Am Freitag vor drei Wochen hat einer meiner Schüler einen Bruder bekommen. Überglücklich meldete er sich am darauffolgenden Montag zu Wort und sagte: »Herr Frenkel, meine Mutter hat einen Jungen geboren, und Sie sind herzlichst zur Brit Mila eingeladen!« In der Pause rannte er dann nach vorn und drückte mir die Einladungskarte in die Hand: »Schabbat – Brit Mila 9.00 Uhr und Essen 12.00 Uhr. Wir freuen uns auf Ihr Erscheinen!«
Ich setzte den Unterricht fort und erließ dem frischgebackenen Bruder die Hausaufgaben. Irgendwie musste ich ja meine Sympathie zeigen. Tief im Innersten dachte ich jedoch: »Mist!« Die Synagoge und mein Zuhause liegen zwölf Kilometer voneinander entfernt. Das bedeu- tet drei Stunden Hinweg und drei Stunden Rückweg. Und das am Schabbat!
Hausaufgaben Am Dienstag meldete sich der Junge nochmals: »Herr Frenkel, ich habe Fotos von meinem Bruder mitgebracht. Darf ich sie Ihnen in der Pause zeigen?« Ich murmelte etwas Unverständliches. Am Ende des Unterrichts kam der Knabe wieder zu mir: »Herr Frenkel, wir freuen uns ja alle so sehr, dass Sie zur Brit kommen werden. Vielen, vielen Dank! Übrigens, ich muss Ihnen mitteilen, dass das Essen erst um 13 Uhr beginnt. Es ist so schön, dass Sie kommen!« Ich rechnete nach: Ich werde erst gegen Abend wieder zu Hause sein. Als mir das klar wurde, rief ich den Jungen zurück und gab ihm Hausaufgaben.
Am Mittwoch las ich die Zeitung. Ich überflog sämtliche Nachrichten und blätterte zu den Wetterprognosen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es am Schabbat regnen wird, liege bei 90 Prozent, stand da. Den ganzen Tag heftige Schauer. Ziemlich missgelaunt kam ich dann in die Schule. Vorn saß der glückliche Junge und strahlte übers ganze Gesicht. »Ich denke, ich weiß schon, wie mein Bruder heißen wird«, sagte er zu mir. Ich ermahnte ihn, leise zu sein und mir seine Hausaufgaben zu zeigen. »Du, hör mal«, begann ich unsicher, »ich weiß nicht wegen nächstem Schabbat.« – »Ja, das wird sooo schön, Herr Frenkel, ich freue mich schon riesig!«
Am Donnerstag ging ich in diese Synagoge beten. Neben mir saß der Mohel. Ich fragte ihn, ob die Brit Mila wirklich am Schabbat stattfinden wird. Ja, sie wird. Wäre es nicht besser am Sonntag, wollte ich wissen. Er guckte mich seltsam an. Ich versuchte, ihm die Sache zu erklären: »Der einzige Ruhetag ist der Schabbat. Da komme ich von meiner Synagoge nach Hause und fläze mich nach dem Mittagessen für drei Stunden hin. Die Ruhephase ist enorm wichtig, verstehen Sie?« Leider verstand er nicht.
Am Freitag tanzte der Junge vor meinen Füßen. Jetzt wisse er ganz genau, wie sein Bruder heißen wird. Hihihi. Ich antwortete: »Hahaha.«
Aber Gott lachte nicht. Er ließ es am Schabbat den ganzen Tag regnen. Ich kehrte erst am Abend nach Hause zurück und war klitschnass. Meine Frau eilte mir entgegen und trocknete mich ab. »Mhmm, willst du vielleicht mit mir kuscheln?« Ich überlegte: »Nein, lieber am Sonntag. Dann gibt’s in neun Monaten ein Sonntagskind, und ich könnte am Montag freinehmen von der Schule.