Lehrhaus

»Von Israel geht die Kraft aus«

Rabbinerin Elisa Klapheck (r.) diskutierte mit Mirjam Wenzel und Christian Wiese. Foto: Rafael Herlich

1900 erschien in der Reihe »Die jüdische Bewegung« ein Aufsatz von Martin Buber, dessen Titel »Jüdische Renaissance« zur programmatischen Überschrift für die kulturelle Blüte des Judentums in dieser Zeit in Deutschland wurde. Doch so mitreißend der Titel, so schwierig und sperrig erscheinen, zumindest nach heutiger Lesart, Stil und Inhalt dieses Essays.

Ob Bubers Vision einer »Wiedergeburt des Judenvolkes, welche nur ein Teilstrom ist in der neuen Menschheits-Renaissance«, heute noch Relevanz besitzt, darüber diskutierte am Dienstag vergangener Woche im Frankfurter Museum Judengasse Rabbinerin Elisa Klapheck mit der Direktorin des Hauses, Mirjam Wenzel, und Christian Wiese, seit 2010 Inhaber des Martin-Buber-Lehrstuhls an der Goethe-Universität. Dies war zugleich die dritte Veranstaltung im Rahmen des von Klapheck begründeten »Jüdisch-Politischen Lehrhauses«.

Tradition Die Rabbinerin räumte ein, dass ihr bei Bubers Diktion mitunter »das Grausen« komme. Vor allem aber störe sie sich an dessen Verachtung für »Ghetto« und »Golus«, für die »Folterschraube des Exils«, die für ihn sowohl durch die »innere Zwingherrschaft des Gesetzes« als auch durch die »äußere Knechtung der Wirts-Völker« gekennzeichnet ist. Einher damit geht bei ihm eine schroffe Ablehnung jedes Intellektualismus, also auch der mehrere Jahrtausende alten Tradition rabbinischer Gelehrsamkeit, wie sie im Talmud zum Ausdruck kommt.

»Gab und gibt es nicht ein vitales und plurales jüdisches Leben in der Diaspora? Und ist das nicht alles gerade auch Produkt der Galut?«, fragte Klapheck. Ihrer Meinung nach ist, was Buber als »armselige Episode Assimilation« diffamiere, vielmehr »Ausdruck jüdischer Kreativität, ganz unterschiedliche Symbiosen einzugehen«. Worin, im Gegenzug, die Erneuerung des Judentums nach Überwindung von »Ghetto und Golus« bestehen soll, wird bei Buber nicht klar. Nur als zionistisches Manifest sollte man seinen Text jedenfalls nicht lesen; denn es gilt, wie Buber sagt, »vor der äußeren zunächst eine innere Heimat« neu zu schaffen.

Aber man könne auch nicht den »Zionismus aus Buber einfach herausschrauben«, warnte Mirjam Wenzel. »Von Israel geht die Kraft aus, und von dort strahlt die jüdische Renaissance auch auf die Diaspora aus«, beschrieb sie vielmehr dessen Zukunftsvision. Daher kam sie zu dem Schluss, dass Rabbinerin Klapheck und sie selbst »diesen Text ganz unterschiedlich« läsen, aber solche Divergenzen könnten ja auch äußerst produktiv sein, weil sie zum Weiterdenken anregten.

Nietzsche Christian Wiese unternahm es, Bubers schwärmerische Prosa in ihren historischen Kontext einzuordnen. »Neuromantische Vorstellungen von Volk, Blut und Volksseele« seien um 1900 populär gewesen, erläuterte der Religionswissenschaftler und Judaist. Auch lasse sich aus Bubers Worten seine damalige Begeisterung für Nietzsches Zarathustra deutlich herauslesen. Daher akzentuiere dieser Aufsatz nur eine Phase im Buberschen Denken, noch vor seiner Hinwendung zum Chassidismus als Ausdruck ursprünglicher jüdischer Frömmigkeit. Vor allem aber sei sein Zionismus eher kulturell als nationalstaatlich motiviert.

»Kultusgemeinde oder kulturelle Gemeinschaft?« Diese Frage bringt nach Meinung Mirjam Wenzels ein Spannungsverhältnis auf den Punkt, das auch für das heutige jüdische Selbstverständnis noch von enormer Bedeutung ist.

Für Christian Wiese besitzt hingegen insbesondere die von Buber entwickelte Dialog-Philosophie bis heute große Aktualität, denn sie ermögliche es, die Pluralität unterschiedlicher Religionen bei gleichzeitigem Festhalten an der eigenen Tradition zu akzeptieren.

Für Rabbinerin Klapheck besteht die Bedeutung Bubers für die Gegenwart in seinem Konzept eines nicht nationalstaatlich gedachten Judentums, das sich aus verschiedenen, dezentral organisierten sozialistischen Gemeinschaften, wie den Kibbuzim in Israel, bilde. Aus dieser Perspektive heraus könne es durchaus als Kritik und Korrektiv gegenüber dem Nationalstaat wirksam werden. »Mit Buber wäre auch ein jüdisch-arabischer Dialog möglich«, sagte Klapheck.

Chanukka

Das jüdische Licht

Die Tempelgeschichte verweist auf eine grundlegende Erkenntnis, ohne die unser Volk nicht überlebt hätte – ohne Wunder kein Judentum

von Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky  12.12.2025

Wajeschew

Ein weiter Weg

Das Leben Josefs verlief nicht geradlinig. Aber im Rückblick erkennt er den Plan des Ewigen

von Rabbinerin Yael Deusel  12.12.2025

Talmudisches

Nach der Sieben kommt die Acht

Was unsere Weisen über die Grenze zwischen Natur und Wunder lehren

von Vyacheslav Dobrovych  12.12.2025

Chanukka

Nach dem Wunder

Die Makkabäer befreiten zwar den Tempel, doch konnten sie ihre Herrschaft nicht dauerhaft bewahren. Aus ihren Fehlern können auch wir heute lernen

von Rabbiner Julian-Chaim Soussan  12.12.2025

Quellen

Es ist kompliziert

Chanukka wird im Talmud nur selten erwähnt. Warum klammerten die Weisen diese Geschichte aus?

von Rabbiner Avraham Radbil  11.12.2025

Religion

Israels Oberrabbiner erstmals auf Deutschlandbesuch

Kalman Ber startet seine Reise in Hamburg und informiert sich dort über jüdisches Leben. Ein Schwerpunkt: der geplante Neubau einer Synagoge

 10.12.2025

Thüringen

Jüdische Landesgemeinde und Erfurt feiern Chanukka

Die Zeremonie markiert den Auftakt der inzwischen 17. öffentlichen Chanukka-Begehung in der Thüringer Landeshauptstadt

 08.12.2025

Wajischlach

Zwischen Angst und Umarmung

Die Geschichte von Jakow und Esaw zeigt, wie zwei Brüder und zwei Welten wieder zueinanderfinden

von Rabbiner Joel Berger  05.12.2025

19. Kislew

Himmlischer Freispruch

Auch wenn Rosch Haschana schon lange vorbei ist, feiern Chassidim dieser Tage ihr »Neujahr«. Für das Datum ist ausgerechnet der russische Zar verantwortlich

von Chajm Guski  05.12.2025