Jeder kennt das Wort »Ganove«. Es kommt vom hebräischen »Ganav« und ist über das Jiddische ins Deutsche gelangt. Der Ganove ist ein Dieb oder jemand, dem man nicht trauen kann.
Auch im Talmud, etwa im Traktat Bawa Kamma (79ab), begegnen wir dem »Ganav«. Wie so oft im Talmud wird auch dieser Begriff ganz genau definiert, und wir sehen, dass es, verglichen mit dem heutigen Sprachgebrauch, mitunter Abweichungen gibt. Das zeigt wieder einmal, dass die Verwendung unkommentierter Übersetzungen eine heikle Sache ist.
Ganav Der Talmud versteht unter einem »Ganav« jemanden, der eine Sache ohne Wissen des Besitzers an sich genommen hat – jemand, der sich der »Genejva« schuldig gemacht hat. Wer so etwas tut, verstößt gegen ein Gebot aus dem 3. Buch Mose: »Lo tignovu« – »Ihr sollt nicht stehlen« (19,11). Wer es dennoch tut, hat mit verblüffenden Folgen zu rechnen: Der Ganav muss den Besitz freiwillig zurückgeben. Und wenn er ihn nicht mehr hat, dann muss er den Wert des Gegenstands erstatten.
Größere Konsequenzen erwarten denjenigen, der das Diebesgut nicht aus eigenem Antrieb zurückgibt, sondern erst überführt werden muss. In diesem Fall muss der Ganav den doppelten Wert zurückerstatten. Wir sehen: Entscheidend für das Strafmaß ist, ob der Täter die Tat selbst aufdeckt oder ob Dritte es tun.
Handelt es sich bei dem Diebesgut um ein Tier, und es wurde gar geschlachtet, dann muss der Ganav den vierfachen Wert zurückerstatten. Diese Zusatzzahlung ist die Strafe. Wer kein Geld dafür hat, kann als Sklave verkauft werden und den Erlös für den Begleich der Summe einsetzen, so der Talmud.
Strafe Etwas anderes als die »Genejva« ist »Gesel« – »Raub«. Ein Raub im talmudischen Sinne ist das An-sich-Bringen eines Objekts ohne Bezahlung unter offenem Einsatz von Gewalt. Wie der Dieb muss auch der Räuber (»Gaslan«) das Objekt zurückgeben oder eben dessen Wert erstatten. Das ist seine Strafe. Und dann gibt es noch einen dritten Typ: den bewaffneten Räuber. Es ist strittig, welcher Kategorie er angehört. Ist er ein Dieb oder ein Räuber? Der Talmud geht davon aus, dass er fliehen und sich verstecken will. Deshalb sei er ein Dieb.
Man fragt sich, warum der Räuber so milde bestraft wird. Auch die Schüler von Rabban Jochanan ben Zakkai fanden das irritierend. Es erschien ihnen nicht logisch – und uns heute sicher auch nicht. (Wir sprechen hier nicht über die möglichen Folgen einer Gewalteinwirkung – diese ziehen natürlich auch Strafen nach sich.)
Jochanan ben Zakkai war hingegen überzeugt davon, dass es genauso sein musste. Er sagte, der Räuber habe die gleiche Achtung vor der Gesellschaft wie vor G’tt und begeht deshalb seine Tat in der Öffentlichkeit. Der Ganav hingegen habe mehr Achtung vor der Gesellschaft als vor G’tt: Er handelt so, als würde ihn das g’ttliche Auge nicht sehen. Deshalb müsse er härter bestraft werden.
festessen Um das zu verdeutlichen, erzählte Rabban Gamliel eine Geschichte: Zwei Männer leben in einer Stadt. Jeder von ihnen gibt ein Festessen. Der eine Mann lädt alle Bewohner der Stadt zu seinem Essen ein, aber nicht die Familie des Königs. Der andere Mann lädt weder die Bewohner noch die königliche Familie zu seinem Essen ein. Welcher von beiden hat die königliche Familie mehr gekränkt? Natürlich derjenige, der die Bewohner der Stadt einlud und ihnen damit mehr Respekt entgegenbrachte als der königlichen Familie. Der andere behandelt beide gleichermaßen herablassend.
Wirklich gravierend ist hier also nicht nur das Verbrechen, sondern auch das Verneinen der g’ttlichen Präsenz. Die Achtung vor G’tt sollte ein solches Verbrechen eigentlich verhindern.