Die Tora hat nicht nur das Essen, sondern auch den bloßen Besitz von Chametz in der Zeit von Pessach streng verboten. Gleichzeitig wird ein Verstoß gegen dieses Gebot während der Pessachtage unter eine strengere Strafe gestellt als der Verzehr nicht erlaubter Lebensmittel im Laufe des Jahres (2. Buch Moses, 12,15; 13,7). Nun ist Chametz, so wie es generell in den Kaschrutvorschriften der Fall ist, auch dann verboten, wenn es sich mit anderen Speisen vermischt hat, selbst in kleinen Mengen.
Dabei ist eines wichtig: Chametz, das sich während der Pessachtage mit einer anderen Speise vermischt hat, unterliegt nach der sogenannten Vermischungshalacha von Speisen (Taarovet) anderen und strengeren Regeln. Denn nach der Tora ist jede verbotene Speise, die sich mit einer erlaubten Speise vermischt hat, nur dann widerrechtlich, wenn der verbotene Geschmack der unzulässigen Speise in der erlaubten Speise vorhanden und spürbar ist. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander: Die meisten Rischonim betrachten es als ein Toragesetz, andere, zum Beispiel Raschi, betrachten »Taam Keikar« als ein rabbinisches Verbot.
Ein Beispiel: Eine koschere Suppe, der eine unkoschere Zutat hinzugefügt wurde, ist nur dann verboten, wenn diese in der Suppe auch zu schmecken ist. Die Richtlinie hierfür ist die sogenannte 1/60-Regel.
1/60-Regel Nun zu Chametz: Eine koschere Suppe, in die versehentlich ein kleiner Brotkrümel während der Pessachzeit gefallen ist, ist in jedem Falle rechtswidrig, selbst dann, wenn der Brotkrümel gar nicht zu schmecken ist. Die 1/60-Regel darf in Bezug auf Chametz während der Pessachzeit nicht angewandt werden. Es gilt das strenge rabbinische Gesetz, das in den Pessachtagen generell den Verzehr von Chametz-Vermischungen untersagt (siehe Talmud Pessachim, Blatt 30).
Nach dem Talmud ist einer der entscheidenden Gründe: Chametz ist während des ganzen Jahres erlaubt. Wir dürfen zum Beispiel während des ganzen Jahres Brot essen. Nur während der Pessachtage wird dann das eigentlich Erlaubte mit einem zeitlichen Verbot von sieben beziehungsweise acht Tagen belegt.
Da der jüdische Mensch sich aber daran gewöhnt hat, Chametz zu essen, und sich während des übrigen Jahres nicht durch ein zeitbedingtes Verbot (wie etwa von Speisen, die immer unzulässig sind) eingeübt hat, läuft er Gefahr, während der Pessachtage das Chametz-Verbot zu unterschätzen. Deshalb haben unsere Gelehrten beschlossen, Chametz mit einem viel strengeren Verbot zu belegen, als es die Kaschrut vorsieht.
Aber das Chametz-Verbot umfasst über die Kaschrut-Vorschriften hinausgehende Aspekte: Die Tora verbietet den bloßen Besitz von Gesäuertem während der Pessachtage. Daher müssen wir uns noch vor Pessach von jeglichem Chametz, das sich in unserem Besitz befindet, befreien. Oder halachisch gesprochen: Das Chametz darf, wenn Pessach beginnt, nicht in jüdischem Besitz sein. Dies kann man auch dadurch regeln, dass man das Chametz an einen Nichtjuden verkauft. Damit wäre dem Gesetz Genüge getan, Gesäuertes befände sich nicht mehr im Besitz eines Juden.
Lehre Im Talmud Pessachim gibt es eine talmudische Lehre: »Ein Jude und ein Goj, die sich auf einem Schiff befinden ... so darf der Jude dem Goj sein Chametz verkaufen ... Jedoch muss dies ein rechtswirksamer Verkauf sein.« (Talmud Pessachim). Ebenso finden wir im Talmud eine ähnliche kontextbezogene Diskussion über jüdisches Chametz in nichtjüdischer Hand und umgekehrt über nichtjüdisches Chametz in jüdischer Hand.
Allgemein galt die Möglichkeit des Chametz-Verkaufes über viele Jahre als eine Möglichkeit, sich davon zu befreien. Faktisch wurde sie aber selten genutzt. In den Schriften der späteren Rischonim finden wir in den Responsen, den Fragen und Ant-
worten, des »Trumat Hadeschen« eine Wiederaufnahme dieser Thematik.
Darin steht, dass ein Jude, in dessen Besitz sich teures Chametz befindet, das er vor Pessach nicht wegschaffen oder verzehren kann, dieses vor dem Fest an einen Nichtjuden verkaufen oder ihm schenken darf. Jedoch muss er darauf achten, dass der Verkauf halachisch rechtsgültig ist. Nach Pessach darf dieses wieder an seinen ursprünglichen Besitzer zurückverkauft werden. Im Schulchan Aruch wird von »Mechira Gemura«, von einem »halachisch vollständigen und gültigen Verkauf« gesprochen.
Kaufakt Was aber ist ein vollständiger Verkauf? Hierzu muss man wissen, dass es nach talmudischem Recht verschiedene Formen eines halachischen Kaufaktes (Kinyan) gibt: mittels Geld, von mobilen Gegenständen (wie eben Chametz), die sich auf immobilen Gütern befinden (wie zum Beispiel Häuser, Felder etc.) und automatisch mit den Immobilien mitverkauft werden (Kinyan Agav) und vieles mehr.
Die Mischna Brura legt fest, dass im Falle des Chametz-Verkaufes aber ein Kaufakt stattfinden muss, der nach Toragesetz (DeOrayta) rechtswirksam ist, da das Verbot selbst ein Toraverbot ist. Daher hat man dieses immer von vornherein mittels Geld an einen Nichtjuden zu verkaufen, sogar wenn die Summe geringfügig ist (Mischna Brura).
Heutzutage, wenn wir eine Mechirat Chametz durchführen, versuchen wir auf allen möglichen halachischen Ebenen, diesen Verkauf zu vollziehen: etwa durch eine Geldzahlung, den Abschluss eines Vertrages oder Kinyan Chalifin. Dies alles soll sicherstellen, dass der Verkauf tatsächlich halachisch rechtswirksam ist. Da der Chametz-Verkauf verschiedene Halachot tangiert, die viele nicht kennen, ist es immer ratsam, sich an einen Rabbiner zu wenden.
Zwar gibt es, besonders unter den Acharonim, einige Gegner des Chametz-Verkaufes – und es gibt religiöse Juden, die nach Pessach kein Gesäuertes verzehren, das während der Pessachzeit verkauft worden ist –, aber mittlerweile hat sich die Tradition eingebürgert, dass jeder vor Pessach sein Chametz verkaufen sollte.
www.ordonline.de