Eine freche Gotteslästerung musste sich der Tannait Rabban Gamliel aus Jawne anhören: »Euer Gott ist ein Dieb!« (Sanhedrin 39a). Wer hat es gewagt, diese dreiste Behauptung aufzustellen? Nach einer Lesart war es ein (namentlich nicht genannter) römischer Kaiser, in anderen Büchern wird die Lästerung einem Ketzer zugeschrieben. Aber wie dem auch sei: Er hat in provozierender Absicht den Gott Israels als einen Gesetzesbrecher beschimpft.
Als Beweis für seine aggressive These zitiert der unfromme Ankläger folgenden Vers aus der Tora: »Da ließ Gott eine Betäubung über den Menschen fallen, als er schlief, nahm eine von seinen Seiten und schloss Fleisch an deren Stelle« (1. Buch Mose 2,21). In diesem Vers schildert die Schrift die Erschaffung der ersten Frau. Dabei soll es, so meint der Kritiker, nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.
Leugner In einer Mischna heißt es: »Wisse, was du dem Epikureer zu entgegnen hast!« (Sprüche der Väter 2,19). Ein Jude soll also bereit sein, einem Gottes- und Toraleugner oder -verächter die richtige Antwort zu geben. Daher hätten wir erwartet, dass Rabban Gamliel auf die ihm vorgetragene Provokation mit scharfen Worten reagieren wird. Unsere Geschichte nahm jedoch eine andere Wendung: Der Tannait sagte kein Wort.
»Da sprach seine Tochter zu ihm: Lass die Sache in meiner Hand, ich will ihm eine Antwort geben.« Von wessen Tochter ist hier die Rede?
Der israelische Aggada-Forscher Shmuel Faust meint, die Tochter des römischen Kaisers habe sich überraschenderweise bereit erklärt, anstelle von Rabban Gamliel ihrem Vater etwas zu erwidern. Fausts Interpretation überzeugt nicht: Warum sollte des Herrschers Tochter ihm widersprechen und ein gutes Wort für Israels Gott einlegen?
lästerer Vielmehr hätte wohl Rabban Gamliels Tochter ein Interesse daran, ihren Glauben an den Schöpfer zu verteidigen. Vielleicht hat der Tannait ja geschwiegen, um dem Lästerer zu signalisieren, dass sogar seine Tochter ihn widerlegen kann.
Weiter lesen wir: »Hierauf sprach die Tochter zu ihm: ›Bring einen Richter her!‹ Jener fragte sie: ›Wozu brauchst du einen Richter?‹ – › Räuber überfielen uns letzte Nacht, sie nahmen unseren silbernen Pokal mit und ließen einen goldenen Pokal zurück.‹ Er erwiderte: ›Möge uns das jeden Tag passieren!‹«
Und dann heißt es in der Gemara: »War es Adam nicht recht, dass man ihm eine Seite wegnahm und ihm dafür eine Magd zur Bedienung gegeben hat?«
vorurteil Wir wundern uns, dass Rabban Gamliels Tochter Adams Lebensgefährtin als eine »Magd zur Bedienung« bezeichnet hat. Wahrscheinlich griff sie nur ein Vorurteil ihres Gegenübers auf, um ihn von der Unrichtigkeit seiner These zu überzeugen. Erwähnenswert ist, dass Don Jitzchak Abarbanel (1437–1508) gerade aus unserem Vers ableitet, dass man die Frau nicht als Magd ansehen darf.
Wir wundern uns, dass Rabban Gamliels Tochter Adams Lebensgefährtin als eine »Magd zur Bedienung« bezeichnet hat.
Der Lästerer merkt, dass er den Disput mit der frommen Jüdin nicht gewonnen hat, und modifiziert nun seine Argumentation: »Ich habe zwar so gesprochen, aber gemeint habe ich: Er hätte die Seite nicht nehmen sollen, als Adam schlief, sondern als er hellwach war.«
Rabban Gamliels Tochter geht nicht direkt auf den neuen Einwand ein. Sie äußert vielmehr einen Wunsch: »›Holt mir ein Stück rohes Fleisch!‹ Da brachte man es ihr, und sie legte es in glühende Asche. Als sie es dann hervorholte, sprach sie zu ihm: ›Iss davon!‹ Er entgegnete: ›Nein, dieses Fleisch ist mir ekelhaft.‹ Da erklärte sie ihm: ›Bei Adam verhielt es sich ebenso; hätte man ihm die Seite im Wachzustand genommen, wäre ihm die Frau ekelhaft.‹«
ekel Warum war die Szene mit dem Braten notwendig? Damit über abstoßende Züge eines Entwicklungsprozesses nicht nur gesprochen wird, die Qualität des Ekels sollte vom Kritiker sinnlich verspürt werden. Die Erklärung von Rabban Gamliels Tochter, der Schöpfer habe Rücksicht auf Adams Empfindsamkeit genommen, hat Raschi (1040–1105) gefallen. Er referiert diese Interpretation in seinem klassischen Torakommentar.
Einen anderen schlichten Grund für Adams Betäubung haben sowohl Rav Saadja Gaon (882–942) als auch Rabbenu Chiskija Ben Manoach (1250–1310) vorgeschlagen: Durch die Narkose hat der Schöpfer dafür gesorgt, dass Adam bei der Operation keine Schmerzen hatte.