Der letzte Schabbat vor dem Pessachfest wird in traditionellen Kreisen »Schabbat Hagadol«, der erhabene Schabbat, genannt. An diesem Schabbat bereiten wir uns ernsthaft auf das vor uns liegende Fest der Befreiung unserer Vorfahren aus der Sklaverei Ägyptens vor.
Sich Jahr für Jahr auf die einst erhaltene Freiheit zu besinnen, ist nicht leicht. Der Herr führte sein Volk vor etwa dreieinhalb Jahrtausenden aus Ägypten. Die Israeliten hatten dort vier Jahrhunderte lang als Fronarbeiter gedient. Diese g’ttliche Befreiung gilt bis heute als Urerlebnis der Israeliten. Durch dieses Erlebnis wurden wir einst zu einem Volk.
Kann man heute ein noch so bedeutendes Ereignis, das so lange zurückliegt, würdigen und feiern? Verblasst nicht jede Würdigung und Feier mit der Zeit und wird zu einer bloßen Pflichtübung? Es sei denn, das Fest gewinnt zusätzliche Inhalte, die eine weitere Beschäftigung damit verlangen, zum Beispiel Rituale, auf die man sich intensiv vorbereiten, in die man sich vertiefen muss.
Seder Solche Rituale hatte das Pessachfest zur Genüge, wie das Zubereiten des Pessachlamm-Opfers in Jerusalem vor der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.d.Z. Heute bleibt davon nur noch die verbindende Erinnerung in Form eines gebratenen Knochens auf dem Sederteller. Aber das Backen der Mazzot ist auch heute verpflichtend.
Unsere Rabbinen verglichen das Pessachfest mit dem Schabbat, um damit zu begründen, warum man sich am letzten Schabbat vor Pessach auf das Fest konzentriert. Sie betonen: Während der Schabbat das Individuum, den Einzelnen von der Last der Eintönigkeit der Arbeit befreit, führt das Pessachfest die Israeliten als Volk aus der Unterdrückung in die Freiheit. Einfacher gesagt: Der Schabbat schenkt dem Einzelnen eine Form der Freiheit – die Unterbrechung der Arbeit. Pessach befreite das Volk von der Knechtschaft eines anderen Volkes. Der eine sprengt die Ketten der sozialen, der andere die Ketten der nationalen Unterdrückung.
In Wirklichkeit sind beide Tage im Inneren miteinander verbunden. Der eine wirkt ohne den anderen sinnlos. Was könnte die nationale Freiheit bedeuten, wenn der Einzelne im Volk weiter unterdrückt und ausgebeutet bleibt? Und wie könnte sich das Sprengen der sozialen Ketten nützlich auswirken, wenn nicht das ganze Volk sich frei entfalten kann?
Lamm Die Gelehrten sahen in diesem Schabbat, an dem sich gemäß der Überlieferung die Israeliten einst das Pessachlamm für das Opfer der Befreiung besorgt hatten, einen Hinweis: Der Auszug selbst erfolgte am 15. Tag des Monats Nissan. Doch der Weg in die Freiheit begann bereits mit den Vorbereitungen: »Ein jeder solle selbst für sein Haus ein Lamm besorgen« (2. Buch Mose 12).
Die Versorgung aus der Gemeinschaftsküche der Sklavenhalter nimmt hier sein Ende. Freiheit bedeutet auch Selbstversorgung. Diese muss erlernt und bewusst gemacht werden. Der Anfang der Selbstständigkeit, der Freiheit begann mit einem selbst erworbenen Lamm für das letzte Abendessen der Sklaven in Ägypten.
Mancher wird sich fragen: Wieso wurde das Lamm am Schabbat besorgt? Nun, die Festlegung des arbeitsfreien Tages auf den Schabbat erfolgte erst am Berg Sinai, nach dem Auszug aus Ägypten, nach dem Erlangen der Freiheit.