Acharej Mot

Vorsicht, Dünkel!

Möge G’tt uns Stärke und Moral geben, sodass wir Seinen Wegen weiter folgen und nicht davon abkommen. Foto: Getty Images / istock

In unserem Wochenabschnitt geht es unter anderem um die Frage, was der Hohepriester an Jom Kippur machen soll, und warum er nur an diesem Tag den heiligsten Raum des Tempels betreten darf.

Am Beginn des Wochenabschnitts lesen wir: »Und G’tt sprach zu Mosche nach dem Tod der beiden Söhne Aharons. Sie starben, nachdem sie sich G’tt genähert hatten.« Und danach steht: »Und G’tt sagte zu Mosche: ›Sprich mit Aharon‹.«

»Es komme Frieden, und du sollst ruhen in deinem Grab.« Ketubot 104a

Der mittelalterliche Kommentator Raschi (1040–1105) fragt: »Was will uns die Tora damit sagen, dass G’tt mit Mosche sprach, nachdem Aharons Söhne gestorben waren?«

Raschi schreibt, dass Rabbi Elasar, der Sohn von Asarja, dazu eine Parabel bringt: Ein kranker Patient kommt zum Arzt. Der sagt ihm, dass er nichts Kaltes essen und sich nicht auf den Bauch legen soll.

Patient Später kommt ein anderer Patient, und der Arzt sagt zu ihm: »Du sollst nichts Kaltes essen und dich nicht auf den Bauch legen, damit du nicht stirbst wie der andere Patient, der nicht zugehört hat.« Er wurde also mit diesem Beispiel noch mehr gewarnt als der erste Patient.

Aus diesem Grund teilt uns die Tora mit, dass G’tt nach dem Tod der beiden Söhne Aharons zu Mosche sprach, er solle mit Aharon reden, um ihn zu warnen, damit er nicht stirbt wie seine Söhne.

Fehler Es stellt sich die Frage, warum Mosches Bruder Aharon, der Hohepriester, ein heiliger Mensch, die Warnung nötig hatte, keinen Fehler zu begehen. Um diese Frage zu beantworten, möchte ich einige Geschichten erzählen oder Sätze unserer Weisen zitieren. Auch sie waren nicht ohne Fehler.

Die Mischna schreibt in den Sprüchen der Väter (2,4): »Rabbi hat gesagt, dass du G’ttes Willen zu deinem Willen machen sollst, damit Er deinen Willen zu Seinem Willen macht.« Damit ist gemeint, dass man G’ttes Willen mit Freude erfüllen soll. Weiter heißt es: »Breche deinen Willen vor Seinem Willen, damit Er den Willen anderer vor deinem Willen brechen wird« – zum Beispiel den Willen böser Menschen, die dich leiden sehen wollen. Außerdem lesen wir, dass Hillel gesagt haben soll: »Du sollst nicht an dich selbst glauben bis zu deinem Tod.«

Hölle Der Talmud erzählt davon, wie Rabbi Jochanan Ben Sakkai krank wurde und seine Schüler kamen, um ihn zu besuchen. Und als sie sahen, dass er weinte, fragten sie: »Rabbi, wieso weinst du?« Da antwortete er: »Es liegen zwei Wege vor mir – ein Weg nach ›Gan Eden‹, ins Paradies, und ein Weg nach ›Gehinom‹, in die Hölle. Ich weiß nicht, wohin man mich bringen wird, und da soll ich nicht weinen?« (Berachot 28b). Und ich möchte eine weitere Geschichte aus dem Talmud erwähnen, die belegt, dass selbst der berühmte Rabbi Jehuda Hanassi gewisse Zweifel daran hatte, ob er immer auf dem rechten Weg gewandelt ist.

Kurz bevor er starb, hielt er seine zehn Finger hoch und sagte: »Schöpfer der Welt, alles ist sichtbar und bekannt vor Dir, dass ich mit meinen zehn Fingern die Tora erfüllt und gearbeitet habe, und dass ich nichts genossen habe, nicht einmal mit meinem kleinen Finger. Möge es Dein Wille sein, dass ich in Frieden ruhen werde.«

Da ertönte eine Stimme und sagte: »Es komme Frieden, und du sollst ruhen in deinem Grab« (Ketubot 104a).

Etwas Ähnliches erzählt man sich von Rabbiner Menachem Schach, der am Ende seiner Tage sagte: »Schöpfer der Welt, ich wünsche mir, dass ich es verdiene, dass ich diese Welt mit ›Teschuwa schlema‹, rein von Sünden, verlasse.«

Furcht Wir sehen, dass all diese Zaddikim und heiligen Rabbiner, auch nachdem sie ihr ganzes Leben G’tt gewidmet und ehrlich für Ihn gearbeitet hatten, trotz allem befürchteten, sie hätten G’tt möglicherweise nicht mit ganzer Kraft gedient.

Auch sehen wir auf der anderen Seite, dass Rabbi Jochanan 80 Jahre lang als Hohepriester diente und trotzdem am Ende seiner Tage offenbar den falschen Weg einschlug.

Dies ist, worauf Hillel mit seiner Aussage hinauswollte: Du sollst nicht an dich selbst glauben bis zu deinem Tod. Mit anderen Worten: Du sollst nicht zu überzeugt von dir sein.
Damit beantworten wir auch die anfangs gestellte Frage, warum Aharon, obwohl er Hohepriester und ein heiliger Mann war, eine Warnung brauchte.

Warnung Die Antwort ist: Der Mensch soll nicht an sich selbst glauben bis zu seinem Tod, er soll nicht zu überzeugt sein von sich. Deshalb kann eine solche Warnung jedem zugutekommen, so heilig er auch sein mag.

Wir lernen daraus, dass auch ein Mensch, der sich auf einem sehr hohen spirituellen Niveau befindet, Warnungen und Moral braucht, um sich zu stärken und nicht zu fallen.

Möge G’tt uns Stärke und Moral geben, sodass wir Seinen Wegen weiter folgen und nicht davon abkommen.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.

Inhalt
Der Wochenabschnitt beginnt mit Anordnungen zu Jom Kippur. Dann werden weitere Speisegesetze übergeben, wie etwa das Verbot des Blutgenusses und das Verbot des Verzehrs von Aas. Den Abschluss bilden verbotene Ehen wegen zu naher Verwandtschaft und Regelungen zu verbotenen sexuellen Beziehungen.
3. Buch Mose 16,1 – 18,30

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024

Toldot

Jäger und Kämpfer

Warum Jizchak seinen Sohn Esaw und nicht dessen Bruder Jakow segnen wollte

von Rabbiner Bryan Weisz  29.11.2024

Talmudisches

Elf Richtlinien

Wie unsere Weisen Psalm 15 auslegten

von Yizhak Ahren  29.11.2024

Ethik

»Freue dich nicht, wenn dein Feind fällt«

Manche Israelis feiern auf den Straßen, wenn Terroristenführer getötet werden. Doch es gibt rabbinische Auslegungen, die jene Freude über den Tod von Feinden kritisch sehen

von Rabbiner Dovid Gernetz  29.11.2024

Potsdam

In der Tradition des liberalen deutschen Judentums

Die Nathan Peter Levinson Stiftung erinnerte an ihren Namensgeber

 28.11.2024

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  28.11.2024

Berlin

Spendenkampagne für House of One startet

Unter dem Dach des House of One sollen künftig eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee Platz finden

von Bettina Gabbe, Jens Büttner  25.11.2024

Chaje Sara

Handeln für Generationen

Was ein Grundstückskauf und eine Eheanbahnung mit der Bindung zum Heiligen Land zu tun haben

von Rabbiner Joel Berger  22.11.2024

Talmudisches

Elefant

Was unsere Weisen über die Dickhäuter lehrten

von Rabbiner Netanel Olhoeft  22.11.2024