Herr Rabbiner, es heißt, Adar sei der freudigste Monat des ganzen Jahres. Haben Sie mit Blick auf die Katastrophen in Japan nicht gewisse Zweifel?
Unsere Weisen sagen: Im selben Maße, in dem man im Anfang des Monats Aw die Freude vermindert, vermehrt sich mit dem Beginn des Monats Adar die Freude. Dieser Satz muss richtig verstanden werden. Eigentlich ist der Adar ein trauriger Monat, deswegen liegt es an uns, die Freude zu mehren.
Wie können wir das angesichts von Erdbeben, Tsunami und Atom-GAU?
Wir alle beten für die Menschen in Japan, für die Opfer und ihre Angehörigen. Und wir hoffen, dass die Atomkatastrophe nicht das befürchtete Ausmaß annimmt. Wir sind voller Sorge, auch angesichts der jüngsten Naturkatastrophen in Haiti, Thailand und anderen Orten. Und es wäre absolut unpassend zu sagen, »Baruch Haschem, wir bleiben in Deutschland davon verschont«. Das wäre Unsinn. Wir sind nicht sicher vor Katastrophen, nirgendwo. Das Judentum lehrt uns, dass wir als Menschen mit der gesamten Welt verbunden sind.
Fällt es deshalb nicht besonders schwer, in diesem Jahr Purim voller Freude zu feiern?
Judentum kann Freude und Trauer vereinbaren. Nicht nur an Jom Hasikaron und Jom Haazmaut. Es muss auch in Zeiten von Trauer eine Zeit für Freude geben. Bei Purim geht es nicht darum, mit Kostümen, Tanz und Alkohol dieser Welt für ein paar Stunden zu entfliehen. Es geht vielmehr um die Kraft, mit dem Geschehen umzugehen. Ich verweise auf den Jom-Kippur-Krieg, als in Israel diskutiert wurde, wie nach Tod und Schrecken zwei Wochen später Simchat Tora gefeiert werden konnte. Das ist die Kraft des jüdischen Volkes, die Hoffnung des Lebens zu sehen. Wir können G’ttes Entscheidungen, warum etwas geschieht, nicht verstehen. Doch wir können entscheiden, was wir daraus lernen: Was können wir mehr für Umweltschutz, Reaktorsicherheit und Ähnliches tun? Wie können wir besser miteinander umgehen, als Nachbarn, Völker und Nationen?
Sollten auch die Bewohner von Itamar nach dem schrecklichen Attentat an Purim feiern?
Auf jeden Fall! Wir sind nicht gegen, sondern für das Leben. Ich habe kürzlich in Israel die Rede einer Mutter gehört, die zwei Söhne in Kriegen verloren hat. Diese wirklich beeindruckende Frau fragte, ob sie Rache üben oder ihr ganzes Leben in Trauer verbringen sollte. Nein! Sie entschied sich – soweit es trotz des Schmerzes möglich ist – sich am Leben zu erfreuen. Das ist die richtige Antwort.
Mit dem Rabbiner sprach Detlef David Kauschke.