Die Zahl Sieben spielt in unserem Leben eine außerordentlich wichtige Rolle. In fast jedem Bereich ist diese Zahl präsent. In der Musik gibt es genau sieben Noten in einer Oktave. In der Physik sind es genau sieben Farben, die bei der Lichtbrechung entstehen. In Erdkunde sind es sieben Kontinente, in die sich unsere Erdkugel aufteilt.
In der Biologie erweist sich die Zahl Sieben als wichtig bei der taxonomischen Klassifikation, also bei einem einheitlichen Verfahren, Objekte eines gewissen Bereichs nach bestimmten Kriterien zu klassifizieren. Dabei wird nach sieben Kriterien ausgewählt. Diese sind im Einzelnen: Reich, Stamm, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung und Art.
In der Mathematik kennen wir diese Zahl aus der Stochastik, da sie sich bei Weitem als die häufigste Zahl erwiesen hat, die beim Wurf von zwei Würfeln erscheint. In der Anatomie sind es die sieben Öffnungen im Schädel, also zwei Ohren, zwei Nasenlöcher, zwei Augen und ein Mund. In der Psychologie wird die Sieben oft als die Millersche Zahl bezeichnet. Der US-Psychologe George A. Miller stellte fest, dass ein Mensch gleichzeitig nur sieben (plus/minus zwei) Informationseinheiten im Kurzzeitgedächtnis präsent halten kann. Falls sich eine Person acht sogenannte Chunks merken kann, so gilt sie als überdurchschnittlich intelligent.
Alltag Das waren nur einige Beispiele der Bedeutung der Zahl Sieben. Wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass wir auch in unserem Alltag ständig auf die Zahl Sieben treffen, wie zum Beispiel bei den sieben Ta gen der Woche. Es ist schon sehr bemerkenswert, dass es keine einzige Kultur oder kein anderes Volk auf der Erde gibt, in deren Verständnis die Woche in sechs oder acht Tage eingeteilt ist.
In vielen verschiedenen Kulturen und Religionen spielt die Zahl Sieben sogar eine wichtige und durchaus mystische Rolle. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass bei Umfragen nach einer Lieblingszahl zwischen eins und neun die überwiegende Mehrheit der Befragten sich für die Zahl Sieben entschieden hat. Bei der Farbenwahl war es Blau, deswegen bezeichnet man dieses Phänomen in der Psychologie als das »Blue-Seven-Phänomen«.
Auch in der jüdischen Religion spielt die Zahl Sieben eine ausschlaggebende Rolle. Sieben Tage dauerte die Schöpfung der Welt. Der Schabbat ist der siebente Tag der Woche. Sieben Tage dauern das Pessach- und das Sukkotfest. Das siebte Jahr ist ein Schmita-Jahr. Es gibt sieben noachidische Gebote, sieben Vorväter und -mütter, sieben reine Tage bei einer Frau, bevor sie die Mikwe, das rituelle Tauchbad, besucht, um nur wenige Beispiele dafür zu nennen.
Doch auch die Zahl Acht ist im Judentum vorhanden und wichtig. Chanukka wird an acht Tagen begangen oder die Brit Mila, die Beschneidung, die am achten Tag nach der Geburt durchgeführt wird. Doch was symbolisieren diese Zahlen? Und welche Bedeutung haben sie für unser Leben?
Natürlich Unsere Weisen sagen, dass die Sieben für alles Natürliche, Körperliche und Begrenzte in unserer Welt steht. Das ist sehr einleuchtend, wurde doch die Welt, also alles Körperliche, in sieben Tagen erschaffen. Das ist auch der Hintergrund, warum wir so oft diese Zahl auf der Welt und in ihren Gesetzen finden. Im Gegensatz dazu symbolisiert die Acht etwas Übernatürliches, das mit den Gesetzen der Physik und der körperlichen Welt nicht erklärt werden kann, etwas, das außerhalb der Zeit und der Materie ist und einem Wunder gleicht.
Das ist auch der Grund, warum die Brit Mila, die unseren ewigen Bund mit dem Allmächtigen, der das Nicht-Natürliche und das Nicht-Materielle symbolisiert, besiegelt, genau am achten Tag stattfindet. Auch Chanukka gehört zu den Wundern, die sich physikalisch nicht erklären lassen. Wir feiern das Lichterfest acht Tage lang, weil eine kleine, unausgebildete Gruppe von Priestern, die noch nie zuvor eine Waffe in der Hand gehalten hatte, die stärkste Armee der Welt besiegte, und weil das Öl, das normalerweise nur für einen Tag ausreichte, ganze acht Tage gebrannt hat. Chanukka ist das Symbol für die Übernatürlichkeit.
Diese Idee lässt sich sehr gut auf die Zeit übertragen, in der wir uns gerade befinden, nämlich die Omer-Zeit. Es steht in der Tora, dass wir sieben Wochen, also sieben Mal sieben Tage, ab dem zweiten Tag von Pessach zählen sollen. Der 50. Tag ist Schawuot, der Tag, an dem wir die Tora von G’tt bekommen haben. Also sehen wir wieder, dass die sieben Wochen etwas Natürliches sind, wobei der 50. Tag für das vollkommen Übernatürliche steht, nämlich unsere Verbindung zu G’tt.
AUSZUG Unsere Weisen sagen, dass der Grund für den Auszug aus Ägypten die Entgegennahme der Tora war. Doch wenn das stimmt, warum hat G’tt uns diese nicht gleich nach dem Auszug übergeben? Oder vielleicht am achten Tag danach? Und wozu müssen wir bis Schawuot jeden einzelnen Tag abzählen? Aber wenn wir schon beim Zählen sind: Sollten wir nicht in umgekehrter Reihenfolge zählen?
Wenn man irgendein großes Ereignis erwartet, dann zählt man doch die verbleibenden Tage bis dahin, also fallend und nicht aufsteigend. Und die letzte Frage wäre: Warum zählen wir nur 49 Tage und warum zählen wir nicht den 50. Tag mit?
Die Antwort: Schawuot und unser Empfang der Tora ist zwar ein übernatürliches Ereignis, doch kein einfaches Geschenk gewesen. Es war und ist ein Geschenk, das wir uns zumindest zum Teil selbst erarbeiten mussten und müssen.
Die 49 Tage symbolisieren die 49 Stufen der geistigen Vervollkommnung, die wir erklimmen müssen, um auf der 50. Stufe die Tora zu empfangen. Dieses erreichen wir nur, indem wir jeden Tag an uns selbst und unseren Eigenschaften arbeiten und sie verbessern.
Brauch So haben unsere Weisen eine genaue Tabelle aufgestellt, an welcher Eigenschaft man an welchem der 49 Tage konkret arbeiten soll. Das ist auch der Grund, warum viele den Brauch pflegen, in der Omer-Zeit Pirkej Avot, die Sprüche der Väter, zu lernen, die uns zu besseren Menschen erziehen sollen. Jeden einzelnen Tag, den wir zählen, arbeiten wir an einer speziellen Eigenschaft von uns, und steigen damit eine Stufe höher. Das ist natürlich und liegt in unserer Hand.
Doch nachdem wir die 49 Tage durchgezählt und die 49 Stufen passiert haben, folgt der 50. Tag und damit das Geschenk der Tora automatisch, von G’tt selbst, auf eine übernatürliche Art und Weise. Aus diesem Grund zählen wir die Tage nach oben und nur 49 Tage. Das sind unsere Anstrengungen, um uns zu verbessern, und jede Verbesserung lässt uns eine höhere Stufe, ein neues Niveau erreichen. Doch der 50. Tag und die Tora kommen von G’tt und sind übernatürlich.
Mögen wir alle die Omer-Zeit nutzen, um an uns zu arbeiten und zu besseren Menschen zu werden, damit wir alle wieder »wie ein Mensch mit einem Herzen« würdig sind, die Tora zu empfangen.
Der Autor ist Rabbiner in Freiburg.