Talmudisches

Zufluchtsstädte für Totschläger

Warum wurden Wegweiser aufgestellt?

von Yizhak Ahren  26.07.2019 08:14 Uhr

Wegweiser sollten Totschlägern zeitraubende Umwege ersparen Foto: Getty Images / istock

Warum wurden Wegweiser aufgestellt?

von Yizhak Ahren  26.07.2019 08:14 Uhr

Es ist ein Gebot der Tora, im Lande Israel Zufluchtsstädte einzurichten: »Ihr sollt euch Städte bestimmen, die euch als Zufluchtsstädte dienen sollen; dorthin soll der Totschläger fliehen, der einen Menschen unvorsätzlich erschlagen hat. Diese Städte sollen euch als Zuflucht vor dem Rächer dienen, damit der Totschläger nicht getötet werde, bevor er vor der Gemeinde zu Gericht gestanden hat« (4. Buch Mose 35, 11–12).

Schutz Die Zufluchtsstädte boten also bestimmten Menschen Schutz. Dass die Totschläger dort bleiben mussten, bis der Hohepriester starb (4. Buch Mose 35,25), kann man als eine Art von Strafe ansehen. Der Zweck dieser merkwürdigen Strafmaßnahme soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Es soll nur eine Vorschrift besprochen werden, die mit dem oben erwähnten Toragebot verbunden ist.

Die Mischna (Makkot 2,5) lehrt, dass Wege gebaut werden mussten, die zu den Zufluchtsstädten führen. In einer Barajta (Makkot 10a und b) heißt es: »Rabbi Elieser Ben Jakob sagte: An Straßenkreuzungen waren Wegweiser mit der Aufschrift ›Zuflucht‹ aufgestellt, damit der Totschläger wisse, wohin er sich zu wenden habe. Rabbi Kahane sagte: Hierauf deutet der Vers ›Bereitmachen sollst du dir den Weg dahin‹ (5. Buch Mose 19,3) – mache eine Zubereitung für den Weg.«

Kreuzungen Der Sinn der Vorschrift, Wegweiser an Kreuzungen aufzustellen, liegt auf der Hand: Dem Totschläger sollten zeitraubende Umwege erspart bleiben. Er sollte sein Ziel möglichst schnell erreichen können, ohne Ortskundige um Auskunft bitten zu müssen.

Mehrere Autoren hat die Frage beschäftigt, warum die Tora nicht ebenfalls die Aufstellung von Wegweisern geboten hat, um Pilgern den richtigen Weg nach Jerusalem zu zeigen.

Von einer solchen Anweisung würden sehr viele Menschen profitieren, denn es steht in der Tora: »Dreimal im Jahr sollen erscheinen all deine Männlichen vor dem Angesicht des Ewigen, deines Gottes, an dem Ort, den Er erwählen wird« (5. Buch Mose 16,16). Für die Totschläger soll man Wegweiser aufstellen, für brave Bürger jedoch nicht. Warum wird dieser bemerkenswerte Unterschied gemacht?

Pilger Eine der vorgebrachten Antworten lautet, es sei durchaus erwünscht, dass Pilger sich unterwegs bei den Einheimischen nach der Straße erkundigen, die zum Tempel in Jerusalem führt. Es könnte nämlich sein, dass die Befragten sich den Fragestellern anschließen oder, angeregt durch die Anfrage, eine eigene Gruppe bilden, um zum Heiligtum zu wandern. Die Tatsache der fehlenden Wegweiser bewirkt, dass Pilger direkt oder indirekt für die Mizwa werben, die sie gerade erfüllen.

Noch eine andere Lösung des hier behandelten Problems sei referiert. Warum wurden Wegweiser für Totschläger aufgestellt? Weil Gefahr im Verzug ist, soll man es diesen Menschen, die sowohl Schutz als auch eine Strafe verdienen, so leicht wie möglich machen, ihr Ziel zu erreichen. Hingegen gilt bei der Erfüllung von Mizwot das in einer Mischna festgehaltene Prinzip »Je nach der Mühe der Lohn« (Sprüche der Väter 5,27).

Tat Der himmlische Lohn für eine gute Tat hängt demnach von der Anstrengung ab, die bei ihrer Erfüllung aufzubringen war. Dadurch, dass die frommen Wanderer nach Jerusalem ohne Wegweiser auskommen mussten, erhielten sie am Ende einen höheren Lohn!

Zufluchtsstädte für Totschläger gibt es im Lande Israel schon seit mehr als 2000 Jahren nicht mehr. Es ist aber wichtig zu wissen, dass es in der messianischen Epoche wieder Zufluchtsstädte geben wird (Maimonides, Hilchot Rozeach 8,4). In der genannten Zeit wird man erneut an bestimmten Straßenkreuzungen Schilder mit der Aufschrift »Zuflucht« aufzustellen haben.

Mischpatim

Gleiches Recht für alle

Schon die Tora regelt, dass es vor dem Gesetz keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt

von Rabbiner Joel Berger  21.02.2025

Talmudisches

Krankheitserreger

Was unsere Weisen über Keime im Wasser lehrten

von Rabbinerin Yael Deusel  21.02.2025

Mitgefühl

Wie soll ein Mensch das ertragen!

Die Bilder der abgemagerten, gequälten Geiseln gehen nah – manchen zu nah. Aber darf man einfach wegschauen?

von Rabbiner David Kraus  21.02.2025

Ramchal

Klugheit vor Alter

Wie sich Rabbiner Mosche Chaim Luzzatto bereits in jungen Jahren einen besonderen Ruf erarbeitete

von Vyacheslav Dobrovych  20.02.2025

Berlin

»Jeder Mensch hat einen Namen«

Jüdische Gemeinde Chabad: Solidaritätsgebet für die israelischen Geiseln

von Detlef David Kauschke  19.02.2025

Valentinstag

Eins plus eins gleich eins

Einmal im Jahr Rosen und Pralinen schenken? Die orthodoxe Tradition hat eine andere Vorstellung von der Liebe

von Rabbiner Dovid Gernetz  14.02.2025

Jitro

Das Licht weitertragen

Jeder Einzelne ist Teil des geheiligten Ganzen und hat die Verantwortung, die Tora zu stärken

von Elie Dues  14.02.2025

Talmud

Leben retten

Was unsere Weisen über eine wichtige Mizwa lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  14.02.2025

Geiseln und Glaube

»Ich wählte den Weg des Glaubens«

»Agam Bergers Bekenntnis zum jüdischen Glauben wird gleichzeitig bewundert sowie erstaunt zur Kenntnis genommen«, schreibt die Autorin

von Chiara Lipp  13.02.2025