Dass Joseph Klausners Buch Jesus von Nazareth bald 70 Jahre nach der letzten Veröffentlichung wieder auf dem deutschen Buchmarkt in einer Neuausgabe zugänglich ist, ist wohl auch seinem berühmten Großneffen Amos Oz zu verdanken. In Oz’ 2004 auf Deutsch erschienenem Roman Eine Geschichte von Liebe und Finsternis taucht er als Figur ebenso auf wie in Oz’ späteren Büchern, die er der neutestamentlichen Figur des Judas gewidmet hat. Von ihnen aus besteht auch thematisch ein Bezug zum Jesus-Buch Klausners, dessen intellektuelles Ethos Oz einfühlsam an unsere Gegenwart vermittelt hat.
Joseph Klausner, 1874 in Olkeniki, einer Stadt bei Vilnius, geboren, wanderte 1919 ins damalige Palästina aus. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er an der Universität Heidelberg mit einer Arbeit über den Messianismus in der frühen rabbinischen Literatur promoviert. In Palästina wurde er 1925 an der Hebräischen Universität Jerusalem – nach universitätsinternen Querelen – zum Professor für Moderne Hebräische Literatur ernannt. Das entsprach nicht seinen Wünschen und Neigungen. Er wäre der geeignete Mann für den Lehrstuhl für Geschichte des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels gewesen. Jedoch erregte sein 1922 erstmals erschienenes Jesus-Buch universitären Widerspruch.
NACHWORT Christian Wiese, Martin-Buber-Professor für Jüdische Religionsphilosophie in Frankfurt am Main, zeichnet in seinem umfangreichen Nachwort Klausners Lebensweg, sein wissenschaftliches Wirken, seine Bedeutung für die theologischen Diskurse seiner Zeit sowie seine Stellung in der kulturellen Entwicklung des jungen Staates Israel nach. Bezüge zur Gegenwart werden aus guten Gründen ausgespart.
Für das deutsche Lesepublikum ist dieses instruktive Nachwort eine notwendige Ergänzung von Klausners Darlegungen, führen diese doch in heute weniger bekannte wissenschaftliche Diskurse hinein und sind zudem durch Klausners zionistische Einstellung von einer dezidierten Leserlenkung bestimmt.
Klausners Jesus-Buch ist die erste groß angelegte Darstellung von Leben und Lehre Jesu in hebräischer Sprache, geschrieben für ein jüdisches Publikum in Palästina. In seiner Einführung bekräftigt Klausner, dass seine Schrift weder Apologetik des Judentums noch Polemik gegen das Christentum auszeichne. Vielmehr sei sie eine sachliche Darstellung. Das wird besonders am ersten Kapitel deutlich, in dem Klausner die Thematisierung Jesu in Talmud und Midrasch rekapituliert, ein nüchternes Quellenstudium, dem er bereits in der Einführung bescheinigt, kein leichter Lesestoff zu sein.
LEBENSGESCHICHTE Wer dieses Kapitel gelesen hat, wird sich über Stil und Methode eines Buches, das das noch immer brisante Thema der Ursprünge des Christentums zum Inhalt hat, keine Illusionen machen. Zum nüchternen, an wissenschaftlicher Korrektheit orientierten Stil gesellt sich thematisch eine Entdramatisierung der Lebensgeschichte Jesu und seiner Lehre zuungunsten der dramatischen Kreuzigungsgeschichte und ihrer religionsgeschichtlichen Folgen. Auf diese Weise vermag Klausner seine These einer differenzierten Sicht auf die Entstehung des Christentums, mit der er den historischen Jesus als jüdischen Jesus für das Judentum reklamiert, zu vermitteln.
Klausner versteht das Judentum als eine auf »Religion gegründete nationale Weltanschauung«. Als ein in dieser Weltanschauung erzogener und aus ihr heraus wirkender Jude ist Jesus der jüdische Jesus. Insofern er jedoch deren Grenzen überstiegen, die jüdische Weltanschauung zu einer allgemeinen Religiosität umstrukturiert hat, schlägt sein Judentum »geradezu in seinen eigenen Gegensatz dialektisch« um und generiert das Christentum.
Laut Christian Wiese folgt Klausner mit dieser Differenzierung auch seinen »zionistischen Prämissen«. In Abgrenzung von den Lehren Jesu, die sich aus seinem Gottesbegriff, seiner Ethik und seinem Messianismus ableiten lassen, wollte Klausner »die Grundzüge eines authentischen Judentums, wie er es verstand, klar sichtbar« machen, um seinen aus der Diaspora heimgekehrten Zeitgenossen die Rückkehr zu ihrer angestammten Religion zu ermöglichen. In dieser Perspektive ist Klausners Untersuchung ein »Buch von hohem historischen Interesse«. Heutigen Lesern kann es als Reflexionsmedium und potenzielles sachliches Korrektiv ihrer eigenen Forschungen und Diskurse über die jüdische Gestalt Jesu dienen.
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