Neulich beim Kiddusch

Zimt in der Nase

Auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift. Foto: imago

Seitdem es bei »Schlag den Raab« ein Spiel namens »Riechen« gab, möchte mein Sohn, dass wir in der Besamimbüchse regelmäßig die Kräuter austauschen. Bei dem Spiel mussten die Spieler mit verbundenen Augen raten, was sie gerade rochen. Da war alles Mögliche dabei: Bier, Zwiebeln, Curry, Paprika und viele andere Sachen.

Also testeten wir einige Kräuter, auch die viel gerühmten Nelken, und stellten fest, dass meine Frau sehr allergisch darauf reagiert. Dann probierten wir sogar fertig gemischtes Pizzagewürz. Sehr lecker, macht aber unnötig Hunger. Irgendwann wurde uns das Spiel langweilig, weil ohnehin klar war, was in der Besamimbüchse ist.

Vor einigen Wochen sind wir dann bei Zimt gelandet. Das kommt praktisch nur zu Pessach zum Einsatz, wenn es Mazzebrei mit Zucker und Zimt gibt. Zimt riecht sehr stark und erfüllt seine Funktion in der Dose ganz ausgezeichnet. Wir wollten dabei bleiben.

Sirene Auch meiner gerade zwei gewordenen Tochter gefiel das. Sie nahm direkt einen tiefen Zug aus der Dose und hatte anschließend die Nase voller Zimt, und die Dose war fast leer. »Nos, Nos«, jammerte sie. Das ist Russisch und heißt »Nase«. Sie schaltete die Sirene an und begann zu schreien und zu niesen. Hier war Deeskalation gefragt, darum versuchte ich, sie zu beruhigen: »Ja, die Nase ist zu, Nase zu.« Ihre Augen wurden rund, und sie strahlte mich an. Irgendetwas musste sie zwischen dem Luftalarmschrei und meinem Nasenmantra falsch verstanden haben, denn strahlend zeigte sie auf ihre Nase und sagte: »Naa-zi«. Das Gelächter meines Sohnes gab ihr recht, und so wiederholte sie immer wieder »Naa-zi« und zeigte auf ihre Nase.

In den folgenden Tagen machte ich mich zum Gespött der Nachbarn, weil ich während unseres Spazierganges alle paar Minuten auf meine Nase zeigte und immer wieder »Naaa-se« sagte. Sie nickte immer nur, zeigte auf ihre Nase und sagte »Nos-Nos«. Also alles in Ordnung.

Der Freitagabend verläuft friedlich und steht im Zeichen der Vorfreude auf einen Megakiddusch, zu dem wir in eine andere Gemeinde eingeladen sind. Es wird groß aufgetischt. Exzellenter Kiddusch mit allem Drum und Dran. Meine Frau kümmert sich um unsere Tochter, also kann ich zuschlagen. Gerade als ich mir den Kaffee angeln möchte, stellt meine Frau das Kind zu mir. Eine Minute aufpassen bitte.

Doch da überschlagen sich die Ereignisse: Der Gemeindevorsitzende naht, will mir die Hand reichen, schaut entzückt zu meiner Tochter. »Oh, möchtest du ein Stück Challe? Die riecht so gut«, sagt er und zeigt auf seine Nase. Pädagogisch und sprachförderlich einwandfrei.

Schusslinie Ich halte in der einen Hand die Tasse, in der anderen die Kaffeekanne und kann meine Tochter nicht rechtzeitig aus der Schusslinie ziehen. Also kommt es, wie es kommen muss: »Naa-zi« sagt sie und lächelt. Ich erstarre.

Im nächsten Moment halte ich meine Jacke in der Hand und bin auch schon draußen vor der Tür. Zimt hat einen Teil meines Lebens zerstört. Zimt gehört nicht in die Besamimbüchse.

Wajigasch

Nach Art der Jischmaeliten

Was Jizchaks Bruder mit dem Pessachlamm zu tun hat

von Gabriel Umarov  03.01.2025

Talmudisches

Reich sein

Was unsere Weisen über Geld, Egoismus und Verantwortung lehren

von Diana Kaplan  03.01.2025

Kabbala

Der Meister der Leiter

Wie Rabbiner Jehuda Aschlag die Stufen der jüdischen Mystik erklomm

von Vyacheslav Dobrovych  03.01.2025

Tradition

Jesus und die Beschneidung am achten Tag

Am 1. Januar wurde Jesus beschnitten – mit diesem Tag beginnt bis heute der »bürgerliche« Kalender

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  01.01.2025 Aktualisiert

Chanukka

Sich ihres Lichtes bedienen

Atheisten sind schließlich auch nur Juden. Ein erleuchtender Essay von Alexander Estis über das Chanukka eines Säkularen

von Alexander Estis  31.12.2024

Brauch

Was die Halacha über den 1. Januar sagt

Warum man Nichtjuden getrost »Ein gutes neues Jahr« wünschen darf

von Rabbiner Dovid Gernetz  01.01.2025 Aktualisiert

Mikez

Schein und Sein

Josef lehrt seine Brüder, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie auf den Betrachter wirken

von Rabbiner Avraham Radbil  27.12.2024

Chanukka

Wie sah die Menora wirklich aus?

Nur Kohanim konnten die Menora sehen. Ihr Wissen ist heute verloren. Rabbiner Dovid Gernetz versucht sich dennoch an einer Rekonstruktion

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.12.2024

Resilienz

Licht ins Dunkel bringen

Chanukka erinnert uns an die jüdische Fähigkeit, widrigen Umständen zu trotzen und die Hoffnung nicht aufzugeben

von Helene Shani Braun  25.12.2024