Die Parascha für diesen Schabbat berichtet von einem Aufruhr gegen Mosche und Aharon. Die Rebellion wurde von Korach, einem Mann aus vornehmer Familie aus dem Stamm Levi, angezettelt. Korachs Verschwörung hat in der Geschichte unseres Volkes tiefe Spuren hinterlassen.
Im Laufe der anstrengenden Wanderung durch die Wüste war die Unzufriedenheit des Volkes bereits mehrmals offen ausgebrochen – immer dann, wenn Schwierigkeiten bei der Versorgung auftraten. Viele gaben offen zu, dass sie lieber nach Ägypten in die Knechtschaft zurückkehren wollten, wo es ihrer Erinnerung nach immer genug zu essen gegeben habe. Sie dachten darüber nach, einen Anführer für ihre Rückreise zu bestimmen.
Mosche und seine Anhänger nahmen die gegnerische Stimmung nicht ernst. Die Rebellion fing klein an. Erst später gelang es Korach, dank seiner herausragenden rhetorischen Fähigkeiten, größere Menschenmengen zu beeinflussen. Die Tora berichtet von Korach und seiner Bewegung: Sie wollten die Führungsriege um Mosche stürzen. Aber ihr Plan wurde vereitelt, und sie wurden bestraft.
Putsch Selbst in modernen Zeiten verfährt man so, dass die Schuldigen nach einem gescheiterten, niedergeschlagenen Putsch bestraft werden. Außerdem werden die Rebellen in offiziellen Verlautbarungen verurteilt und als unverantwortliche Aufwiegler oder als Feinde des eigenen Volkes bezeichnet. Die Sicherheitskräfte, die die Rebellion erfolgreich niedergeschlagen haben, werden gelobt und erhalten Orden.
Die Tora folgt diesem Weg nicht. Als Mosche über die Aufrührer spricht, nennt er sie »Fürsten der Gemeinde, Glieder der Ratsversammlung, Männer von Ansehen« (4. Buch Mose 16,2). Die Tora schildert dies sehr sachlich. Sie möchte Würdenträger späterer Zeiten vor Hochmut warnen: Übersteigerte Ambitionen können auch vernünftige Personen blenden. Denkt an Korach und an sein Scheitern! Am Ende konnte er seine Forderungen nicht durchsetzen und versank samt seiner engsten Gefolgschaft im Erdboden.
argumente Samson Raphael Hirsch, der bekannte Frankfurter Rabbiner des 19. Jahrhunderts und Vertreter der deutschen Neo-Orthodoxie, analysierte Korachs Argumente: »Einige würden wir als chaotisch bezeichnen, andere dagegen könnten sogar demokratisch erscheinen.«
Zuerst warf Korach Mosche und Aharon vor: »Die ganze Gemeinde besteht aus lauter Heiligen, denn der Herr ist unter ihnen. Warum erhebt ihr euch über die Versammlung des Herrn?« (4. Buch Mose 16,3). Dies könnte so ausgelegt werden, dass das Volk eigentlich überhaupt keine Regierung benötige. Unter lauter Heiligen wäre sogar eine »Basisdemokratie« überflüssig, denn die Struktur der Heiligen trage sich selbst.
Korach argumentiert scheinbar demokratisch. Er fragt: »Warum erhebt ihr euch über die Versammlung G’ttes?« Indirekt meinte er damit: Warum sollt gerade ihr die Macht ausüben? Wer hat euch denn gewählt? Dahinter steckte unausgesprochen: Wir glauben nicht an eure g’ttliche Botschaft und Prophetie. Wir wollen uns selbst einen Führer wählen, das ist unser Recht! Die Kommentatoren beschreiben, wie nahe die Scheindemokratie der Demagogie kommt. Denn ohne Mosche und seine Berufung hätten die versklavten Israeliten ihr Joch niemals zerschlagen.
Wir lesen im Tanach, in Sefer Kohelet, dem Predigerbuch, dass es »nichts Neues unter der Sonne« gäbe (1,9). Die biblische Figur Korach kann als Ur-Topos aller späteren und sogar heutigen Populisten gesehen werden. Ob sie nach der heutigen Nomenklatur zu den Altpopulisten oder eher zu den Neopopulisten zu rechnen ist, möchte ich offen lassen. Stattdessen will ich einige Merkmale aufzählen, die Populisten kennzeichnen. Interessanterweise gelten sie trotz der großen zeitlichen Entfernung auch für Korach und seine Parteigänger.
Rhetorik Einige Politologen meinen, Populismus komme häufig dort vor, wo in einer Gesellschaft Menschen von Bestrebungen erfüllt sind, die sie nicht realisieren können. Ferner neigen Populisten dazu, die vermeintlichen Unterschiede zwischen ihren Versprechen und ihren Leistungen zu ideologisieren. Charakteristisch für den Populismus ist ein starker Führer, der mit emotionalen Klischees spielt und über eine schäumende Rhetorik verfügt. Auch diese Merkmale treffen bereits auf Korach zu.
In der Literatur über den Populismus wird erwähnt, dass, wenn solche Menschen an die Macht kommen, ihre elitenfeindliche Rhetorik gegen die Korruption sehr rasch ihre Gültigkeit verliert. Diese Aussage heutiger Politologen konnte die Gruppe um Korach nicht mehr bestätigen, denn sie wurde auf Geheiß G’ttes von der Erde verschluckt.
An einer späteren Stelle betont die Tora: »Uwene Korach lo metu« – »Aber die Söhne Korachs starben nicht« (4. Buch Mose 26,11). Damit betont sie, dass Sippenhaft oder Kollektivschuld der biblischen Gerechtigkeit fremd sind. Unschuldige Kinder, Nachfahren eines sogar todeswürdigen Verbrechers können nicht belangt werden und gelten als unschuldig.
Der Autor war von 1981 bis 2002 Landesrabbiner von Württemberg.
Inhalt
Korach und seine Anhänger Datan und Awiram rebellieren gegen die Anführer Mosche und Aharon. Der Ewige selbst bestraft den Putschversuch und lässt sowohl Korach als auch seine Anhänger vom Erdboden verschlingen. Andere Sympathisanten Korachs werden durch ein himmlisches Feuer verzehrt. Dennoch herrscht Unmut unter den Israeliten. Darauf folgt eine Seuche, die von Aharon beendet wird. Um seine Position an der Spitze zu verdeutlichen, sollen die Anführer jedes Stammes ihren Stab ins Stiftszelt bringen. Aharons Stab treibt Blüten.
4. Buch Mose 16,1 – 18,32