Die Pessachsymbole kennt jeder: Lammknochen und Mazza. Die Sukkotsymbole kennt auch jeder: Laubhütte und Früchte. Für Rosch Haschana steht das Schofar, für Chanukka der neunarmige Leuchter. Und was steht für Schawuot? Kein Symbol – etwa nichts?
Im 4. Buch Mose 28,26 heißt es zu Schawuot: »Auch am Tag der Erstlingsopfer, wenn ihr dem Ewigen ein Speiseopfer vom neuen Korn darbringt, an eurem Wochenfest, sei euch eine Versammlung am Heiligtum: keinerlei Arbeit sollt ihr tun.« Ursprünglich war also Schawuot ein Mehlopferfest mit neuem Korn, das heißt, aus frischer Ernte.
Symbole Eine reife Ähre könnte also das Symbol darstellen. Die 49 Tage des Omerzählens waren die Tage zwischen den Festen Pessach und Schawuot, gewidmet der Opferung des »Omer«, eines Maßes von Getreide in der Erntezeit. Es ging vor allem darum, die überlebenswichtige Getreideernte einzubringen. Das Verbot des Feierns von Hochzeiten (die damals nicht nur einen Tag, sondern womöglich bis zu einer ganzen Woche dauerten und eine ganze Ortschaft in Festlaune bringen konnten) zwischen Pessach und Schawuot diente allein dem Zweck, eben jene Ernte ohne jeden Verzug einzubringen.
Schawuot ist der Feiertag, der am stärksten von den Rabbinern erneuert, das heißt reformiert wurde. Nach der Zerstörung des Tempels, nach dem Verlust des Landes und damit dem Ende der agrikulturellen Prägung der biblischen Religion, fanden die Rabbiner eine neue Interpretation der Bedeutung des Festes und bestimmten Schawuot zur Zeit »Matan Toratenu«, an dem Mosche die Zehn Gebote und die Tora am Sinai empfangen hat.
Als Indiz dafür galt der Zeitpunkt im Kalender: Die rabbinische Rechnung zugrunde gelegt, sind vom Auszug aus Ägypten bis zur Offenbarung am Sinai sieben Wochen vergangen. Als Symbol für Schawuot haben sich aber weder die Gesetzestafeln noch die Tora durchgesetzt. Schawuot steht für das Transzendente, für das Unsichtbare – für die Offenbarung Gottes am Berg Sinai.
Neuerungen Schawuot hat also durch die Reformen der Rabbiner zwei neue Aspekte hinzugewonnen. Zum einen ist es der Feiertag der göttlichen Offenbarung, der Geburtstag der Gebote. So werden im jährlichen Toralesezyklus die Zehn Gebote dreimal gelesen. Einmal im 2. Buch Mose am Schabbat Jitro, zum anderen im 5. Buch Mose im Abschnitt Waetchanan und als Höhepunkt an Schawuot. Der Babylonische Talmud (Pessachim 68b) nennt gute Speisen und guten Wein, den man an diesem Tag genießen soll, da Israel an diesem Tag die Tora erhielt. Dies geschah nachweislich des biblischen Berichts mit Blitz und Donner am Berg Sinai.
Daraus haben dann die Kabbalisten weitere Reformen abgeleitet. Sie proklamierten, dass – gleich den Israeliten am Berg Sinai – die ganze Nacht hindurch gewacht werden soll. Laut einer kabbalistischen Darstellung öffnet sich in dieser Nacht ein Spalt zum Himmel, der auch uns diese göttliche Offenbarung zuteilwerden lässt. An die so angelegte Tradition halten sich einige Gemeinden: Sie lesen alle 24 Bücher der Bibel mit ihren Anfangs- und Schlusskapiteln.
Milchspeisen Eine andere Reform betrifft die Festmahlzeit. Nicht, wie im Talmud berichtet, Wein und Speisen im Allgemeinen, sondern dezidiert Milchspeisen sind zum Mittelpunkt des Schawuotmahles geworden. Einer schönen Legende zufolge werden nach der Schawuotnacht Milchgerichte gegessen, weil den Israeliten nach der Rücckehr vom Berg Sinai keine Zeit blieb, um Fleischgerichte zuzubereiten. Folglich wurden keine Schlachtungen vorgenommen, und alle Nahrung, die zur Verfügung stand, war die geronnene Milch vom Tag zuvor.
Eine weitere Neuerung kommt von der jüdischen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts. Anknüpfend an den Brauch osteuropäischer Gemeinden, das Schuljahr des Talmud-Tora-Unterrichts für die etwa dreijährigen Knaben mit Schawuot beginnen zu lassen – die Kinder erhielten dann Kuchen, Honig und Süßigkeiten, damit sie einen Vorgeschmack auf die süße Tora bekamen –, wurden in der Reformbewegung bis in die 60er-Jahre die zwölfjährigen Mädchen religionsmündig, indem sie ihre Treue zum Judentum durch das öffentliche Aufsagen je eines oder aller Zehn Gebote bekundeten.
In den fünf Büchern Mose gibt es an manchen Stellen Formulierungen, die Mizwot, göttliche Handlungsanweisungen, beinhalten. Sie enden oft mit Formulierungen wie »Ich bin eurer Gott«. Es sind Gebote, die sich an alle Israeliten wenden – und damit an jeden Einzelnen als Teil jener Gemeinschaft, die in der Wüste auf dem Weg ins verheißene Land wanderte. Hier jedoch, am Berg Sinai, wird klargestellt: »Ich bin der Ewige, dein Gott, der dich geführt hat aus dem Lande Mizrajim, aus dem Knechthaus.« Es ist eine Ansprache an jeden Einzelnen, wie Martin Buber formulierte: Gott spricht zum »Du«!
Bindeglied Da Schawuot nicht immer auf schul- oder arbeitsfreie Tage fällt, feiert die Berliner Synagoge Sukkat Schalom an dem auf Schawuot folgenden Schabbat, dem sie den schönen Zusatznamen »le-Dor wa-Dor« gegeben hat. Wir spielen damit an auf die Folgen der Offenbarung am Sinai für jeden Einzelnen, der mit dem »Du« angesprochen wird.
Die Torarolle wird von den ältesten in der Synagoge anwesenden Beterinnen und Betern an die Bnei und Bnot Mizwa der vergangenen Jahre übergeben, die zu diesem Schabbat jeweils eine besondere Einladung erhalten: die Offenbarung Gottes als Generationenvertrag.
Der Autor ist Rabbiner der Berliner Synagogengemeinde Sukkat Schalom.