Was haben Woody Allen und Jerry Seinfeld mit dem Babylonischen Talmud zu tun, und warum ist das Werk heute in Korea ein Bestseller? Diesen und anderen Fragen geht Barry Scott Wimpfheimer in seinem Buch The Talmud. A Biography nach. Lange Zeit hat sich der geborene New Yorker mit dem Talmud auseinandergesetzt, erst sieben Jahre in einer Jeschiwa, dann fünf im akademischen Rahmen.
Später wurde er als Rabbiner an der Yeshiva University (New York) ordiniert, heute unterrichtet er als Professor an der Northwestern University (Illinois) Recht und Jüdische Studien. Und so war es ihm, wie er schreibt, ein Anliegen, das Werk in der von Princeton University Press veröffentlichten Reihe »Lives of great religious books« vorzustellen.
Ilana Kurshan von »tabletmag.com« meint in einer Rezension dieses Buches, Wimpfheimer habe sich ganz »untalmudisch« nicht auf die mikroskopische Untersuchung des Textes begeben, sondern den größeren historischen und kulturellen Zusammenhang dargestellt. Er konzentriere sich weniger auf den Inhalt und dessen Bedeutung, als vielmehr darauf, wie der Talmud gelesen wird und was das bedeutet. Das macht Wimpfheimers Buch besonders lesenswert: Der Autor umreißt die talmudische Vorgeschichte und die nachbiblische Entstehung. Er beschreibt die Struktur und zentrale Bedeutung des Werkes im jüdischen Recht. Er charakterisiert den Talmud als eine Art »freestyle conversation« rund um die Mischna.
Debatten Bemerkenswert ist, dass in diesem »heiligen Buch des Rechts« rabbinische Autoritäten zitiert, dabei aber auch unterschiedliche Meinungen verschiedener Rabbiner toleriert werden. Anhand einer Diskussion um Schadensersatzforderungen nach einem von Tieren verursachten Brand im Traktat Baba Kamma gibt es ein Beispiel dieser Debatten, unter anderem geführt von R. Yohanan und Resh Lakisch.
Das Werk sei wenig zielorientiert, so Wimpfheimer, es gehe »mehr um den Prozess als um das Produkt«. Und bei Weitem beschäftige sich der Talmud nicht ausschließlich mit dem Recht. Theologie, Folklore, biblische Exegese, Weisheiten und Mystisches würden etwa die Hälfte des Werkes ausmachen.
Der Talmud sei nicht immer leicht verständlich. Aber Raschi habe mit seiner Exegese den Talmud einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht. Rabbiner Chaim Soloveitchik habe später mit der »Brisker Methode« die noch heute in den traditionellen Jeschiwot gängige Form der Auslegung geschaffen. Wimpfheimer setzt sich auch mit der von jüdischer und nichtjüdischer Seite geäußerten Kritik am Talmud auseinander. Dabei erwähnt er, dass sich das Werk in acht Passagen namentlich auf Jesus bezieht. Insgesamt habe der Talmud einen Umfang von fast zwei Millionen Wörtern, davon bezögen sich 2000 auf Jesus und das Christentum.
Haskala Wimpfheimer verweist auf die Aufklärung, die Haskala, und ihre Tendenz der Hinwendung zur Bibel und Abkehr vom Talmud und den rabbinischen Schriften. Und er erwähnt das besondere Verhältnis der Zionisten zum Babylonischen Talmud, der im Gegensatz zum palästinischen Talmud als Dokument der Diaspora zu verstehen sei.
Ein ganzes Kapitel widmet Wimpfheimer dem »Goldenen Zeitalter« der modernen Talmud-Rezeption. Ein paar Zeilen sind Yentl gewidmet, der Kurzgeschichte von Isaac Bashevis Singer und der Verfilmung von Barbra Streisand, in der sich ein Mädchen im Polen des 19. Jahrhunderts als junger Mann ausgibt, um den Talmud studieren zu können.
Und das Buch gibt auch einen kurzen Überblick über die in den vergangenen Jahrzehnten veröffentlichten Talmud-Ausgaben, wie der von Rabbiner Adin Steinsaltz verantworteten Version auf Hebräisch und Englisch. Wimpfheimer schreibt von der kulturellen Kraft des Talmuds, von der sich inzwischen auch viele säkulare Israelis angezogen fühlen, die den Talmud inzwischen studieren. Wurde der Talmud einst mündlich, ab dem 6. Jahrhundert handschriftlich und erst im 16. Jahrhundert in gedruckte Form weitergegeben, ist er heute auch online zu lesen, es gibt sogar verschiedene Apps dafür.
Daf Jomi Allein im Jahr 2012 sind 130.000 junge Männer im wehrpflichtigen Alter für das Talmudstudium in den Jeschiwot in Israel freigestellt worden. Eine weitere beeindruckende Zahl weist das »Daf Jomi«-Programm auf, ein weltweites Lernprogramm, an dem derzeit etwa 70.000 Menschen teilnehmen. Inzwischen werden bereits in jüdischen Oberschulen talmudische Inhalte unterrichtet. Und die Welle erfasse auch säkulare Israelis, sogar die LGBT-Community.
Inzwischen sei das Werk auch in Literatur und im Film ein Thema. Philip Roth und Woody Allen, so mutmaßt der Autor, werden den Talmud vermutlich nie gelesen haben. Doch das den Talmud kennzeichnende »mikroskopische Grübeln« sei auch Teil der amerikanisch-jüdischen Kultur geworden. Das bestätigte auch Larry Charles, der als Drehbuchautor für zahlreiche Folgen der Sitcom Seinfeld verantwortlich war.
Er vergleicht das Drehbuchschreiben für Seinfeld mit dem Schreiben des Talmuds: »Sie haben viele brillante Köpfe, die einen Gedanken oder eine ethische Frage aus jedem möglichen Blickwinkel untersuchen.«
Auch im asiatischen Raum wurde der Talmud zum Beststeller. In Japan seien bereits eine halbe Million Exemplare eines Buches von Rabbi Marvin Tokayer über die Geheimnisse des Talmuds verkauft worden. Und die südkoreanische Kultur bewundere Juden wegen ihrer wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Errungenschaften. Für sie sei der Talmud so etwas wie das Geheimnis des Erfolges. Der Talmud, stellt Wimpfheimer abschließend fest, ist ein Werk, das einen reichen Diskurs hervorbrachte und in vielerlei Hinsicht symbolisch wurde.
Barry Scott Wimpfheimer: »The Talmud. A Biography«. Princeton University Press, Princeton und Oxford 2018, 320 S., 26,95 US-$