Finsternis

Wenn der Mond verschwindet

In der Nacht vom 27. auf den 28. September tritt der Mond in den Kernschatten der Erde und verfinstert sich. Dann kann er in roter Farbe betrachtet werden. Foto: Thinkstock

Dieses Sukkotfest wird ein ganz besonderes. Denn es wird gleich in der ersten Nacht dunkel in der Hütte. Grund ist eine Mondfinsternis. Wissenschaftlich betrachtet kein so außergewöhnliches Ereignis: Der Mond tritt in den Kernschatten der Erde und verschwindet vor unserem Auge, erläutert Felix Lühning, Abteilungsleiter Astronomie bei der Berliner Archenhold Sternwarte.

Diesmal sei das in der Nacht vom 27. auf den 28. September zu erwarten; ab 3.07 Uhr soll der Mond sich richtig verfinstern. Dann könne er, klare Sicht vorausgesetzt, in roter, manche sprechen von blutroter, Farbe betrachtet werden. Denn auch im Schatten fällt noch etwas Licht auf den Erdtrabanten. Doch ist dies durch die Atmosphäre gefiltert, sodass der blaue Anteil des Lichtes entfällt und der Mond rötlich erscheint, sagt Lühning.

Weltuntergang Für die einen ist dieser sogenannte Blutmond nur ein interessantes Himmelsspektakel, für andere jedoch die himmlische Ankündigung einer Katastrophe. Einige sprechen sogar vom drohenden Weltuntergang. Ein Asteroid könne die Erde treffen und zerstören, behaupten Verschwörungstheoretiker.

Derartige Ankündigungen führen zu Verunsicherung. Die NASA versuchte kürzlich zu beruhigen: »Es liegen keine Beweise dafür vor, dass sich ein Asteroid oder ein anderer Himmelskörper auf Kollisionskurs mit der Erde befindet«, heißt es in einer Erklärung der US-Weltraumbehörde.

Die Nachrichtenagentur JTA zitiert Pastor John Hagee aus San Antonio im amerikanischen Texas. Er meint, dass der Blutmond Zeichen dafür sei, dass Gott mit uns auf übernatürlichem Wege kommuniziere. Hagee ist Autor des Buches Four Blood Moons, das auch als Dokudrama verfilmt wurde. Es werde wesentliche Veränderungen im Nahen Osten geben, die die gesamte Welt betreffen. Wie in biblischen Zeiten kontrolliere Gott Sonne, Mond und Sterne, um unserer Generation ein Signal zu geben, dass bald etwas Großes geschehen wird, so Hagee.

parallelen Er sagt, dass es eine Reihe von Blutmonden zu Pessach und Sukkot – wie in diesem Jahr – beispielsweise schon einmal 1967 gab, im Jahr des Sechstagekrieges, an dessen Ende bekanntlich Juden wieder die Kontrolle über die Hauptstadt Jerusalem hatten, erstmals nach rund 2000 Jahren. Auch 1492 und 1948 seien vier Blutmonde in einem Jahr gesichtet worden, schreibt Hagee in seinem Buch. Es sind die Jahre der Vertreibung der Juden aus Spanien und der israelischen Staatsgründung.

Solche und ähnliche Erklärungen und Prophezeiungen machen auch in Israel die Runde. Bei der letzten Mondfinsternis zu Pessach riefen Rabbiner Juden in aller Welt dazu auf, zu beten und Teschuwa zu machen. Einige begannen angesichts des verschwundenen Mondes zu fasten.

Jüdische Gelehrte verweisen dabei auf die göttliche Verheißung im Buch des Propheten Joel (3,4): »Die Sonne wird sich verwandeln in Finsternis und der Mond in Blut, bevor der Tag des Ewigen kommt, der große und furchtbare.«

Zusätzlich zu dem Blutmond blickte die Welt vor Pessach auch auf eine Sonnenfinsternis. Insofern sei dies eine »kritische Zeit«, meinte Rabbiner Amram Vaknin. Eine wichtige Rolle spiele dabei US-Präsident Obama.

Gematria Die Webseite »Breaking Israel News« berichtete, dass der Kabbalist schon vor Jahren, noch vor der Wahl Obamas, vorausgesagt habe, dass der 44. Präsident der Vereinigten Staaten Blut über das jüdische Volk bringen würde, entsprechend der gematrischen Deutung des hebräischen Wortes Blut, also »dam«, das den Zahlenwert 44 hat. Obama ist der 44. Präsident. Die Zahl vier habe eine besondere Bedeutung. Die Dauer der totalen Mondfinsternis zu Pessach wurde mit vier Minuten und 44 Sekunden kalkuliert.

Sonnen- und Mondfinsternis sind Phänomene, die auch im Talmud gedeutet werden. Dort (Sukka 29a) heißt es: »Die Sonnenfinsternis ist eine schlechte Vorbedeutung für die Völker der Welt, die Mondfinsternis ist eine schlechte Vorbedeutung für die Israeliten, denn die Israeliten rechnen nach dem Monde, die Völker der Welt nach der Sonne.«

Grundlage dieser auf den Mond abgestimmten Kalenderberechnung ist das Gebot in der Tora, nach dem der Mond (hebräisch: Levana) den Beginn des neuen Monats bestimmt. Im 2. Buch Mose (12,2) heißt es: »Dieser Monat ist euer.« Das hebräische Wort für Monat, Chodesch, stammt von chadasch, das bedeutet neu. Der Tag des Neumonds ist der erste Tag des Monats im hebräischen Kalender. Und so hat auch der Vollmond eine besondere Bedeutung, die meisten Feiertage werden zu dieser Zeit begangen. Wie eben auch das Sukkotfest.

Umlaufbahn Also ist die Tatsache, dass die Finsternis des Vollmondes mit hoher Wahrscheinlichkeit immer einmal wieder auf einen Feiertag fällt, nicht so ein besonderes Mysterium, erklärt Jeremy David Schnittman, Astrophysiker am NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt/USA: »Aufgrund der elliptischen Umlaufbahn des Mondes um die Erde und der fast kreisförmigen Umlaufbahn der Erde um die Sonne findet fast immer im Abstand von genau sechs Monaten eine Mondfinsternis statt. Darüber hinaus tritt sie immer bei Vollmond auf, das entspricht dem 15. Tag des Monats im jüdischen Kalender.«

Wenn also am ersten Abend von Pessach eine Mondfinsternis auftrete, sei es eigentlich ziemlich wahrscheinlich, dass eine weitere an Sukkot stattfinde. Was Warnungen vor schrecklichen Ereignissen für Juden betrifft, meint Schnittman, selbst gläubiger Jude: »Leider gab es auch die in der Geschichte allzu häufig – sodass es nicht verwunderlich ist, wenn sie zufällig zur gleichen Zeit wie irgendwelche astronomischen Ereignisse auftreten.«

Ebenso nüchtern betrachtet Noam Liebeskind, der am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam forscht, das Ganze: »Es ist alles leicht zu errechnen, somit kein übernatürliches Phänomen.«

Astronomie Überhaupt sei er immer sehr skeptisch, sagt der Wissenschaftler der Jüdischen Allgemeinen, denn Astronomie spiele in der Religion eine große Rolle. »Doch Astronomie ist eine Naturwissenschaft, und wir Naturwissenschaftler glauben nicht an übernatürliche Theorien.« Wissenschaftler müssten ihre Annahmen stets gut begründen können, sonst würden sie schnell widerlegt. Dies gelte für religiöse Behauptungen eben nicht, so Liebeskind.

Der amerikanische Publizist und Buchautor Roy S. Neuberger (2020 Vision, Working Toward Moshiach) ist anderer Meinung. In Veröffentlichungen und bei Vorträgen erläutert er seine Thesen von den göttlichen Zeichen in einer sich verändernden Welt, stützt sich auch auf wissenschaftliche Aussagen, aber begründet alles mit den jüdischen Schriften.

Neuberger, der zurzeit in Jerusalem lebt, sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Wir können doch nicht die Augen davor verschließen, dass wir in sehr gefährlichen Zeiten leben. Überall auf der Welt gibt es Krisen, die Zivilisation, wie wir sie bislang kannten, verändert sich. Und aus jüdischer Perspektive lassen sich die Zeichen nur so deuten, dass wir uns Gott nähern.«

propheten Und nun der Blutmond an Sukkot, einem Feiertag, der auch durch die Prophezeiungen mit katastrophalen Ereignissen verbunden sei, so Neuberger. »In den Propheten-Abschnitten, die wir zu Sukkot lesen, also aus Zechariah und Yechezkel, geht es um den Krieg von Gog und Magog, die Schlacht am Ende unserer Zeiten.«

Grund zur Sorge ausgerechnet an Sukkot? Die Zeit des Laubhüttenfestes nennen wir doch ausdrücklich »Sman simchatenu«, Zeit unserer Freude. Nein, versichert Roy S. Neuberger: »Denn in dieser Zeit erwarten wir die Geulah Shleimah, die vollkommene Erlösung, die Ankunft des Messias. Die gesamte Welt wird erfüllt sein mit der Tora.« Und er zitiert eine Passage aus dem Talmud (Sukka 29a): »Wenn die Juden das Wort des Allmächtigen erfüllen, müssen sie sich nicht sorgen angesichts dieser Omen.«

Vielleicht sollte man an dieser Stelle aber auch den Propheten Jeremia zitieren, der meint, dass man solche Zeichen überhaupt nicht deuten soll: »Lernt nicht den Weg der Völker und entmutigt euch nicht vor den Zeichen des Himmels, denn die Völker mögen sich vor ihnen entmutigen« (Jeremia 10,2). Übrigens ist die nächste Mondfinsternis für den 23. März 2016 vorausberechnet – dann ist Erew Purim.

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