Vier Jahresanfänge nennt uns der Talmud: zunächst den 1. Nissan als Beginn der Regierungsjahre von Israels Königen – und gleichzeitig als Beginn des Festtagszyklus im jüdischen Jahreskreis. Und natürlich den 1. Tischri, unser eigentlicher Rosch Haschana, von dem ab die Kalenderjahre gezählt werden.
Zwei weitere »Neujahrstage« waren eher Stichtage im einstigen Steuerjahr. Vom 1. Elul an wurde nach Rabbi Meir die Verzehntung des Viehs errechnet, als Abgabe an die Priesterschaft im Tempel. Der 15. Schwat wiederum gilt in der Mischna als Neujahrstag der Bäume – nach Bet Hillel. Bet Schammai hatte hierfür den 1. Schwat vorgesehen, was sich aber nicht durchgesetzt hat.
Was bedeutet nun »Neujahrstag der Bäume«? Nicht nur die steuerlichen Abgaben auf den Ertrag der Baumfrüchte, sondern auch die Berechnung der Orla richtete sich nach diesem Tag (das heißt, ab welchem Erntejahr die Früchte eines jungen Baumes für den Besitzer zum Verzehr beziehungsweise zur Nutzung freigegeben waren). Das Datum ergab sich aus der Jahreszeit, in der die Natur wieder erwacht und auch die ersten Bäume Blätter und Knospen ansetzen, allen voran der Mandelbaum.
Obstbäume Der Tanach, die Hebräische Bibel, kennt den 15. Tag im Monat Schwat als den »Chag ha-Ilanot«, das Neujahrsfest der Bäume, noch nicht – wohl aber die besondere Bedeutung von Obstbäumen. So lesen wir im 5. Buch Mose, dass im Fall der Belagerung einer feindlichen Stadt im Krieg diese Bäume zu schonen sind, da sie Nahrungslieferanten darstellen, nicht nur für den Augenblick, sondern auch für künftige Generationen. Denn Bäume wachsen langsam, generationsübergreifend.
Das Prinzip von Bal Taschchit, dem Verbot unnötiger beziehungsweise mutwilliger Zerstörung, finden wir aber bereits in der Schöpfungsgeschichte: Der Ewige setzt den Menschen als Hüter und Verwalter der Erde ein – als Nutznießer, nicht als Ausbeuter.
Der Midrasch verdeutlicht dies mit der Beschreibung des Auftrags des Ewigen an den ersten Menschen: »Alles, was Ich erschaffen habe, das habe Ich für dich erschaffen. Gib acht, dass du Meine Welt nicht verdirbst und nicht zerstörst; denn wenn du das tust, wird nach dir keiner da sein, der sie wieder in Ordnung bringen kann« (Kohelet Rabba 7,13).
Das Motiv von Tikkun Olam als der Verantwortung des Menschen für die Schöpfung ist dem Tag von Tu Bischwat von jeher immanent. Man bedenke, was Ma’asser, das Verzehnten, eigentlich bedeutet. Es handelte sich dabei nicht nur um eine ungeliebte Steuerpflicht, sondern hieß auch, dankbar zu sein für das, was einen der Ewige hatte erwirtschaften lassen. Gleichzeitig unterstützte diese Abgabe auch die sozial Schwachen der Gesellschaft, ebenso wie die stehengelassene Ackerecke (Pea), die Nachlese (Leket) und die vergessene Garbe (Schichecha).
»Regen kommt auch wegen eines Einzelnen, Lebensunterhalt nur wegen einer Gemeinschaft«, sagt Rabbi Jochanan (Taanit 9a), und er erklärt die Bedeutung von »asser te’asser« – den Zehnten, den Zehnten sollst du geben – mit einem Wortspiel: »asser bischwil schetitascher« – den Zehnten sollst du geben, damit du reich werdest (und damit umso mehr für die Gesellschaft beitragen kannst). So bekommt Tu Bi-schwat indirekt auch einen Bezug zur sozialen Gerechtigkeit innerhalb einer Gemeinschaft.
Sehnsucht Zu allererst ist Tu Bischwat aber verbunden mit der Landwirtschaft, und zwar im Land Israel. War es zunächst ein feststehender Zeitpunkt für Grundabgaben, so wurde es nach der Zerstörung des Zweiten Tempels und der Zerstreuung in die Diaspora ein Symbol für die Sehnsucht nach Eretz Israel und die Hoffnung auf eine Rückkehr dorthin.
Ab dem Mittelalter entwickelte sich der Brauch, an diesem Tag Früchte zu essen, die im Land Israel wachsen. Besonders beliebt waren Mandeln, dazu Zitrusfrüchte, Datteln und Feigen, aber auch die Früchte des Johannisbrotbaums, die lange haltbar sind und daher auch über weite Strecken transportiert werden konnten.
Waren frische Früchte nicht zu bekommen, so tischte man getrocknete Früchte auf. Bei der Auswahl orientierte man sich, falls erhältlich, an den sieben Arten, welche die Tora angibt (5. Buch Mose 8,8): darunter Trauben, Feigen, Granatäpfel, Oliven und Datteln. Im sefardischen Raum ist es zudem üblich, davor Speisen aus Weizen und Gerste zu verzehren, die die Tora zuerst nennt.
Tu Bischwat ist ein Halbfeiertag ohne spezielle Liturgie; arbeiten ist erlaubt. Seit der Errichtung des modernen Staates Israel ist der Tag dort vor allem zu einem »Chag ha-Netiot« geworden, einem Tag, an dem Schulklassen gemeinsam Bäume pflanzen, als ein starkes Symbol des Wiederaufbaus des Landes und der eigenen Verwurzelung in Israel.
Das Neujahrsfest der Bäume ist ein Symbol für das Mitarbeiten an der Realisierung einer Jahrtausende alten Hoffnung – und gleichzeitig des aktiven Beitrags zum Tikkun Olam, der Verbesserung der Welt.
Die Autorin ist Rabbinerin des Minjan Mischkan ha Tfila in Bamberg.