Talmudisches

Vom Sinn der Kriah

Der Trauernde muss auch bei der Kriah Maß halten. Foto: Flash 90

Talmudisches

Vom Sinn der Kriah

Das symbolische Einreißen der Kleidung trägt im Trauerfall zur Linderung des Schmerzes der Hinterbliebenen bei

von Yizhak Ahren  13.11.2017 19:48 Uhr

Das symbolische Einreißen der Kleidung im Trauerfall bezeichnet man als Kriah. Die Kriah ist ein uralter jüdischer Trauerritus, den schon Stammvater Jakow praktizierte, als er (irrtümlich) meinte, ein wildes Tier habe seinen Lieblingssohn Josef gefressen: »Und Jakob zerriss seine Kleider und legte einen Sack um seine Lenden und trauerte um seinen Sohn lange Zeit« (1. Buch Mose 37,34).

Ausführungsbestimmungen zur Kriah finden wir im Talmud an verschiedenen Stellen. Im Traktat Moed Katan lesen wir: »In folgenden Fällen darf der Riss nicht zusammengenäht werden: Wenn man das Gewand einreißt über seinen Vater, seine Mutter, seinen Lehrer, der ihm Tora beibrachte« (26a).

Abgeleitet wird die Gleichsetzung von Eltern mit Toralehrern aus dem biblischen Bericht, dass der Prophet Elischa seine Kleidung zerriss, als sein Lehrmeister Elijahu gen Himmel aufstieg (2. Könige 2,12).

beerdigung Im Traktat Berachot (42b und 43a) wird über den babylonischen Amoräer Rabbi Ada Bar Ahava, der im dritten Jahrhundert lebte, berichtet, er habe sogar ein zweites Mal eine Kriah gemacht, als Raw, der Begründer der Talmudakademie von Sura, betrauert wurde: »Als die Seele Raws zur Ruhe eingekehrt war, gaben ihm seine Schüler das Geleit, und als sie von der Beerdigung zurückkehrten, sprachen sie: ›Wir wollen gehen und am Strom Denak speisen‹.«

Nach dem Essen diskutierten sie eine praktische halachische Frage, die uns hier nicht beschäftigen soll. Wichtig ist nur, dass Raws Schüler zunächst keine Antwort auf die aufgeworfene Frage wussten. »Da stand Rabbi Ada Bar Ahava auf, drehte seinen Riss nach hinten, machte einen zweiten Riss und sprach: Die Seele Raws ist zur Ruhe eingekehrt, und wir haben die Speisesegenssprüche nicht gelernt!«

Rabbi Ada Bar Ahavas zweite Kriah erscheint auf den ersten Blick seltsam. Wenn die Kriah ein Zeichen der Trauer ist – der Riss ins Kleidungsstück drückt aus, dass in die äußeren Beziehungen des Menschen ein Riss gekommen ist –, welche Bedeutung kann dann die erneute Kriah haben?

sinn Die Umstände dieser Begebenheit helfen uns, den Sinn der Kriah besser zu verstehen. Erst auf dem Rückweg von Raws Beisetzung ging Rabbi Ada Bar Ahava die Tiefe des erlittenen Verlusts auf: »Wie viel Tora hätte ich noch von Raw lernen können!« Um seine schmerzliche Erregung zu lindern, hat er an einer anderen Stelle seines Gewandes einen zweiten Riss gemacht.

Die Tatsache, dass die Kriah zur Beruhigung des Trauernden beiträgt, hilft uns zu verstehen, warum diese vorgeschriebene Handlung nicht als eine verbotene Zerstörung gilt. Das Einreißen der Kleidung bewirkt Positives und ist daher nicht als sinnloses Kaputtmachen zu werten.

Allerdings muss der Trauernde auch bei der Kriah Maß halten. Der Talmud warnt: »Rabbi Elasar sagte: ›Ich hörte, wer über einen Toten die Gewänder mehr als nötig zerreißt, erhalte Geiselhiebe wegen des Verbots des Zerstörens‹« (Baba Kama 91b).

Die Kriah, die im Regelfall vor der Beerdigung gemacht wird, trägt zur Linderung des akuten Schmerzes der Hinterbliebenen bei. Außerdem sorgt sie dafür, dass sich keine pathologische Trauer entwickelt. In der Schockphase der Trauer ist die Verleugnung eine typische Reaktion der Angehörigen. Wer jedoch einen Riss im Gewand trägt, hat die Gefahr der Verleugnung bereits sehr eingeschränkt. Man kann behaupten, dass die Kriah eine symbolische Handlung ist, die einen schmerzhaften Moment anzeigt und zugleich hilft, mit der nun einmal gegebenen Lage besser umzugehen.

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025

Exodus

Alle, die mit uns kamen …

Mit den Israeliten zogen noch andere »Fremde« aus Ägypten. Was wissen wir über sie?

von Sophie Bigot Goldblum  11.04.2025

Zaw

Das Volk der Drei

Warum zwischen Priestern, Leviten und gewöhnlichen Israeliten unterschieden wurde

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  11.04.2025

Stärke

An den Prinzipien festhalten

In der Haggada heißt es, dass Juden in jeder Generation Feinde haben werden. Klingt entmutigend? Soll es nicht!

von Rabbiner Raphael Evers  11.04.2025

Talmudisches

Ägypten

Was unsere Weisen über das Land des Auszugs der Israeliten lehrten

von Chajm Guski  11.04.2025