1900 erschien in der Reihe »Die jüdische Bewegung« ein Aufsatz von Martin Buber, dessen Titel »Jüdische Renaissance« zur programmatischen Überschrift für die kulturelle Blüte des Judentums in dieser Zeit in Deutschland wurde. Doch so mitreißend der Titel, so schwierig und sperrig erscheinen, zumindest nach heutiger Lesart, Stil und Inhalt dieses Essays.
Ob Bubers Vision einer »Wiedergeburt des Judenvolkes, welche nur ein Teilstrom ist in der neuen Menschheits-Renaissance«, heute noch Relevanz besitzt, darüber diskutierte am Dienstag vergangener Woche im Frankfurter Museum Judengasse Rabbinerin Elisa Klapheck mit der Direktorin des Hauses, Mirjam Wenzel, und Christian Wiese, seit 2010 Inhaber des Martin-Buber-Lehrstuhls an der Goethe-Universität. Dies war zugleich die dritte Veranstaltung im Rahmen des von Klapheck begründeten »Jüdisch-Politischen Lehrhauses«.
Tradition Die Rabbinerin räumte ein, dass ihr bei Bubers Diktion mitunter »das Grausen« komme. Vor allem aber störe sie sich an dessen Verachtung für »Ghetto« und »Golus«, für die »Folterschraube des Exils«, die für ihn sowohl durch die »innere Zwingherrschaft des Gesetzes« als auch durch die »äußere Knechtung der Wirts-Völker« gekennzeichnet ist. Einher damit geht bei ihm eine schroffe Ablehnung jedes Intellektualismus, also auch der mehrere Jahrtausende alten Tradition rabbinischer Gelehrsamkeit, wie sie im Talmud zum Ausdruck kommt.
»Gab und gibt es nicht ein vitales und plurales jüdisches Leben in der Diaspora? Und ist das nicht alles gerade auch Produkt der Galut?«, fragte Klapheck. Ihrer Meinung nach ist, was Buber als »armselige Episode Assimilation« diffamiere, vielmehr »Ausdruck jüdischer Kreativität, ganz unterschiedliche Symbiosen einzugehen«. Worin, im Gegenzug, die Erneuerung des Judentums nach Überwindung von »Ghetto und Golus« bestehen soll, wird bei Buber nicht klar. Nur als zionistisches Manifest sollte man seinen Text jedenfalls nicht lesen; denn es gilt, wie Buber sagt, »vor der äußeren zunächst eine innere Heimat« neu zu schaffen.
Aber man könne auch nicht den »Zionismus aus Buber einfach herausschrauben«, warnte Mirjam Wenzel. »Von Israel geht die Kraft aus, und von dort strahlt die jüdische Renaissance auch auf die Diaspora aus«, beschrieb sie vielmehr dessen Zukunftsvision. Daher kam sie zu dem Schluss, dass Rabbinerin Klapheck und sie selbst »diesen Text ganz unterschiedlich« läsen, aber solche Divergenzen könnten ja auch äußerst produktiv sein, weil sie zum Weiterdenken anregten.
Nietzsche Christian Wiese unternahm es, Bubers schwärmerische Prosa in ihren historischen Kontext einzuordnen. »Neuromantische Vorstellungen von Volk, Blut und Volksseele« seien um 1900 populär gewesen, erläuterte der Religionswissenschaftler und Judaist. Auch lasse sich aus Bubers Worten seine damalige Begeisterung für Nietzsches Zarathustra deutlich herauslesen. Daher akzentuiere dieser Aufsatz nur eine Phase im Buberschen Denken, noch vor seiner Hinwendung zum Chassidismus als Ausdruck ursprünglicher jüdischer Frömmigkeit. Vor allem aber sei sein Zionismus eher kulturell als nationalstaatlich motiviert.
»Kultusgemeinde oder kulturelle Gemeinschaft?« Diese Frage bringt nach Meinung Mirjam Wenzels ein Spannungsverhältnis auf den Punkt, das auch für das heutige jüdische Selbstverständnis noch von enormer Bedeutung ist.
Für Christian Wiese besitzt hingegen insbesondere die von Buber entwickelte Dialog-Philosophie bis heute große Aktualität, denn sie ermögliche es, die Pluralität unterschiedlicher Religionen bei gleichzeitigem Festhalten an der eigenen Tradition zu akzeptieren.
Für Rabbinerin Klapheck besteht die Bedeutung Bubers für die Gegenwart in seinem Konzept eines nicht nationalstaatlich gedachten Judentums, das sich aus verschiedenen, dezentral organisierten sozialistischen Gemeinschaften, wie den Kibbuzim in Israel, bilde. Aus dieser Perspektive heraus könne es durchaus als Kritik und Korrektiv gegenüber dem Nationalstaat wirksam werden. »Mit Buber wäre auch ein jüdisch-arabischer Dialog möglich«, sagte Klapheck.