Der bekannte TV-Pfarrer Jürgen Fliege schlägt Wellen. Er verkauft Wasser, über das er gebetet hat. Das Erstaunliche: Er hat Kunden. Viele sogar. So viele, dass er deswegen in Talkshows eingeladen wird.
Dort wird der selbst ernannte Heiler mit selbst ernannten Aufklärern konfrontiert. Den Fernsehredakteuren ist bei dieser Aufstellung etwas gelungen, was ihnen selbst bestimmt verborgen blieb – die Umkehrung der talmudischen Weisheit, dass beide Seiten »Worte des lebendigen Gottes« sprechen.
Das Besondere: Die vermeintlich Aufgeklärten benehmen sich genauso wie Inquisitoren des Mittelalters. Damals allerdings war es genau umgekehrt. Alles, was nach Wissenschaft roch, wurde verdammt. Berühmtes Beispiel: Galileo. Über ihn durften sich vermeintlich Fromme hermachen, denn die bloße Vorstellung eines Sonnensystems ist Gotteslästerung. Basta.
pendel Es scheint, als ob das Pendel seit Anbruch der Moderne jetzt in die andere Richtung ausschlägt. Die Unfehlbarkeit liegt nun in den Händen der Wissenschaft, und alles, was nach Frömmigkeit riecht, darf verdammt werden. Wenn irgendein Quatsch wissenschaftlich genug aufbereitet wird, darf er tatsächlich ernst genommen oder sogar in Talkshows verbreitet werden.
In seiner selbst ernannten Unfehlbarkeit hat der wissenschaftliche Betrieb den kirchlichen Betrieb des Mittelalters beerbt, inklusive der Arroganz und Unmenschlichkeit der selbst ernannten Unfehlbarkeit. Sogar das Mörderische daran wird übertroffen, wenn man an die »Wissenschaft« der »Rassentheorie« denkt, die alles Inquisitorische in den Schatten stellte.
Wie die Gotteskrieger, die den Allmächtigen auf ihrer Seite wähnen, nehmen sich vermeintlich Aufgeklärte das selbst ernannte Recht, über Andersdenkende herzufallen. Auf ihrer Seite ist schließlich die absolute Wahrheit. So wird Wissenschaft zur Ersatzreligion. Es nimmt kein Wunder, dass der wissenschaftliche Betrieb trotz aller vermeintlichen Reformen der 68er (ein Thema für sich) erstaunlich ähnlich strukturiert ist wie die Kirche im Mittelalter. Hier wie dort halten sich die Protagonisten für die alleinigen Vertreter der absoluten Wahrheit.
Die einen sagen dazu »Gott«, die anderen »Wissenschaft«, wobei beides nicht Ziel, sondern Instrument ist. Die Formen werden zur Hauptsache. Nicht anders waren die Regeln im Mittelalter, bloß eben unter religiösen Vorzeichen. Als Konstante bleibt, dass die Instrumentalisierung der Wahrheit jeweils so gut kaschiert wird, dass die Beteiligten es selbst glauben.
fundamentalismus Im wissenschaftlichen wie im kirchlichen Betrieb geht es nicht selten zu wie in einem Sketch von Loriot seligen Andenkens. Zwei Herren im Bad tragen ihre infantilen Differenzen auf hohem Niveau aus. Es fällt ihnen nicht auf, wie lächerlich sie sich verhalten. Wenn nun Esoteriker und vermeintlich Aufgeklärte miteinander »diskutieren«, geht es nicht weniger lächerlich zu. Schließlich halten sie alle Normen guten Benehmens ein. Dabei könnten sie sich gegenseitig zum Nutzen aller Beteiligten befruchten. Der eigene Fundamentalismus aber verhindert das jeweils.
Und? Sollen wir deshalb Pfarrer Flieges Wunderwasser kaufen? Wer will: bitteschön. Umsonst hat er uns aber etwas viel Kostbareres gegeben, wenn wir nur hinschauen. Schließlich gibt es im Judentum ja auch etwas wie ein Gebet über Wasser. Wir nennen es bloß nicht so. Und es ist, streng genommen, kein Gebet, sondern das Gegenteil. »Gebet« kommt von »Bitten«. Eine »Bracha« über einen Schluck Wasser ist aber eher ein Dank.
Das Wasser ist ein Segen, aber nur, wenn man sich dessen bewusst ist. Man verspürt dann mit jedem Schluck Dankbarkeit den Segen. Ein dankbarer Mensch macht die Welt schließlich friedlicher. Die Dankbaren und Friedlichen mögen im Umgang pflegeleicht sein; wir brauchen aber auch die Nörgler, denn ohne sie gibt es weniger Fortschritt. Beide Seiten werden für eine Reparatur der Welt, für »Tikkun Olam« gebraucht.
Denn beide können Worte des lebendigen Gottes sprechen – wenn sie die Wahrheit des jeweils anderen nicht fundamentalistisch von vorneherein als Humbug oder Gotteslästerei abtun. In solcher Einseitigkeit machen sie sich selbst lächerlich oder fehlbar – meist leider beides. Und schlagen dann wild um sich. Aber mit Niveau, bitteschön, wie die beiden Herren im Bad.
dank Mit jeder Bracha kann man den Dank für etwas ausdrücken, das sonst als selbstverständlich erachtet wurde. Dann kommt die Erkenntnis: Nicht das Wasser hat sich verändert, sondern derjenige, der dafür dankbar ist. Welch Segen! Und wer auf den Segen verzichtet und lieber nörgelt, soll doch alles besser machen. Kann auch segensreich ausgehen.
Was bleibt? Wasser bleibt Wasser. Auf das Bewusstsein für die Bedeutung des kostbaren Gutes kommt es an.
Der Autor ist Rabbiner der Budge-Stiftung in Frankfurt/Main.