Talmudisches

Verflucht sei Haman, und gesegnet sei Mordechai!

Le Chaim zu Purim Foto: Flash 90

Rava sagte: »Eine Person ist verpflichtet, sich zu Purim derart mit Wein zu berauschen, dass sie nicht mehr zwischen ›Verflucht sei Haman‹ und ›Gesegnet sei Mordechai‹ unterscheiden kann.«

Die Gemara erzählt in diesem Zusammenhang, dass Rabba und Rabbi Zeira einst miteinander Purim feierten. Sie tranken so viel, dass Rabba sich vor Rabbiner Zeira aufbaute und ihn erschlug. Am nächsten Tag, als Rabba nüchtern wurde und erkannte, was er getan hatte, bat er Gott um Gnade – und sie wurde ihm zuteil: Rabbi Zeira erwachte zum Leben. Im darauffolgenden Jahr sagte Rabba zu Rabbi Zeira: »Lass den Meister kommen und uns miteinander Purim feiern.« Doch Zeira entgegnete ihm: »Wunder geschehen nicht jede Stunde, ich will diese Erfahrung nicht noch einmal durchmachen« (Megilla 7b).

»Schicker« Im Jiddischen als »Schicker« betitelt zu werden, ist alles andere als eine Auszeichnung. Im Deutschen würde man sagen: ein Säufer. Und trotzdem haben wir an Purim laut dem Talmud die Aufgabe, uns ordentlich einen hinter die Binde zu kippen. Das ist eine der Mizwot, die wir an Purim ausführen sollen: eine ausgiebige Mahlzeit einnehmen, mit viel Fleisch und Wein, in einer feierlichen und fröhlichen Atmosphäre.

In der ganzen Purimgeschichte spielt Wein eine wesentliche Rolle. So hat Waschti, die Königin, weil sie nicht vor dem betrunkenen König und seinem Gefolge tanzen wollte, den Stein der Ereignisse ins Rollen gebracht. Ein Weingelage bringt ein jüdisches Mädchen in die Position einer Königin, Esther ersetzt die verstoßene Waschti.

»In vino veritas«, sagt der Lateiner, was so viel heißt wie: »Im Wein liegt Wahrheit.« Unsere Weisen lehren aber auch, dass im Wein viele Zores – Wirrwarr oder Ärger – liegen. Um die Mizwa zu erfüllen, genügt es eigentlich, etwas mehr Wein als üblicherweise zu trinken und sich dann schlafen zu legen. Denn auch wer schläft, kann nicht mehr unterscheiden zwischen Mordechai und Haman, zwischen Segen und Fluch. Menschen, die sich dessen bewusst sind, dass sie im Rausch Übles anstellen würden, oder Angst haben, ihrer Gesundheit zu schaden, müssen an Purim nicht viel Wein trinken.

Selbstbeherrschung Doch warum bestehen einige wichtige Denker wie der Rambam darauf, dass man trinken muss, bis man die rationale Selbstbeherrschung verliert und nicht mehr klar unterscheiden kann zwischen »Verflucht sei Haman« und »Gesegnet sei Mordechai«?

Eine Antwort darauf könnte sein, dass wir Juden uns oft gegen die Gebote Gottes gestellt haben – auch zu Zeiten der Purimgeschichte unter König Achaschverosch. Dort haben wir uns versündigt, indem wir durch das reichliche Gelage und den Wein unsere Herkunft vergaßen. Nach dem Rausch erkannten wir unser Vergehen, und die Umkehr zu Gott rettete uns vor der Vernichtung durch Haman.

Errettung Es stehen damit nicht unsere Taten, durch die wir von Gott errettet wurden, im Vordergrund, sondern Seine Barmherzigkeit, uns immer zurückkehren zu lassen und Seine Tore nie zu verschließen. Darum sagen unsere Weisen, dass wir essen und trinken sollen im Überfluss, um dadurch unser Vertrauen Gott gegenüber zu bekräftigen. Im Zustand der Bewusstlosigkeit demonstrieren wir unsere Gläubigkeit: Gott wird uns nicht fallen lassen – sei es, dass wir klar sind im Kopf oder berauscht.

Denn auch das kann für uns eine wichtige Lektion der Purimgeschichte sein: sich einfach mal zurückzulehnen und zu entspannen. Bekanntermaßen steht in jeder Generation ein Feind Israels gegen uns auf, der uns vernichten möchte. Das heißt, jede Generation muss um ihre Existenz fürchten, für ihr Wohl einstehen und kämpfen. Durch einen ausgiebigen Konsum von Wein zeigen wir, dass wir unseren Sieg über das Böse genießen können. Und wir beteuern, dass wir zuversichtlich in die Zukunft blicken, mit Gott.

Studium

»Was wir von den Rabbinern erwarten, ist enorm«

Seit 15 Jahren werden in Deutschland wieder orthodoxe Rabbiner ausgebildet. Ein Gespräch mit dem Gründungsdirektor des Rabbinerseminars zu Berlin, Josh Spinner, und Zentralratspräsident Josef Schuster

von Mascha Malburg  21.11.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Rabbiner beunruhigt über Papst-Worte zu Völkermord-Untersuchung

Sie sprechen von »heimlicher Propaganda«, um Verantwortung auf die Opfer zu verlagern: Die Europäische Rabbinerkonferenz kritisiert Völkermord-Vorwürfe gegen Israel scharf. Und blickt auch auf jüngste Papst-Äußerungen

von Leticia Witte  19.11.2024

Engagement

Im Kleinen die Welt verbessern

Mitzvah Day: Wie der Tag der guten Taten positiven Einfluss auf die Welt nehmen will

von Paula Konersmann  17.11.2024

Wajera

Offene Türen

Am Beispiel Awrahams lehrt uns die Tora, gastfreundlich zu sein

von David Gavriel Ilishaev  15.11.2024

Talmudisches

Hiob und die Kundschafter

Was unsere Weisen über die Ankunft der Spione schreiben

von Vyacheslav Dobrovych  15.11.2024

Gebote

Himmlische Belohnung

Ein Leben nach Gʼttes Regeln wird honoriert – so steht es in der Tora. Aber wie soll das funktionieren?

von Daniel Neumann  14.11.2024

New York

Sotheby’s will 1500 Jahre alte Steintafel mit den Zehn Geboten versteigern

Mit welcher Summe rechnet das Auktionshaus?

 14.11.2024

Lech Lecha

»Und du sollst ein Segen sein«

Die Tora verpflichtet jeden Einzelnen von uns, in der Gesellschaft zu Wachstum und Wohlstand beizutragen

von Yonatan Amrani  08.11.2024

Talmudisches

Planeten

Die Sterne und die Himmelskörper haben Funktionen – das wussten schon unsere Weisen

von Chajm Guski  08.11.2024