist es wünschenswert, zwischen beiden zu trennen.

Wer weniger Ahnung von Kaschrut hat, wird in diesem Zusammenhang anführen, es sei nicht gesund, Milch und Fleisch zusammen zu verzehren. Das ist aber nicht bewiesen – im Magen von Nichtjuden, die Cheeseburger essen, kommt diese Mischung ja auch vor. Dennoch ist es bei Juden üblich, sechs Stunden nach dem Verzehr von Fleisch zu warten, bevor man Milch trinkt, damit das Fleisch im Magen vorher verdaut wird, und diese Tradition setzt sich auch in der breiteren jüdischen Bevölkerung immer mehr durch.

Geschirr Wirklich »romantische« Vorstellungen über Kaschrut aber kommen ans Tageslicht, wenn wir über verschiedene Sorten von Geschirr reden. Alle glauben ja, dass ein Jude gar nicht in einer einfachen Wohnung, sondern nur in einem Haus mit mehreren Stockwerken leben kann, weil er so viel verschiedenes Haushaltszubehör braucht. Man muss die kleinen Teller und die Suppenteller trennen, höre ich dann. Und man sollte das fleischige Geschirr unbedingt rot markieren, und das milchige Geschirr blau ...

Aber jeder, der einmal im Hotel der Zentralwohlfahrtstelle (ZWST) in Bad Sobernheim war, weiß genau, dass man milchiges Besteck und fleischiges Besteck ganz einfach unterscheiden kann: und zwar an dem kleinen Loch, das durch eine der Bestecksorten gebohrt ist und verhindert, dass wir mittags unser Schnitzel mit einer Gabel aufspießen, mit der wir morgens Käse gegessen haben.

Aber es gibt doch einen milchigen und einen fleischigen Herd! Und natürlich ein Waschbecken für milchiges und eines für fleischiges Besteck! Herr Rabbiner, fragen mich viele Leute, also brauchen Sie bestimmt auch einen milchigen und einen fleischigen Kühlschrank! Diese Leute sind zuweilen richtig enttäuscht, wenn ich ihnen erkläre, dass keine totale Trennung im Kühlschrank nötig ist – und dass ein Kühlschrank pro koscheren Haushalt völlig ausreicht. Man darf sogar einen milchigen und einen fleischigen Topf ins selbe Kühlregal stellen – wobei man natürlich aufpassen muss, dass kein Tropfen Milch in den fleischigen Topf fällt, und umgekehrt kein Stück Fleisch in die Milch.

aggregatzustand Und wo bleibt da die Logik? Warum, Herr im Himmel, braucht ein Jude zwei Herde, aber nur einen Kühlschrank? Manche Juden befällt echte Verzweiflung, wenn sie das hören. »Wir haben doch gerade neues Besteck bestellt«, sagen sie. »Und einen neuen Kühlschrank wollten wir auch, obwohl es in unserer Küche keinen Platz dafür gibt. Und jetzt sagen Sie uns, das wäre gar nicht nötig?«

Genau das ist das Besondere und Geheimnisvolle im jüdischen Religionsgesetz, der Halacha. Ihr ganz eigenes Gedankensystem kann uns erklären, warum es sich so und nicht anders verhält. Die Halacha unterscheidet zwischen verschiedenen Aggregatszuständen eines Nahrungsmittels – zwischen fest und flüssig. Auch Wärme und Kälte können viel zum Verständnis der Kaschrutregeln beitragen. Hitzegrade tragen nicht nur zum Kochen, Braten oder Dünsten bei, sondern haben auch Einfluss auf die Übertragung des Geruchs und Geschmacks eines Lebensmittels auf das andere.

Bei Wärme, die laut Halacha so stark ist, dass die Hand davor zurückschreckt, also bei 45 Grad Celsius und aufwärts, beginnt ein Erhitzungsprozess, bei dem sich die Gerüche der verschiedenen Speisen vermischen: Fleisch zum Beispiel, das in Tomatensoße gedünstet wird, oder Kürbissuppe mit Sahne. Selbstverständlich darf kein Tropfen Milch in den Fleischtopf fallen.

In dem Fall allerdings, dass mengenmäßig mehr als 60-mal mehr Essen im Fleischtopf enthalten ist als der aus Versehen hineingeschüttete Milchtropfen, darf man die Speise trotzdem verzehren – es müssen dafür aber noch andere Bedingungen erfüllt sein (»batel beschischim«). Wenn man sich nicht sicher ist, sollte man die Speise nicht essen, ohne einen Rabbiner zu konsultieren.

mikrowelle
Noch schwieriger als die Frage des Geschmacks ist die des Geschirrs. Denn auch das Geschirr nimmt nach dem Verständnis von Tora und Halacha den Geschmack des Essens an. Von einem Teller, auf dem etwa unkoscheres Fleisch aufbewahrt wurde, darf man auch kein koscheres Fleisch mehr essen, denn die Ausdünstungen des unkoscheren Fleisches würden aus dem Teller in das koschere Fleisch eindringen.

Was tut man in einem solchen Fall? Man muss das Geschirr kaschern. Das bedeutet, dass in den meisten Fällen das Geschirr den Geschmack, den es angenommen hat, wieder loswerden kann, wenn es mithilfe von Wasser oder Feuer gekaschert wird. Ein Topf, der beispielsweise auf dem Herd steht und in dem wir treifenes Suppenfleisch erhitzt hatten, kann koscher gemacht werden, wenn wir 24 Stunden seit seinem letzten Gebrauch warten, damit der unkoschere Geschmack zunächst einmal schwächer wird.

Danach kochen wir Wasser in dem Topf auf, damit es den unkoscheren Geschmack in sich aufnimmt, und das Gerät wieder koscher wird. Diesen Prozess nennen wir Hag’ala. Falls wir Fleisch ohne Soße und Öl in dem Topf zubereitet hatten, ist das Kaschern etwas komplizierter, denn die Speise hat den Topf ja ohne Trägerflüssigkeit berührt.

Um den Geschmack, der tief in den Topf eingedrungen ist, herauszubekommen, müssen wir in einigen dieser Fälle den Topf ins Feuer halten, damit er rot glühend wird – wir nennen das »Libun Chamur«. Ein Topf aus Metall kann auf verschiedene Weise gekaschert werden, eine Teflonpfanne dagegen nicht immer. Manche haben Angst, dass das Feuer das Teflon zerstört. Gläsernes Geschirr kann drei Tage ins Wasser gelegt werden, wobei man das Wasser alle 24 Stunden auswechseln soll. Porzellanteller sind nicht leicht zu kaschern – man sollte dafür den Rat eines Rabbiners einholen.

Für elektronische Geräte gibt es drei verschiedene Stufen des Kascherns. Zuerst muss man das Gerät gründlich reinigen; ein Ofen sollte von allen Fettspuren gesäubert werden. Danach sollte das Gerät 24 Stunden nicht benutzt werden. Ein Ofen wird zuletzt für eine Stunde auf die höchste Hitzestufe eingestellt; eine Spülmaschine wird für zwei Durchläufe mit Reinigungsmittel in Betrieb genommen. Man muss auch darauf achten, das Sieb auszutauschen – wobei es Fälle gibt, in denen das nicht nötig sein muss. In der Mikrowelle muss man in der Schlussphase des Kascherns ein Glas Wasser heiß machen und warten, bis die Flüssigkeit verdampft ist.

Einmalbecher Zum Schluss möchte ich eine Frage beantworten, die mir oft gestellt wird. Was tue ich, wenn ich bei jemandem eingeladen bin, der sich nicht an die Kaschrutregeln hält? Was darf ich in seinem Haus eigentlich essen? Nicht viel. Aber wenn Sie sich noch an den Unterschied zwischen Wärme und Kälte erinnern: Ein heißes Getränk ist in Ordnung.

Kaffee in einem Glas geht also durchaus, wobei ein Einmalbecher vorzuziehen wäre. Lebensmittel von der Koscherliste oder solche, die in einem koscheren Laden eingekauft wurden, sowie Früchte und Gemüse, die nicht mit einem unkoscherem Messer geschnitten wurden, darf man sogar von einem normalen Teller essen – unter der Bedingung, dass dieser Teller sauber und nicht heiß ist.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Groß-Dortmund und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz.

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