Anim Smirot, auch bekannt als Schir Hakavod, wird in vielen Synagogen am Ende des Schabbat- und Jom-Tov-Morgengebets rezitiert. Der Gʼttesdienst scheint schon vorbei, da wird noch einmal der Tora-
schrank geöffnet, die Gemeinde erhebt sich und singt abwechselnd mit dem Vorbeter dieses kräftige Lied. In einigen Gemeinden, zum Beispiel bei uns in Konstanz, singen wir es mitten im Gʼttesdienst.
Es gibt einen verbreiteten Brauch, einem oder mehreren Kindern die Anim Smirot anzuvertrauen, um ihnen ein Gefühl von Verantwortung zu vermitteln. Für die Kleinen ist es eine große Ehre, die Zeilen vor der ganzen Gemeinde zu singen.
Das Lied lobt Gʼtt in so erhabener Weise, dass einige Rabbiner befürchteten, dass das zu häufige Rezitieren einen Verstoß gegen das wenig bekannte Verbot darstellen könnte, Gʼtt übermäßig zu preisen (Siddur Jaavetz). Tatsächlich gilt Anim Smirot als so heilig, dass viele Gemeinden es nicht an einem gewöhnlichen Schabbat rezitieren, sondern es sich ausschließlich für besondere Anlässe aufsparen. Es gibt sogar jene, die vorschlagen, dass Anim Smirot nur an Jom Kippur, dem heiligsten Tag des Jahres, rezitiert werden sollte.
»Ich will singen!«
Anim Smirot (Hebräisch für: »Ich will/werde singen«) wird normalerweise vom Kantor und der Gemeinde abwechselnd rezitiert. Tatsächlich ist es sehr wichtig, dass die Gemeinde wartet, bis der Chasan oder das vortragende Kind seinen Vers beendet hat, bevor sie mit ihrem Vers beginnt. Der Toraschrank wird für die Rezitation von Anim Smirot geöffnet, und man sollte sich entsprechend verhalten. Es wird empfohlen, immer aufzustehen, wenn der Aron Kodesch geöffnet wird, obwohl dies halachisch nicht unbedingt erforderlich ist. Anim Smirot kann auch dann rezitiert werden, wenn sich keine Torarolle im Raum befindet.
Es gibt einen bekannten Brauch für Männer, deren Frauen schwanger sind, im neunten Monat die Ehre zu erhalten, den Aron Kodesch zu öffnen. Dies soll eine Segula für eine leichte Geburt sein. Einige sagen, dass dieser Brauch speziell für das Öffnen vor Anim Smirot gedacht war.
Dem Schluss von Anim Smirot wurden eine Reihe von Bibelversen beigefügt, um das Rezitieren des Kaddisch eines Trauernden zu ermöglichen. Dies liegt daran, dass Lobverse nicht ausreichen, um die Rezitation von Kaddisch eines Trauernden zu rechtfertigen. Tatsächlich darf es nur im Anschluss an die Rezitation von Schriftversen gesagt werden.
Gʼtt zu loben, bevor wir ihn bitten
Es wurde vorgeschlagen, dass Anim Smirot in Wirklichkeit zu Beginn des Gʼttesdienstes rezitiert werden sollte und nicht am Ende, wie es heute üblich ist. Es wird argumentiert, dass es sinnvoller sei, Gʼtt zu loben, bevor wir uns mit all unseren persönlichen Bedürfnissen und Wünschen an Ihn wenden.
Tatsächlich wird in vielen Gemeinden Anim Smirot an Rosch Haschana und Jom Kippur am Anfang des Gʼttesdienstes rezitiert. In einigen Gemeinden gibt es den Brauch, diese mit den Schofartönen von Rosch Haschana zu kombinieren.
Verse aus dem Mittelalter
Es ist nicht ganz klar, wer Anim Smirot verfasst hat. Viele Gelehrte vermuten, dass es von Rabbi Jehuda Hachassid geschrieben wurde. Er war einer der bedeutendsten Vertreter der Chasside Aschkenas, die als Reaktion auf die blutigen Judenverfolgungen der Zeit der Kreuzzüge ab 1096 der streng rationalen rabbinischen Gelehrsamkeit eine mystisch-spirituelle Frömmigkeit entgegensetzten.
Andere vermuten, dass es von Rabbi Jehuda Hachassids Vater, Rabbi Schmuel ben Kolonimus aus Regensburg, verfasst wurde. Es gibt auch eine Reihe weiterer möglicher Autoren: So nehmen einige an, dass Anim Smirot von dem Werk Emunot Wedeot von Saadia Gaon beeinflusst wurde. Anim Smirot kommt in sefardischen, Chabad- oder jemenitischen Siddurim nicht vor.
Es gab eine Zeit, in der in einigen Gemeinden jeden Tag Anim Smirot rezitiert wurde. Diese Praxis wurde aufgrund der heiligen Natur des Gebets und der Tatsache, dass es langsam und mit intensiver Konzentration rezitiert werden muss, beendet, weil dies einfach nicht möglich ist, wenn die Leute zur Arbeit eilen müssen.