Regeln

Universale Ethik

Pause beim Arche-Bau: Steve Carell als Möchtegern-Noach in der Filmkomödie »Evan Almighty« (USA 2007) Foto: cinetext

Viele fragen, warum wir nicht missionieren, wir hätten doch ein so erlesenes Produkt: den Glauben an einen G’tt und ein Gebotssystem. Jeder, der Spirituelles sucht, könne darin Gutes finden. Glauben wir etwa nicht stark genug an die Qualität des Judentums – der Himmel bewahre uns davor! –, oder ist es Arroganz, die uns meinen lässt, die anderen sollen ruhig ohne Judentum zurechtkommen?

Lange bevor das jüdische Volk die Tora und die Gebote annahm, gab es Glauben auf der Welt und einen klaren Weg, ihn auszudrücken, um spirituelle Erhabenheit zu erlangen, sich zu vervollkommnen und Erfüllung zu erlangen. Dennoch hat die Menschheit zehn Generationen nach der Erschaffung der Welt in moralischer Hinsicht den absoluten Tiefstand erreicht: »Und die Erde war verderbt vor G’tt, und die Erde war voll Gewalttat« (1. Buch Moses 6,11).

entschluss Die meisten Menschen waren böse, als der Allmächtige den schrecklichen Entschluss fasste, die Menschheit auszutilgen: »Das Ende alles Fleisches ist gekommen vor mich, denn voll ist die Erde von Gewalttat durch sie, und ich will sie verderben mit der Erde« (6,13). Das Verhalten der Menschen widerspricht dem Willen und den Absichten des Schöpfers. Deshalb beschloss Er, allen Geschöpfen das Leben zu nehmen und danach noch einmal neu zu beginnen.

Inmitten all der verdorbenen Menschen gab es jedoch einen, dem es zusammen mit seiner Familie anscheinend gelungen war, ein moralisches und rechtschaffenes Leben zu führen, und dem es gebührt, Zaddik Tamim, Gerechter, genannt zu werden: Das war Noach. An welchen Leitfaden hielt er sich? Wie gelang es ihm, einen solchen Stand zu erreichen, dass der Ewige Gnade für ihn aufbrachte, ihn rettete und über ihn der Menschheit erneut Leben verlieh? Nach welchen Regeln sollen alle Menschen ein Leben nach dem Willen G’ttes führen?

befehl Zu Beginn der Schöpfung erhalten Adam und Chawa einen g’ttlichen Befehl. »Und es befahl der Ewige, G’tt, dem Menschen: Von jeglichem Baume des Gartens darfst du essen; aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, von dem sollst du nicht essen« (1. Buch Moses 2, 16-17). Dies ist die klare g’ttliche Auslegung der Beziehungen des Menschen zur Erde und des Menschen zu G’tt.

Aus diesen beiden biblischen Versen werden im Talmud (Sanhedrin 56a/b) die sieben sogenannten Noachidischen Gebote an die gesamte Menschheit, die Nachkommen Noachs, definiert. »Wajezaw« – »Und es befahl«: Der Befehl zur Einführung von Gerichten verpflichtet die B’nei Noach zur Errichtung von Gerichten als Ausdruck der Wahrung von Recht und Ordnung unter den Menschen.

Fluchen »Haschem« – das Verbot der Gotteslästerung: In Respekt und Ehrwürdigkeit vor dem Ewigen wird den Nachkommen Noachs untersagt, den Himmel zu verfluchen. Der Name G’ttes soll dem Menschen heilig sein. »Elokim«: Diesem folgt das Verbot der Götzenanbetung. Ein Ben Noach verpflichtet sich zum Glauben an einen G’tt. Jeder Glauben an einen Gegenstand, an einen Menschen oder an ein anderes Geschöpf lässt sich nicht mit dem Glauben an den Schöpfer vereinigen.

»Dem Menschen« – »al Ha’adam«: das Verbot von Mord. Der Respekt und die Wertschätzung, die wir dem Mitmenschen entgegenbringen, sowie das Wissen, dass andere Menschen nicht weniger wert sind als wir, lässt uns erkennen, dass ein Mensch nicht über anderen steht und dass niemand das Recht hat, jemanden zu töten. »Lemor«: Zum Verbot von Unzucht hebt Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) hervor, dass das Gesagte von Generation zu Generation überliefert werden muss. Nur an einem Ort, wo Menschen ein korrektes Familienleben führen, wird das Gebot des Schöpfers von Generation zu Generation übertragen. Unzucht verletzt und versehrt die Einheit der gesunden Familie und ist eine Sünde.

»Von jedem Baum im Garten«: das Verbot zu stehlen. Das Privateigentum eines Menschen ist kein öffentliches Eigentum. Jeder muss wissen, dass er nur das benutzen darf, was ihm gehört. Das Verbot der Brutalität gegen Tiere: Iss kein Organ eines lebenden Tiers! Nach der Sintflut wurde den Menschen gestattet, Vieh und Geflügel zu schlachten, um Fleisch zu essen. Es wird ihnen jedoch untersagt, einem noch lebenden Tier ein Organ zu entnehmen und es zu verzehren.

Mizwot Bei den Noachidischen Geboten gibt es eine Aufteilung in zwei Kategorien, die danach die Grundlage für die 613 Mizwot an das jüdische Volk formen. Eine Gruppe der Gebote regelt die Verhältnisse der Menschen untereinander, die andere das Verhältnis des Menschen gegenüber G’tt.

In Noachs Generation hat keiner diese Ge- und Verbote beachtet. In der Generation der Sintflut hat das Verderben der Gesellschaft alle Grenzen übertreten. In den Generationen von Enosch und der Generation der Aufteilung in Völker und in verschiedene Sprachen verschlechterte sich das Verhältnis der Menschen gegenüber dem Schöpfer. Noach jedoch war ein Rechtschaffener. Es gelang ihm, sich in seinem Verhalten nicht der Umgebung anzupassen. Er blieb dem Schöpfer treu und hielt sich an die Regeln, die ihm geboten waren.

Kehren wir zur ursprünglichen Frage zurück und versuchen zu verstehen, warum das Judentum es nicht für notwendig erachtet, für die Konversion zu werben. Die Antwort dazu finden wir in den Noachidischen Geboten.

Lebensweg Das Judentum hält sich nicht für ideal und einzigartig. Es hält einen Platz bereit für Menschen, die nicht jüdisch sind und teilt ihnen eine sehr wichtige Rolle zu. Es ist kein Nachteil, nicht als Jude geboren zu werden. Ein Ben Noach soll sich genau wie ein Jude fragen, ob er sein Ziel erreicht hat, rechtschaffen zu sein, indem er die Noachidischen Gebote hält, genauso wie ein Jude sich fragen soll, ob er seine Gebote befolgt. Auch wer nicht jüdisch ist, hat dem Schöpfer gegenüber Verpflichtungen. G’tt hat ihm einen Lebensweg vorgeschrieben, den er gehen soll.

Der Übertritt zum Judentum ist ein Weg, den nur wenige einschlagen. Wer sich zum Judentum bekehren wird, ist sich der großen Herausforderung bewusst, die ihn erwartet, um Teil des Volkes Israels zu werden. Die Noachidischen Gebote sind ein Weg für alle Menschen. Die Befolgung dieser Regeln macht die Menschen nicht zu Angehörigen des jüdischen Volkes. Aber sie erlaubt es jedem, sich dem Volk Israel bei der Verbesserung der Welt anzuschließen und das Anerkennen des einen G’ttes zu verbreiten.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Noach erzählt vom Beschluss des Ewigen, die Erde zu überfluten. Das Wasser soll alles Leben vernichten und nur Noach verschonen. Der soll eine Arche bauen, auf die er sich mit seiner Familie und einem Paar von jeder Tierart zurückziehen kann. So erwacht nach der Flut neues Leben. Der Ewige setzt einen Regenbogen in die Wolken als Symbol seines ersten Bundes mit den Menschen. Die beginnen, die Stadt Babel zu erbauen und errichten einen Turm, der in den Himmel reicht. Doch der Ewige vereitelt ihren Plan.
1. Buch Moses 6,9 – 11,32

Chaje Sara

Handeln für Generationen

Was ein Grundstückskauf und eine Eheanbahnung mit der Bindung zum Heiligen Land zu tun haben

von Rabbiner Joel Berger  22.11.2024

Talmudisches

Elefant

Was unsere Weisen über die Dickhäuter lehrten

von Rabbiner Netanel Olhoeft  22.11.2024

Studium

»Was wir von den Rabbinern erwarten, ist enorm«

Seit 15 Jahren werden in Deutschland wieder orthodoxe Rabbiner ausgebildet. Ein Gespräch mit dem Gründungsdirektor des Rabbinerseminars zu Berlin, Josh Spinner, und Zentralratspräsident Josef Schuster

von Mascha Malburg  21.11.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Rabbiner beunruhigt über Papst-Worte zu Völkermord-Untersuchung

Sie sprechen von »heimlicher Propaganda«, um Verantwortung auf die Opfer zu verlagern: Die Europäische Rabbinerkonferenz kritisiert Völkermord-Vorwürfe gegen Israel scharf. Und blickt auch auf jüngste Papst-Äußerungen

von Leticia Witte  19.11.2024

Engagement

Im Kleinen die Welt verbessern

Mitzvah Day: Wie der Tag der guten Taten positiven Einfluss auf die Welt nehmen will

von Paula Konersmann  17.11.2024

Wajera

Offene Türen

Am Beispiel Awrahams lehrt uns die Tora, gastfreundlich zu sein

von David Gavriel Ilishaev  15.11.2024

Talmudisches

Hiob und die Kundschafter

Was unsere Weisen über die Ankunft der Spione schreiben

von Vyacheslav Dobrovych  15.11.2024

Gebote

Himmlische Belohnung

Ein Leben nach Gʼttes Regeln wird honoriert – so steht es in der Tora. Aber wie soll das funktionieren?

von Daniel Neumann  14.11.2024

New York

Sotheby’s will 1500 Jahre alte Steintafel mit den Zehn Geboten versteigern

Mit welcher Summe rechnet das Auktionshaus?

 14.11.2024