Wir hatten uns für Freitagnachmittag verabredet. Ich sollte bei Schmulik vorbeischauen und ihn abholen. Unser Plan war, gemeinsam zur Synagoge zu gehen, und dabei würde mich Schmulik auf den neuesten Stand bringen: Wen darf man nicht auf welches Thema ansprechen? Wer spricht nicht mehr mit wem? Oder bei wem habe ich selbst gerade schlechte Karten? Außerdem konnte ich mein Auto bei ihm in die Tiefgarage stellen. So sieht es aus, als sei ich den gesamten Weg zur Synagoge gelaufen. Den Parkplatz um die Ecke kennen schon zu viele andere Beter. Die parken da auch heimlich.
Schmulik sagt, er könnte noch in Ruhe zu Hause das Minchagebet erledigen und mir einen winzigen Kaffee machen. Leider nimmt er es wörtlich: kleine Tassen, und es wird nie nachgeschenkt – wie beim Kiddusch. Er wäre dann vollkommen entspannt, meinte er, und wir hätten viel Zeit für den ruhigen Austausch. Aber als ich bei ihm eintraf und er die Tür öffnete, war er vollkommen durchgeschwitzt. Was war passiert? Bereitet er sich auf die Meisterschaften im Speed-Davenen vor?
Hoffnung Schon vor Stunden wollte er das kurze Gebet machen. Kaum hatte er sich bereitgemacht, hätte es an der Tür klingelt. Vor der Tür standen ein junger Mann und eine junge Frau. Schmulik war überrascht: Ein neues orthodoxes Paar in der Stadt! Sie trug einen knöchellangen dunkelblauen Rock und hatte sittsam die Arme bedeckt. Er hatte einen schwarzen Anzug an. Sehr, sehr, sehr ordentlich die beiden. Schmulik meinte, das hätte er als Zeichen gesehen. Dafür, dass es doch Hoffnung für die jüdische Jugend hierzulande gäbe.
Also hat er die beiden schnell in die Wohnung gezogen. »Hereinspaziert. Bruchim Habaim! Herzlich Willkommen!« Er erzählte ihnen, wie das ist, wenn man religiös ist und neu in der Stadt unter all den anderen, denen alles egal ist. Endlich vernünftige Leute. Man hatte ihnen die richtige Adresse genannt. Bei Schmulik wären sie genau richtig.
Vorfahren Aber, halt! Irgendetwas stimmte nicht. Der Mann trug ja gar keine Kippa?! Er musste sie im Hausflur verloren haben. Da fiel Schmuliks Blick auf ein Namensschildchen, dass der Bursche trug: »Elder Yacobovitz«. Elder ist doch kein jüdischer Name. Über dem Namen stand »Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage«. Mormonen also. Sicher waren die Vorfahren von Elder Yacobovitz nicht unbedingt auch Mormonen. Schmulik kombinierte recht schnell, dass da wieder jemand über das Internet Besuch für ihn geordert hatte.
Jetzt begannen seine Besucher ihrerseits mit dem Gespräch: »Wollen Sie mit uns über Gott sprechen?« – »Ne, Danke, ich wollte gerade mit Gott sprechen. Das spart Ihnen und mir viel Zeit.« Das darauf folgende Gespräch war wohl dann doch etwas länger. Und weil sie schon in der Wohnung standen, konnte Schmulik auch nicht einfach die Tür ins Schloss fallen lassen.
»Und wie ist es ausgegangen?«, wollte ich wissen. »Nun, ich habe Elder Yacobovitz die Telefonnummer vom Chabad-Rabbiner aufgeschrieben. Ich denke, bestimmt kommt Yacobovitz nächste Woche dann mit uns in die Synagoge und spendiert den Kiddusch.«