Tu Bischwat, das Neujahr der Bäume, ist eigentlich ein seltsamer Feiertag: Was früher lediglich ein landwirtschaftlich-technischer Begriff war, hat sich erst später im Judentum zu einem Fest entwickelt.
Ursprünglich war der 15. Schwat (Zahlenäquivalent für die hebräischen Buchstaben Tet und Waw) im jüdischen Kalender einfach nur ein Datum, das eine »Grenze« zwischen den Fruchternten markierte. Dies war für die Absonderung von Priestergaben und Zehnten für Leviten nötig: Die Früchte, die vor dem 15. Schwat zu wachsen begannen, gehörten zum vorigen Jahr, diejenigen, deren Wachstum nach dem 15. Schwat begann, zum nächsten Jahr.
Interessant ist, dass dieses Datum noch zu talmudischen Zeiten nicht unumstritten war. In der Mischna gibt es auch die Meinung, dass diese Grenze am 1. Schwat gezogen werden sollte. Erst als die Mehrheit der Weisen sich für den 15. des Monats aussprach, wurde dieses Datum angenommen.
Granatäpfel Doch im Lauf der Geschichte entwickelte sich dieser Tag immer mehr zum »Feiertag der Früchte«. Heutzutage ist das ein bekanntes Fest und wird auch in breiten Kreisen gefeiert: Nicht nur in Israel werden sogenannte Sedarim abgehalten, bei denen die typischen israelischen Früchte (Oliven, Granatäpfel, Weintrauben) sowie bekannte israelische Weine genossen und kabbalistische Texte rezitiert werden.
Auch viele Gemeinden in Deutschland veranstalten an diesem Tag Festabende. Was aber genau soll dabei gefeiert werden? Welche Themen kann man ansprechen? Und welche Zielgruppen lassen sich für diese Veranstaltungen gewinnen?
Wenn man Jugendliche erreichen möchte, dann ist es relativ einfach: Man kann an einem solchen Abend die Verbindung der jungen Menschen zu Israel und dessen Geschichte Für Kinder ist das interessant, begeisternd und lässt sich gut präsentieren. Wenn es jedoch um Erwachsene geht, ist es nicht so einfach. Diejenigen, die eine gute Verbindung zu Israel haben, sind kaum mit israelischen Früchten und Geschichten zu beeindrucken.
Andere, die keine Verbindung zu Israel haben, werden kaum kommen – die Früchte können sie schließlich auch im Supermarkt finden. Eine Tu-Bischwat-Feier für Erwachsene stellt also eine Herausforderung dar, sowohl für Rabbiner als auch für die Kultusbeauftragten der Gemeinden. Doch gerade in unserer Zeit des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und wachsender Sorgen um die Natur kann man durchaus relevante und ansprechbare Themen finden.
nachhaltigkeit Der Umweltschutz ist ein Anliegen, das in unserer Zeit immer wichtiger wird. An Tu Bischwat können wir uns fragen: Was muss jeder Einzelne dazu beitragen, was sagt die Tora dazu, was versteht das Judentum unter Nachhaltigkeit? Interessant wäre auch, zu erfahren, wie wir mit den natürlichen Ressourcen umgehen sollten.
Im 5. Buch Mose (20,19) finden wir das Verbot, Obstbäume bei der Belagerung einer Stadt zu zerstören: »Wenn du lange Zeit vor einer Stadt liegen musst, wider die du streitest, um sie einzunehmen, so sollst du ihre Bäume nicht verderben, indem du die Axt daran legst; denn du kannst davon essen, darum sollst du sie nicht abhauen.«
Daraus leiten unsere Weisen das Verbot »Bal Taschchit« ab – das Verbot, nützliche Gegenstände unnötig zu zerstören. Laut Maimonides, dem Rambam (1135–1204) übertritt dieses Gebot auch, wer eine Quelle verstopft oder Lebensmittel vernichtet (Mischne Tora, Hilchot Melachim 6, 8–10).
Im Midrasch Rabba zu Kohelet heißt es: »Als Gott den ersten Menschen erschuf, führte er ihn herum zu allen Bäumen des Garten Eden und sprach zu ihm: ›Siehe was ich erschaffen habe, die schönen Bäume … siehe dich vor und richte meine Welt nicht zugrunde, denn wenn du sie zerstörst, gibt es niemanden, der sie nach dir reparieren könnte.«
Fleischkonsum Wasser, Erde und Luft sind Allgemeingut und wichtig für die Menschen. Es ist halachisch verboten, sie zu schädigen oder zu verschwenden. Jedoch stellt sich die Frage, wie weit wir dabei gehen müssen. Was sollten wir tun oder dürfen wir nutzen, auch wenn es der Natur Schaden zufügt – Stichworte: Plastikmüll, CO2-Ausstoß, Fleischkonsum, Überfischung? Was dürfen wir und was nicht, um die von G’tt geschaffene Welt nicht weiter zu belasten? Wo sind die Grenzen?
Im 1. Buch Mose (2,5) wird ein merkwürdiges Detail bei der Erschaffung der Welt erwähnt: »Es war aber noch kein Strauch des Feldes auf Erden, noch irgendein grünes Kraut auf dem Felde gewachsen; denn G’tt der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und es war kein Mensch vorhanden, um das Land zu bebauen.«
Unsere Weisen fragen, warum es G’tt nicht auf die Erde regnen ließ, und beantworten die Frage wie folgt: »Weil der Mensch noch nicht da war, den Erdboden zu bebauen.« Weil also kein Mensch da war, gab es auch keinen Bedarf an Pflanzen! Das bedeutet, dass die Welt und die Natur nur für die Bedürfnisse der Menschen erschaffen wurden.
Regenwald Nicht wir sind für die Bäume da, sondern die Bäume für uns! Und das bedeutet auch, dass wir, wenn es nötig ist, sie nutzen dürfen. Wir können sie fällen, um Möbel zu bauen. Wir dürfen ihre Früchte genießen. Wir sollen damit auch unsere Städte verschönern. Wir sollten aber darauf achten, dass wir dies nicht unnötig und über die Maßen tun. Rodungen des Regenwaldes oder Vernichtung von Lebensräumen durch Feinstaub und andere Belastungen sind eindeutig nicht im Sinne der Tora.
Auch ist es nicht nötig, jeden Tag Fleisch oder Fisch zu essen. Das Judentum lehrt uns, dass alle Extreme schädlich sind. Und es ist eben ein wichtiges Anliegen, die Umwelt zu schützen. Doch sollte man sich nicht von »übertriebenem Naturschutz« verrückt machen lassen. Der Verzicht auf jegliches tierische Produkt ist keine Forderung der Tora. Eine Diskussion darüber bereichert bestimmt auch jede Tu-Bischwat-Feier in der Gemeinde.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Dessau und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD).