Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Noch nie seien so viele Rabbiner auf einmal im Jüdischen Museum gewesen, sagt Cilly Kugelmann. Mit ihrer Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Ausstellung »Die ganze Wahrheit über Juden« wollte die stellvertretende Museumsleiterin am vergangenen Donnerstag unterschiedliche Denominationen des Judentums präsentieren – Orthodoxie, Reform und Masorti. Und Kugelmann wollte demonstrieren, dass es keinen »jüdischen Papst« gibt – und dass keine der verschiedenen Richtungen die Wahrheit über das Judentum gepachtet hat.
Wie kommt ein Jude in den Himmel? Vier Rabbiner suchen auf dem Podium des Jüdischen Museums gemeinsam nach Antworten auf diese und andere Fragen, die Juden bewegen. Ganz links sitzt Jona Simon, Rabbiner in Niedersachsen, ausgebildet am liberalen Abraham Geiger Kolleg in Berlin. Neben ihm Daniel Katz, konservativer Rabbiner in Weiden. Auf der anderen Seite die Orthodoxen: Yehuda Teichtal von Chabad Lubawitsch Berlin und Avichai Apel, Rabbiner in Dortmund.
Selbstverständnis Höflich und freundlich geht es an diesem Abend zu. Doch trotz der Gemeinsamkeiten, die sich durch ähnliche Herausforderungen der vier Rabbiner in ihren Gemeinden erklären lassen, treten natürlich auch Unterschiede im Selbstverständnis zutage. Simon bemerkt, seine Gemeindemitglieder verlangten manchmal von ihm, Lebensentscheidungen für sie zu treffen – was ihm nicht behagt, da er lieber Lehrer sein will.
Teichtal glaubt nicht daran, dass Predigten effektiv sind. Ein Rabbiner müsse selbst zum Vorbild für ein Leben nach den Geboten der Tora werden, um den Weg aufzuzeigen. Katz’ Gemeinde besteht zum größten Teil aus Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie möchte er vor allem an jüdisches Leben heranführen. Auch Avichai Apel versteht sich als Übersetzer und Vermittler, der Menschen da abholt, wo sie gerade stehen.
Die berühmt-berüchtigte Glasbox in der Ausstellung – in der ein jüdischer Mensch sitzt, damit Besucher ihm Fragen stellen können – ist für Apel ein schönes Symbol für die Aufgaben eines Rabbiners. Manche betrachten ihn als Freund, andere freuen sich über die Trennscheibe. Auch Simon fühlt sich manchmal wie in einer Box – selbst beim Brötchenholen werde er als Rabbiner wahrgenommen. Und Teichtal merkt an, dass ein Rabbi natürlich nicht in der Box bleiben darf, sondern Kontakt zu den Menschen suchen muss.
KONFLIKT Der Konflikt zwischen Lebensnähe und Vorbildfunktion zeigt sich ganz konkret an der Frage des Autofahrens am Schabbat. Was für den Liberalen Simon kein Problem ist, stellt für die anderen drei Rabbiner eine große Herausforderung dar. Denn die Situation ist klar: Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, verbietet das Fahren am Feiertag. Doch die Situation in den meisten jüdischen Gemeinden der Moderne ist komplexer als das Gesetz.
Früher, als die Gemeinden klein waren, war alles einfacher, findet der Orthodoxe Apel: Da haben zehn Familien zusammen in ihren Wohnungen gebetet, jede Woche in einer anderen. Irgendwann wurde vielleicht ein Stibl gemietet. Heute liegen die Synagogen oft im Stadtzentrum, während die Gemeindemitglieder verstreut wohnen. Spräche ein Rabbi ein Auto-Verbot aus, hätte er nur noch zwei oder drei Beter am Schabbat.
Das Fahren explizit erlauben darf der Rabbiner aber auch nicht. Deswegen spricht Apel das Thema einfach nicht mehr an. Wenn er merkt, dass ein Beter zunehmend Verständnis für die Halacha entwickelt, schlägt er vor, vielleicht doch die Straßenbahn zu nehmen – und irgendwann zu Fuß zu kommen. Katz hat eine pragmatische Lösung parat: Seiner Meinung nach ist es erlaubt, mit dem Auto zur Synagoge zu fahren und dann wieder zurück, aber nicht noch zum Einkaufen. Für Teichtal ist diese Praxis ausgeschlossen. Er sagt aber, wenn ein Beter in die Synagoge komme, müsse er zunächst begrüßt und nicht strafend gefragt werden, ob er sein Auto genutzt habe.
EHE Problematischer wird es bei interkonfessionellen Ehen. Apel hat schon Einladungen zu Hochzeiten erhalten, bei denen er zusammen mit einem Priester für »ein bisschen Ökumene« sorgen sollte. Er hat kein Problem damit, solche Angebote abzulehnen. Größere Probleme sieht er allerdings im späteren Familienleben des Paares. Wenn Kinder interreligiös erzogen werden, so seine Befürchtung, hätten sie keine feste Identität. Am Gemeindeleben teilnehmen dürfen diese Kinder allerdings – genau wie »Vaterjuden«. Die Barmizwa und der Aufruf zur Tora werden ihnen aber verweigert.
Jona Simon berichtet über Bestrebungen innerhalb der Reformbewegung in den USA, auch Kinder jüdischer Väter als Juden anzuerkennen. In Deutschland hätten sich die nichtorthodoxen Rabbiner allerdings dagegen entschieden, weil diese Praxis zu einer tiefen Spaltung der Gemeinden führen würde. Der Weg zum Giur, zum Übertritt, steht »Vaterjuden« aber offen.
GIUR Ohne jüdischen Familienhintergrund zu konvertieren, bleibt schwieriger. Apel fordert von Giur-Kandidaten erst einmal eine psychologische Bescheinigung, um sicher zu sein, dass sie mental stabil genug sind für den schwierigen Prozess. Simon hält es ähnlich, fragt sich aber, ob der Gang zum Psychiater außerhalb von Deutschland für Menschen mit Konversionsabsichten überhaupt notwendig wäre.
Teichtal dagegen schickt Übertrittswillige zunächst zu ihrem Priester oder (in selteneren Fällen) zu ihrem Iman, damit sie herausfinden, ob die eigene Religion ihnen vielleicht doch noch etwas zu bieten hat. Simon wiederum mag das Wort »Übertritt« nicht. Er glaubt, dass Menschen sich von ihrer alten Welt – dem Christentum, dem Islam oder dem Atheismus – bereits verabschiedet haben, bevor sie zu ihm kommen.
Batmizwa Größere Unterschiede zeigen sich bei der Frage nach der Rolle der Frau und der Batmizwa. Katz’ Gemeinde ist egalitär; Frauen werden zur Tora aufgerufen. Das gilt auch für Mädchen, die Batmizwa werden. In Teichtals Chabad-Synagoge ist es anders. Dort wird die Reifezeremonie für Mädchen eher informell abgehalten – sie sprechen einen Segen über ein Glas Wein. Dass das Lesen aus der Tora zwingend zu diesem Initiationsritus gehöre, stehe nirgendwo geschrieben, sagt Teichtal. Apel glaubt, die Frage der Toralesung beschäftige eher Erwachsene als Kinder. In seiner Gemeinde habe ihn noch keine Frau gebeten, sie zur Tora aufzurufen.
Angerissen wird an dem Abend auch das Thema Homosexualität. Simon erklärt, ihm sei egal, was seine Gemeindemitglieder im Schlafzimmer tun. Zu einer Trauung zweier Männer oder Frauen sei er aber nicht bereit. Ähnlich sieht es Apel und betont: Es sei wichtig, Homosexuelle nicht aus der Gemeinde auszustoßen.
Doch zurück zur Ursprungsfrage: Wie kommt ein Jude denn nun in den Himmel? Durch gute Taten und den Versuch, den Himmel auf Erden zu schaffen, sagt Teichtal. Mit dem Hubschrauber, sagt Katz. Gar nicht, das sei eine christliche Frage, sagt Apel. Am Schabbat auf jeden Fall zu Fuß, sagt Simon.