In unserem Wochenabschnitt geht es um einen Skandal. »Haben Sie schon gehört? Rabbiner X hat Burn-out. Er kann und will seine Gemeinde nicht mehr führen! Er wünscht sich den Tod und sagt: ›Nicht ich allein kann dieses ganze Volk tragen; denn mir ist es zu schwer … So lass mich doch lieber umkommen … und lass mich mein Unglück nicht sehen‹ (4. Buch Mose 11, 14–15).«
EHEPROBLEME Kein Wunder, dass er sterben will! In seiner Familie stimmt vieles nicht: Er hat dermaßen große Eheprobleme, dass sogar seine Geschwister nicht mehr schweigen können, sondern laut und offen darüber reden. Es muss doch stimmen, wenn so viele darüber sprechen! Kein Rauch ohne Feuer! Und es gibt sogar schriftliche Berichte darüber: »Da sprachen Mirjam und Aharon über Mosche die ›Mohrin‹ betreffend, die er geheiratet hatte, denn eine ›Mohrin‹ hatte er geheiratet« (12,1).
Waren Miriam und Aharon etwa Rassisten? Der von Raschi zitierte Targum Onkelos und der Midrasch Sifri schreiben von einer »hübschen Frau«, die Gematria deutet »Mohrin« (hebräisch: Kuschit) als »schön von Aussehen«.
Ist es ein Skandal, wenn die Rebbetzin wie Naomi Campbell aussieht? Oder war es falsch, dass Mosche sich von seiner (wie auch immer aussehenden) Frau getrennt hatte? So kommentiert zum Beispiel Rabbi Joseph ibn Kaspi (1280–1340).
KONFLIKT Jetzt wissen wir zumindest, wer Rabbiner X ist. Kein Wunder, dass er mit allen im Konflikt liegt: mit seiner Gemeinde, seiner Familie und mit seiner nichtjüdischen Umgebung (Ägypten, Amalek, Midijan, Amon, Moaw …).
Haben Sie von seiner problematischen Kindheit gehört? Er wurde, so das Jugendamt im Landeskreis Goschen, »wegen einer Gefahrenmeldung fremdplatziert«. Es gab Berichte, es habe zwischen seinen Eltern große Spannungen gegeben, und kurz vor seiner Geburt hätten sie sich dann sogar getrennt. Typisch für Familien mit Migrationshintergrund!
Haben Sie von seiner Jugend gehört? Wegen eines Tötungsdelikts wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen, und er musste in den Nahen Osten fliehen. Kaum angekommen, geriet er in einen Streit mit den dortigen Hirten. Da keine Gemeinde ihn anstellen wollte, war er lange Zeit arbeitslos und dann in Kurzarbeit bei seinem Schwiegervater (einem nichtjüdischen Geistlichen!), nachdem er eine nichtjüdische Frau geheiratet hatte. Im Königreich Baschan wird gegen ihn wegen der Tötung von König Og ermittelt.
Redete man so über Mosche, als man sich im Zelt am Schabbestisch langweilte? Tscholent gab es damals am Schabbat noch nicht – aber üble Nachrede, Laschon Hara, die gab es bereits.
SCHABBAT »Ihr sollt am Schabbat kein Feuer in allen euren Wohnstätten anzünden« (2. Buch Mose 35,2).
Homiletisch wird das Feuerverbot als Verbot von Laschon Hara gedeutet. Die Sprache zeichnet das Menschenwesen aus. Das ist der g’ttliche Funke im Menschen. So schrieb der Rokeach, Raw Elasar ben Jehuda aus Worms (um 1176–1238). Zu der gleichen Erkenntnis gelangte aus einer ganz anderen Perspektive der Linguist und Kognitionswissenschaftler Noam Chomsky.
Wie sollen wir das Verbot von Feuer am Schabbat begreifen? Soll man etwa am Schabbat nicht sprechen? Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) schreibt dazu: »Feueranzünden stellt sich einerseits an sich nicht als eine produktive, schaffende, vielmehr als eine zerstörerische Tätigkeit dar.«
Der Lemberger Rabbiner Awraham Menachem Rapoport (1584–1651) erklärt das Verbot von Feuer am Schabbat so: Man versammelt sich in der Synagoge, und man spricht. Auch zu Hause empfängt man Gäste und spricht – im Idealfall die Worte der Tora. Eine helle, reine Flamme des Geistes lodert unsichtbar zwischen den Menschen. Leider arte sie manchmal aus, und ein Qualm von Laschon Hara erhebt sich. Diese Art von Feuer verbietet die Tora. Warum ausgerechnet am Schabbat? Weil sich die Gelegenheit zu lästern bietet!
Heute kann man mithilfe der sozialen Medien viel schneller und besser »anzünden und anfachen«, nämlich pikante Neuigkeiten über die Führungspersönlichkeiten austauschen: über Rabbiner, Reli-gionslehrer, Gemeindevorstände.
RICHTER Vor Kurzem, an Schawuot, haben wir Megillat Ruth gelesen. Sie beginnt mit den Worten: »Und es war in der Zeit, als die Richter richteten, und es herrschte Hungersnot …«
Unsere Weisen deuten: Die Strafe dafür, dass die Juden ihre Richter richteten, war die Hungersnot. Wenn nicht Rabbiner oder Religionslehrer die Leistungen und das Wissen der Schüler beurteilen, sondern umgekehrt, die Eltern mit ihren Kindern die Leistungen und das Wissen der Rabbiner und Lehrer am Schabbattisch beurteilen, dann ist geistiger Hunger die Folge.
Aharon bekommt den Auftrag, den siebenarmigen Leuchter, die Menora, zu entzünden – ein reines, kreatives Feuer des menschlichen Geistes. Die Flammen der sieben Ölleuchten sollen durch eine zündende Fackel so lange unterstützt werden, bis sie von allein zum Himmel aufsteigen.
Das ist die Bedeutung des hebräischen Beha’alotcha. Das ist die Aufgabe der führenden Persönlichkeiten: die Gemeinschaft zur positiven Eigendynamik, -initiative und Selbstverantwortung zu führen. In der Sprache der poetischen Bilder: Die Flammen der Menora sollen so erstarken, dass sie fortan ohne die zündende Fackel brennen, die der Hohepriester in der Hand hält.
Wenn die Flammen zu qualmen beginnen, kann man der zündenden Fackel des Anführers die Schuld geben oder prüfen, ob das Öl immer noch rein ist, ob es frische Luft gibt, ob die Dochte gut ziehen.
NACHFOLGER Selbstverständlich sind nicht alle heutigen Anführer würdige Nachfolger Mosches, Mirjams und Aharons. Und auch wenn sie das wären: Selbst die drei erwähnten großen Persönlichkeiten begingen Fehler und trugen die Konsequenzen (Laschon Hara und als Folge bei Mirjam der Aussatz, bei Aharon das Goldene Kalb und bei Mosche der geheimnisvolle Fehler an dem sogenannten Haderwasser).
Kritik oder gar Entrüstung sollen allerdings so zur Sprache gebracht werden, wie die Töchter von Zelofchad das taten (4. Buch Mose 27, 1–4). Jemandem ins Gesicht zu sagen: »Du hast unrecht!« ist eine moralische Pflicht. Doch hinter dem Rücken zu lästern, ist Brandstiftung.
Sogar große Persönlichkeiten wie Mirjam und Aharon taten es – und dies, obwohl die Zielscheibe von Laschon Hara ihr eigener Bruder war. Erst recht müssen wir einfachen Menschen uns davor hüten.
»Wenn du anzündest …« – so beginnt unser Wochenabschnitt. Also prüfe immer, ob die Flamme, die du entzündest, wirklich nur Wärme und Licht gibt. Gieß kein Öl in ein zerstörerisches Feuer!
INHALT
Der Wochenabschnitt Beha’alotcha beginnt mit den Vorschriften für das Licht im Stiftszelt. Danach bringt er weitere Vorschriften für die Leviten. Außerdem wird ein zweites Pessachfest für diejenigen eingeführt, die es im Monat Nissan nicht feiern konnten. Ferner wird geschildert, wie am Tag eine Wolke und nachts eine Feuersäule die Anwesenheit des Ewigen am Stiftszelt anzeigen. Immer, wenn die Wolke sich vom Stiftszelt entfernte, setzten auch die Kinder Israels ihren Zug fort.
4. Buch Mose 8,1 – 12,16