Das liebe Geld! Es ist unumstrittene Notwendigkeit, und doch haben wir ein eher zwiespältiges Verhältnis zu ihm. Manche verstehen es als Antrieb zum Fortschritt in allen Bereichen menschlichen Schaffens und Ausdruck gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung. Andere sehen es als die Wurzel allen Übels und wünschen sich eine alternative Gesellschaft, in der das menschliche Dasein ganz ohne Geld geregelt ist. Unser Wochenabschnitt gibt uns einen Einblick in diese Problematik.
»Die Söhne Rubens und die Söhne Gads hatten überaus starke Herden. Und als sie das Land Jaaser und das Land Gilead sahen und fanden, dass die Gegend für Herden geeignet sei, da kamen die Söhne Gads und die Söhne Rubens und sprachen zu Mosche und zu Elasar, dem Priester, und den Fürsten der Gemeinde: (…) Das ist ein für Herden geeignetes Land, und deine Diener haben Herden. Und sie fuhren fort: Wenn wir Gnade in deinen Augen gefunden haben, so möge dieses Land deinen Dienern zum Besitz gegeben werden. Führe uns nicht mit über den Jordan!« (4. Buch Mose 32, 1–5).
ablehnung Mosche ist von diesem Ersuchen alles andere als begeistert. Mit scharfen Worten weist er Gad und Ruben zurecht. Er vergleicht ihr Ansinnen mit der Sünde der Spione, die eine Genera-tion zuvor mit ihrem Bericht das jüdische Volk derart verunsicherten, dass es nicht ins verheißene Land ziehen wollte. Zur Strafe sollte es dieser ganzen Generation nicht vergönnt sein, dorthin zu gelangen. Stattdessen sollte sie 40 Jahre in der Wüste verbringen.
Mosche warnt Gad und Ruben, weiteres Verderben über das Volk zu bringen, indem sie mit ihrem Anliegen Verunsicherung und Missmut schüren: »Eure Brüder sollen in den Krieg ziehen, und ihr wollt hierbleiben? Warum wollt ihr das Herz der Kinder Israels abwendig machen, sie werden nicht in das Land hinüberziehen wollen, das der Ewige ihnen gegeben hat?« (32, 6–7).
Gad und Ruben beherzigen dies und schlagen folgende Lösung vor: »Wir wollen hier für unsere Herden Viehhürden und für unsere Kinder Städte bauen. Wir selbst aber wollen hurtig an der Spitze der Kinder Israels gerüstet ausziehen (…). Wir werden nicht eher zu unseren Familien zurückkehren, bis jeder von den Kindern Israels sein Erbe erhalten hat« (16–18). Dem stimmt Mosche zu und gibt ihnen unter dieser Vorbedingung ihren Erbbesitz östlich des Jordans.
stärke Der Midrasch kommentiert den Verweis auf die zahlreichen Herden der Söhne Gads und Rubens wie folgt: »Drei Gaben gibt es in der Welt. Wer eine davon erwirbt, dem ist alles Begehrenswerte dieser Welt gegeben. Erwirbt er Weisheit, ist ihm damit alles gegeben. Erwirbt er Stärke, ist ihm damit alles gegeben. Erwirbt er Reichtum, ist ihm damit alles gegeben. Dies aber nur, wenn sie als Gaben des Himmels und kraft der Tora erlangt werden. Die Kraft und der Reichtum des Menschen hingegen sind nichtig. (…) Es gab zwei Reiche in der Welt, einen jüdischen und einen nichtjüdischen: Der jüdische war Korach, und der nichtjüdische war Haman, und beide wurden dieser Welt verlustig. Weshalb? Weil ihre Gaben nicht vom Heiligen, gelobt sei Er, kamen, sondern sie sie sich selbst gegriffen hatten. Und so steht es auch mit den Söhnen Gads und den Söhnen Rubens. Sie waren reich und hatten zahlreiche Herden. Sie liebten ihren Besitz und siedelten sich außerhalb des Landes Israel an. Aus diesem Grund wurden sie allen Stämmen voran ins Exil verbannt. So heißt es: ›Und er trieb sie aus, den Rubeni und den Gadi und den halben Stamm Menasses‹ (1. Chronik 5,26). Und wie ist es dazu gekommen? Sie haben sich aufgrund ihres Besitzes von ihren Brüdern abgesondert. Dies geht aus dem, was in der Tora geschrieben steht, hervor: ›Die Söhne Rubens und die Söhne Gads hatten überaus starke Herden‹« (4. Buch Mose 32,1).
Es scheint so, als ob den beiden Stämmen ihr Besitz zum Verhängnis wurde und sie dem negativen Einfluss ihres Reichtums erlagen.
segen Betrachten wir jedoch den Segen, mit dem sich Mosche vor seinem Tod von jedem der Stämme verabschiedet, ergibt sich ein anderes Bild: »Über Gad sprach er: Gelobt sei Er, der ausgebreitet Gad. Gleich einer Löwin hat er sich gelagert, verzehrt Arm und Haupt. Das erste Land hat er sich ausersehen; das war als seines Fürsten Teil ihm aufbewahrt. Dann zog er an der Spitze aus. Er tat, was recht war vor G’tt und seine Pflichten gegenüber Israel« (5. Buch Mose 33, 20–21).
Hier wird das Land östlich des Jordans als der den Söhnen Gad von G’tt zugedachte Erbbesitz gepriesen und der Stamm selbst für seine Wahl und sein Verhalten in diesem Zusammenhang gelobt.
Im Midrasch heißt es zudem: »Als G’tt die Söhne Rubens und Gads reich werden lassen wollte, ließ Er die Midjaniter vor den Kindern Israels fallen, damit diese reich würden« (Bamidbar Raba, 22). Demnach wurde den Stämmen ihr Reichtum durch g’ttliche Vorsehung gegeben. Wie ist dann aber die Kritik an Gads und Rubens Ersuch zu verstehen? Weshalb wurde ihnen ihr Reichtum zum Verhängnis, war er ihnen Segen oder Fluch?
Unsere Weisen offenbaren uns des Rätsels Lösung: Es ist eine Frage der Priorität! Auf die »überaus starke Herde« von Ruben und Gad Bezug nehmend sagt der Midrasch (Bamidbar Raba, 22,8): »Das ist genau das, was der Vers (Kohelet 10,2) meint: ›Der Weise hat das Herz zu seiner Rechten, aber das Herz des Toren ist zu seiner Linken‹.«
Herz Der Midrasch erklärt den Vers wie folgt: »›Der Weise hat das Herz zu seiner Rechten‹ – dies wird durch Mosche verkörpert. ›Aber das Herz des Toren ist zu seiner Linken‹ – dies wird durch die Söhne Rubens und die Söhne Gads verkörpert. Die machten die Haupt- zur Nebensache und die Neben- zur Hauptsache, da sie ihren Besitz über die Seelen (ihrer Familien) hinaus liebten. Sie sprachen nämlich zu Mosche: ›Wir wollen hier für unsere Herden Viehhürden und für unsere Kinder Städte bauen‹ (4. Buch Mose 32,16). Doch Mosche erwiderte ihnen: So nicht! Vielmehr sollt ihr zuerst das Hauptsächliche zur Hauptsache machen: ›Baut euch Städte für eure Kinder‹ und dann erst ›Hürden für eure Herden‹« (32,24).
Sowohl ihr Reichtum als auch das von Gad und Ruben auserkorene Land waren zur Erfüllung ihrer wesenseigenen Aufgabe notwendige Mittel. Das Verhältnis zu ihrem Besitz begann zu entgleisen, als sich der Sinn ihres Reichtums verselbstständigte und, anstatt einem höheren Zweck zu dienen, selbst zur »Hauptsache« wurde.
Der Prophet sagt: »So spricht der Ewige: Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, und der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern dessen rühme sich, wer sich rühmen mag: einzusehen und Mich zu erkennen, dass Ich, G’tt, Liebestaten, Recht und Wohltätigkeit übe auf Erden; dass Ich daran Wohlgefallen habe, dies ist der Spruch G’ttes« (Jirmejahu 9, 22–23).
szene Rabbi Meir Leibusch Wisser (auch bekannt als Malbim, 1809–1879) setzt diesen Vers in Szene: Der Mensch mag wohl meinen, dass er sich notfalls auf die mit seiner Weisheit ersonnenen Strategien, seinen Reichtum oder seine Stärke verlassen kann. Keine dieser drei Gaben wird ihm jedoch etwas nützen, wenn G’tt nicht auch Seinen Segen schickt. Deshalb rühmen der Weise, der Starke und der Reiche sich nicht ihrer Vorzüge.
Es gibt jedoch einen Zusammenhang, in dem sich der Mensch seiner Weisheit, Stärke und seines Reichtums rühmen darf: Wenn er sie als Mittel für einen höheren Zweck gebraucht. So ist G’ttes Spruch in der Fortsetzung des Verses zu verstehen: Seine Weisheit soll der Mensch nutzen, um ein höheres Bewusstsein zu entwickeln, um »Mich zu erkennen« und um zu der Einsicht zu gelangen, »dass Ich G’tt bin«.
Mit seiner Stärke verschaffe er den Unterdrückten Recht, und durch seinen Reichtum tue er »Liebestaten und Wohltätigkeit«. Dies ist der eigentliche Sinn, an dem »Ich Wohlgefallen habe«.
Somit lehrt uns der Prophet, dass jede der eingangs erwähnten drei Gaben trotz der mit ihnen verbundenen Gefahren sehr wohl als positiv angesehen werden kann und man sich ihrer Vorzüge getrost rühmen darf – vorausgesetzt, man versteht sie als Mittel zur Erfüllung des g’ttlichen Willens. Ob nun das liebe Geld Segen oder Fluch bringt, hängt also ganz von den Prioritäten und der Einstellung des Menschen ab.
Der Autor lehrt an der Yeshivas Toras Simcha in Baltimore.
inhalt
Der Wochenabschnitt Matot erzählt von Mosches letztem militärischen Unternehmen, dem Feldzug gegen die Midjaniter. Die Israeliten teilen die Beute auf und besiedeln das Land.
4. Buch Mose 30,2 – 32,42
»Reisen« ist die deutsche Übersetzung des Wochenabschnitts Mass’ej. Und so beginnt er auch mit einer Liste aller Stationen der Reise durch die Wildnis von Ägypten bis zum Jordan. Mosche sagt den Israeliten, sie müssten die Bewohner des Landes vertreiben und ihre Götzenbilder zerstören.
4. Buch Mose 33,1 – 36,13