Sukkot

Zeit unserer Freude

Die Tora zählt auf, wer sich am Fest freuen soll: Mann, Sohn, Tochter, Knecht, Levit, Magd, der Fremdling, die Witwe und die Waise. Die Ehefrau ist wohl wieder einmal mitgemeint. Foto: picture alliance / Newscom

Alle drei Wallfahrtsfeste haben einen Beinamen: Pessach wird als »Zeit unserer Freiheit« gewürdigt, Schawuot als »Zeit der Gabe unserer Tora« – und Sukkot als »Zeit unserer Freude«. Für die erstgenannten Feiertage ist das klar, mit dieser Bezeichnung wollten die Rabbiner kurz und knapp deren Bedeutung in Erinnerung rufen. Aber warum heißt Sukkot dann nicht »Zeit unserer Wanderungen« oder »Zeit unserer provisorischen Behausungen«? Freude ist ja nichts Spezifisches, jedes Fest ist doch ein fröhlicher Anlass!

Und doch fordert die Tora allein beim Laubhüttenfest explizit zum Fröhlichsein auf, bei den Vorschriften für die anderen Feiertage findet sich das nicht. Dieses Gebot der Freude zu Sukkot taucht dann auch gleich dreimal auf: »Du sollst dich an deinem Fest freuen, du, dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, der Levit, der Fremdling, die Witwe und die Waise, die in deinen Toren leben« (5. Buch Mose 16,14).

Die Ehefrau wird hier zwar nicht erwähnt, aber wir dürfen annehmen, dass sie wohl wieder einmal mitgemeint ist. Der folgende Vers schließt mit der Ankündigung: »und du wirst fröhlich sein«. Und auch bei der Beschreibung von Sukkot als Wallfahrtsfest im 3. Buch Mose 23,40 heißt es: »Sieben Tage sollt ihr euch vor dem Ewigen, eurem Gott, freuen.«

Jahrmarktstimmung Es lässt sich gut nachvollziehen, dass zu Tempelzeiten die Leute an Sukkot ausgelassen waren. Jom Kippur war überstanden, die Ernte eingebracht, und nun pilgerte man zum Dank nach Jerusalem, wo die Dankopfer im Heiligtum dargebracht wurden, aber auch in der ganzen Stadt eine Jahrmarktstimmung herrschte.

Die Tora fordert beim Laubhüttenfest explizit gleich dreimal zum Fröhlichsein auf.

Im rabbinischen Hebräisch wird das Laubhüttenfest vor allem »HeChag«, also »das Fest« genannt. Und die durchaus farbigen Schilderungen des Talmudtraktats Sukka geben einen Eindruck von der festlichen Beleuchtung der Stadt und der Vielzahl von Prozessionen, die sich um die Zeremonie des Wasserschöpfens drehten.

Täglich wurde aus der Gichon-Quelle in der Unterstadt ein goldenes Fläschchen Wasser geschöpft, um es dann oben im Tempel auf dem Altar auszugießen, in der Hoffnung, dass in der bald beginnenden Winterzeit segensreiche Regengüsse das Land befeuchten würden. Rabbi Jehoschua ben Chanania erzählte später rückblickend: »Als wir uns an der Freude des Wasserschöpfens beteiligten, sahen unsere Augen keinen Schlaf.« Und der Widerschein der Fackeln war offenbar so hell, dass »bei deren Licht eine Frau Erbsen lesen konnte«.

Neben den religiösen Zeremonien gab es auch allerhand Volksbelustigung. Der Babylonische Talmud (Sukka 53a) überliefert: »Man erzählt von Rabban Schimon ben Gamliel, dass er, wenn er sich an der Feier der Wasserprozession beteiligte, mit acht Fackeln jonglierte, die eine warf und die andere auffing, ohne dass sie einander berührten.«

Jonglierkünste Diese Anekdote animierte die Rabbiner des Talmuds, auch von den Jonglierkünsten anderer Kollegen zu erzählen, allerdings ohne Bezug zu Sukkot: »Levi jonglierte vor Rabbi mit acht Messern, Schmuel vor dem König Sapor mit acht Gläsern Wein, Abajje vor Raba mit acht Eiern, und wie manche sagen, mit vier Eiern.« Für die damals Anwesenden war es wohl nicht so lustig, aber uns heutige Leser erheitert doch die Episode, dass die aufgebrachte Gemeinde einen Kohen, der das (heilige) Wasser nicht auf den Altar, sondern auf seine Füße schüttete, mit Etrogim bewarf.

Sman Simchatenu – Und was ist heute unsere Freude an Sukkot? Es macht kaum etwas mehr Spaß, als Dinge selbst zu machen: das Austüfteln einer passenden Kons­truktion für die Sukka in der Gemeinde oder auch zu Hause; das Bauen, das sich nicht allein, sondern nur mithilfe anderer bewerkstelligen lässt; das Dekorieren mit Girlanden, Bildern und selbst gebasteltem Schmuck.

Und dann gibt es da noch die Uschpisin, die mystischen Gäste, die uns jeden Tag besuchen.

Und dann während des Festes der durchaus sportliche Anspruch, auch bei herbstlicher Kälte oder etwas Regen darin zu sitzen, Suppe zu löffeln und heiße Getränke mit und ohne Schuss zu trinken. (Eine Berliner Synagoge pflegt in der Laubhütte den Brauch, den Kaffee nicht mit Milch, sondern mit Eierlikör zu weißen.)

stimmung Neben all diesen stimmungsaufhellenden Mitteln ist das Schöne an Sukkot, dass es soziale Unterschiede einebnet. Egal ob wir in einer kleinen Wohnung oder in einer geräumigen Villa leben: Während der Sukkot-Tage sitzen wir auf einfachen Bänken zusammen und sind aufgefordert, für eine Woche zumindest gedanklich die Sicherheit unseres Komforts aufzugeben. Das relativiert dann doch auch manche Probleme und macht uns empfänglich für die Freude von Dankbarkeit.

Und dann gibt es da noch die Uschpisin – die mystischen Gäste, die uns jeden Tag in der Sukka besuchen. Die traditionellen biblischen Gestalten können wir in Spiel und Gespräch noch erweitern durch imaginäre Figuren aus Literatur, Geschichte, Sport und Film – Menschen, mit denen wir schon immer einmal gern an einem Tisch sitzen wollten.

Und am besten sind natürlich die realen Gäste, mit denen wir zum Laubhüttenfest noch immer Challa in Honig tunken und das Sukkot-Lied singen: »Wesamachta bechagecha wehajita ach sameach« – »Du sollst dich an deinen Festen freuen – und dann wirst du fröhlich sein« (5. Buch Mose 16, 14–15).

Die Autorin ist Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Hameln, betreut die Liberale Gruppe der IRGW Stuttgart und ist Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

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