Neulich beim Kiddusch

Wenn die Challe dünner wird

Auch beim Kiddusch gibt es erste Anzeichen für die Krise. Foto: JA

Die Eurokrise ist da, und so wie es aussieht, sind wir Juden dieses Mal nicht als erste zum Sündenbock gemacht worden. Nun ja, einige Griechen meinen allerdings, dass zumindest ein paar Juden daran schuld seien, dass der Euro jetzt eine ungebremste Talfahrt hinlegt.

Dass mit der griechischen Weltanschauung nicht alles ganz koscher ist, wussten schon die Makkabäer und haben Anhänger derselben deshalb höflich gebeten, ihre politischen Ambitionen in Israel zu überdenken. Um das einmal euphemistisch zu formulieren. Das ändert leider nichts daran, dass wir jetzt Gezänk und schlechte Laune auf höchster politischer Ebene erleben. Dagegen scheint jede Gemeindevollversammlung ein richtiger Wellnessnachmittag zu sein.

sparen Dass die Krise uns erreicht hat, weiß ich spätestens seit einer großen Veranstaltung mit einer ganzen Reihe von Kulturschaffenden und einigen Vertretern öffentlicher Einrichtungen. Ein Architekt, dessen Vorhaben von einer jüdischen Organisation eingefroren wurde, deutete das für mich als Vorbote der bevorstehenden Katastrophe: »So weit ist es gekommen«, sagte er zu mir, »dass sogar die Juden jetzt schon sparen müssen.«

Wenn das Vorurteil stimmen würde, hätte ich noch mehr graue Haare, weil ich mich darum sorgen müsste, wo ich jetzt mit dem ganzen Geld hin soll, bevor es verfällt wie ein Gutschein für den Elektromarkt. Baruch haSchem habe ich kein Geld, also auch keine ernsthaften Sorgen.

anlagetipps Erste Anzeichen der Krise zeigen sich auch bei manchem Kiddusch. Die Challe ist dünner geschnitten als früher, der Lachs nur noch einlagig, es gibt weniger Einladungen, und sogar die Gespräche sind noch flacher als sonst. »Mein Bauch ist so leer wie meine Brieftasche. Was ist hier los?«, beschwerte sich kürzlich ein Beter. In dieser Zeit sind Anlagetipps viel wert. Aber was soll man erwarten? Die Leute sind verunsichert. »Kopfkissen« ist eine häufig zu hörende Antwort, aber sicher kein Schutz vor der bevorstehenden Monsterinflation. In der Schweiz anlegen? Wohl kaum. Denn wer weiß, ob auf das Minarettverbot nicht auch ein Kippaverbot folgt? Mein Favorit ist der Tipp »Gib alles aus und habe Spaß damit. Dann bleiben dir wenigstens gute Erinnerungen«. Nicht schlecht, dachte ich. Doch was soll ich ausgeben? Vielleicht lohnt es sich, einen Kredit aufzunehmen, um Geld zu haben, das man vor dem kompletten Zusammenbruch ordentlich auf den Kopf hauen kann.

Jedenfalls kommt bei vielen Unruhe auf. Ein Mann berichtet mir, dass in der Ukraine der Rubel, der praktisch nichts wert war, eines Tages durch den noch wertloseren Kupon ersetzt wurde. Was bei dessen Einführung 130 Kupons gekostet habe, kostete wenige Jahre später 100.000 Kupons. Ob er einen Inflationstipp für mich hätte? »Damals sind wir ohnehin ausgereist. Aber jetzt?« Vermutlich werde ich abwarten. Jede Krise wird ein Ende haben und diese hat ja schon viel früher begonnen als gedacht.

inflation Ein kinderreicher Bekannter öffnete mir vor Kurzem die Augen. Bei ihm begann die Geldentwertung vollkommen unabhängig von den Griechen. »Als unsere kleine Chaja geboren wurde, kamen wir mit dem Geld noch gut aus. Doch dann muss die Inflation begonnen haben. Als Mendel und der kleine Schmulik zur Welt kamen, reichte das Geld gerade noch so. Und als dann die süße Rachel dazustieß, kamen wir mit dem Geld kaum noch aus. Obwohl ich das Gleiche verdiente wie vorher! Die Inflation frisst unser Geld auf.« Die Inflation oder der kleine Schmulik. Wenn auch das letzte Stück Challe gegessen ist, werdet ihr sehen, dass man Pappteller nicht essen kann. Das haben weise Indianer einst gesagt, die ihn am Schabbestisch beobachtet haben.

Berlin

Von Generation zu Generation

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  06.09.2024

Potsdam/Berlin

Neue Stiftung für Ausbildung von Rabbinern nimmt Arbeit auf

Zentralratspräsident Schuster: »Die neue Ausbildung öffnet wichtige internationale Horizonte und Netzwerke innerhalb des liberalen und konservativen Judentums«

von Yvonne Jennerjahn  06.09.2024 Aktualisiert

Schoftim

Das Wort braucht auch die Tat

Warum Gerechtigkeit mehr als nur leeres Gerede sein sollte

von Rabbiner Alexander Nachama  06.09.2024

Talmudisches

Bedürfnisse der Bedürftigen

Was unsere Weisen über zinslose Darlehen lehrten

von Yizhak Ahren  06.09.2024

Sanhedrin

Höher als der König

Einst entschieden 71 Gelehrte über die wichtigsten Rechtsfragen des Judentums. Jeder Versuch, dieses oberste Gericht wiederaufzubauen, führte zu heftigem Streit – und scheiterte

von Rabbiner Dovid Gernetz  06.09.2024

München

Rabbiner offerieren »Gemeindepaket«

Mit besonders auf kleine Gemeinden abgestimmten Dienstleistungen will die Europäische Rabbinerkonferenz halachische Standards aufrechterhalten

 05.09.2024

Re’eh

Der Weg ist das Ziel

Warum man sich nie unvorbereitet auf die Suche nach Verborgenem machen sollte

von Vyacheslav Dobrovych  30.08.2024

Talmudisches

Essen übrig lassen

Was unsere Weisen über den Umgang mit Wirten lehrten

von Rabbiner Avraham Radbil  30.08.2024

Revolutionäre Rabbiner

»Prüfe die Dinge, und du wirst sie erkennen«

Die Schriften von Rabbiner Menachem Meiri zeigen, dass Juden bereits im Mittelalter das Verhältnis zu ihren nichtjüdischen Nachbarn neu definierten

von Sophie Bigot Goldblum  28.08.2024