Brauch

Was die Halacha über Silvester sagt

(Symbolfoto) Foto: dpa

Heutzutage wird der 1. Januar fast überall auf der Welt als Jahresanfang betrachtet. Viele Menschen denken, es sei schon immer so gewesen, doch dies ist nicht der Fall. Es hat bis fast in die Gegenwart gedauert, bis der 1. Januar seine weltweite Akzeptanz als Jahresanfang erhielt.

Worin liegt der historische Ursprung dieses Termins? Hat er eine religiöse Bedeutung? Und was bedeutet er den meisten Menschen heute?

Sie werden sich fragen, warum sich ein angehender orthodoxer Rabbiner dafür interessiert, warum der Beginn des gregorianischen Kalenders am 1. Januar gefeiert wird. Doch zum einen gehört meiner Meinung nach auch dies zur Allgemeinbildung eines weltoffenen Menschen, und zum anderen haben diese Fragen möglicherweise halachische Konsequenzen für das Judentum, wie wir später sehen werden.

Kirche wollte 25. Dezember als Neujahrstag

Bis zum Jahr 153 v.d.Z. galt bei den Römern der 1. März in jeder Hinsicht als Beginn des neuen Jahres. Auch bei der anschließenden Reform wurde nur der Beginn des Amtsjahres (Amtsantritt der Magistrate) auf den 1. Januar verschoben, während der 1. März als Beginn des Kalenderjahres beibehalten blieb. Erst durch Julius Cäsars Kalenderreform im Jahr 45 v.d.Z. begannen Kalender- und Amtsjahr am 1. Januar zu Ehren der römischen Gottheit Ianuarius.

Später war laut der Kirche der 25. Dezember der Beginn des Jahres (Nativitätsstil), und sie versuchte mit allen Mitteln, dieses Datum als Jahresbeginn durchzusetzen. So verbot das Konzil von Tours im Jahr 567 das Feiern des Jahresbeginns am 1. Januar. Doch im bürgerlichen Gebrauch blieb es weiterhin üblich, am 1. Januar Neujahr zu feiern.

Beschneidung Jesu am 1. Januar

Ab dem 11. Jahrhundert fing man in England an – und später kamen einzelne andere Länder hinzu –, den 1. Januar als Jahresbeginn zu betrachten, weil an diesem Tag die »Circumcisio Domini« (Beschneidung Jesu) stattfand (daher Circumcisionsstil genannt).

Dennoch dauerte es bis ins 17. Jahrhundert, bis sich der 1. Januar in den meisten europäischen Ländern als Jahresbeginn durchsetzte. Um 1700 wurde es in Russland durch Zar Peter den Großen amtlich, anschließend in England (1764), der Republik Venedig (1797) und schließlich in Thailand (1941).

Somit wäre geklärt, dass der 1. Januar als Neujahrstag auf jeden Fall einen religiösen Hintergrund hat, bei den Römern zu Ehren von Ianuarius und später anlässlich der Beschneidung Jesu. Jedoch sind sich heute die meisten, die feiern, dieses historischen Ursprungs nicht bewusst, und der Grund zur Freude ist hauptsächlich der Beginn eines neuen Jahres.

Dürfen Juden ein »Gutes neues Jahr« wünschen?

Ich hatte eingangs erwähnt, dass die historische Bedeutung dieses Feiertags eventuell ausschlaggebend für die Halacha ist.

Ist es erlaubt, dem nichtjüdischen Nachbarn, Kollegen oder Bekannten am 1. Januar ein »Gutes neues Jahr« zu wünschen?

Aus dem Schulchan Aruch (Jore De’a 148,5) lässt sich ableiten, dass es laut der Halacha verboten ist, einem nichtjüdischen Bekannten am Tag des Feiertags zu seinem Feiertag zu gratulieren, falls der Feiertag für den nichtjüdischen Bekannten von religiöser Bedeutung ist.

Es gibt gewisse Ausnahmen, zum Beispiel, wenn dadurch der Antisemitismus verstärkt wird oder ähnliches (basierend auf dem Darkei Mosche 149,12 im Namen des Trumat HaDeschen), aber generell ist es verboten.

Basierend auf der Erläuterung des Hintergrunds wäre dies verboten, wenn man sicher sein kann, dass der Gesprächspartner den 1. Januar als religiöses Fest feiert (wie es bei manchen Katholiken der Fall ist) – es sei denn, es würde zu Antisemitismus führen, wenn man den Neujahrswunsch nicht sagt.

Wenn der Nachbar, Kollege oder Bekannte den 1. Januar aber nur als Beginn des neuen Jahres feiert, ohne den religiösen Hintergrund zu kennen oder zu berücksichtigen, ist es erlaubt. Und wenn man es nicht weiß, dann kann man davon ausgehen, dass heute die meisten Menschen beim Feiern des Neujahrtages keine religiösen Hintergedanken haben.

Rabbi Levi Izchak von Berditschew (1740–1810) und Rabbi Avraham Jehoshua Herschil MiApta (1748–1825), auch »Ohev Israel« genannt, pflegten den Brauch, ihren Chassidim am 1. Januar »ein gutes neues Jahr« zu wünschen. Sie erklärten diese interessante Tradition damit, dass die Nationen der Welt an diesem Tag gerichtet werden und das himmlische Gericht bestimmt, was im kommenden Jahr passieren wird.

Und weil das Wohl des jüdischen Volkes auch von den Geschehnissen in der Welt abhängt, ist es auch in unserem Interesse, dass das Urteil der Nationen der Welt zum Guten entschieden wird – daher der Wunsch am 1. Januar. In diesem Sinne wünsche ich allen: Ein gutes neues Jahr!

Dieser Text erschien erstmals 2020. Der Autor ist mittlerweile Assistenz-Rabbiner der Gemeinde Kahal Adass Jisroel und Dozent am Rabbinerseminar zu Berlin.

Chaje Sara

Handeln für Generationen

Was ein Grundstückskauf und eine Eheanbahnung mit der Bindung zum Heiligen Land zu tun haben

von Rabbiner Joel Berger  22.11.2024

Talmudisches

Elefant

Was unsere Weisen über die Dickhäuter lehrten

von Rabbiner Netanel Olhoeft  22.11.2024

Studium

»Was wir von den Rabbinern erwarten, ist enorm«

Seit 15 Jahren werden in Deutschland wieder orthodoxe Rabbiner ausgebildet. Ein Gespräch mit dem Gründungsdirektor des Rabbinerseminars zu Berlin, Josh Spinner, und Zentralratspräsident Josef Schuster

von Mascha Malburg  21.11.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Rabbiner beunruhigt über Papst-Worte zu Völkermord-Untersuchung

Sie sprechen von »heimlicher Propaganda«, um Verantwortung auf die Opfer zu verlagern: Die Europäische Rabbinerkonferenz kritisiert Völkermord-Vorwürfe gegen Israel scharf. Und blickt auch auf jüngste Papst-Äußerungen

von Leticia Witte  19.11.2024

Engagement

Im Kleinen die Welt verbessern

Mitzvah Day: Wie der Tag der guten Taten positiven Einfluss auf die Welt nehmen will

von Paula Konersmann  17.11.2024

Wajera

Offene Türen

Am Beispiel Awrahams lehrt uns die Tora, gastfreundlich zu sein

von David Gavriel Ilishaev  15.11.2024

Talmudisches

Hiob und die Kundschafter

Was unsere Weisen über die Ankunft der Spione schreiben

von Vyacheslav Dobrovych  15.11.2024

Gebote

Himmlische Belohnung

Ein Leben nach Gʼttes Regeln wird honoriert – so steht es in der Tora. Aber wie soll das funktionieren?

von Daniel Neumann  14.11.2024

New York

Sotheby’s will 1500 Jahre alte Steintafel mit den Zehn Geboten versteigern

Mit welcher Summe rechnet das Auktionshaus?

 14.11.2024